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Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875.

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Die patriotische Pflicht der Parteinahme.
ersichtlich ist, gereicht dem allgemeinen Wohle zum Nachtheile,
er trübt den offenen Gegensatz der Meinungen und erschwert
die Verständigung. Wie sollen wir also über die Betheiligung
der Frauen an den Streitigkeiten des Tages urtheilen? Ich
glaube, sie ist vollberechtigt, wo es sich um Fragen handelt,
in denen ein wahres, menschliches Gefühl und sittlicher Tact
den Ausschlag geben können, also wo es gilt, gegen einen
nationalen Feind die zum Widerstande entschlossene Partei zu
stärken oder die Freiheit der Ueberzeugung mit Bekenntnißtreue
zu vertreten. Da wird die Begeisterung eines weiblichen Ge¬
müths auch den Mann kräftigen und der heiligen Sache zum
Siege helfen. Etwas Anderes ist es, wenn die Stimme des
Gefühls nicht unmittelbar entscheiden kann und soll, wenn
die richtige Beurtheilung der Fragen von Erwägungen ab¬
hängt, welche außerhalb der Sphäre eines weiblichen Ge¬
müths liegen, wenn es gilt, Tagesereignisse im Zusammen¬
hange der Geschichte aufzufassen und von der unantastbaren
Rechtssphäre des Einzelnen solche Rechte zu unterscheiden,
welche in die Wandelungen der öffentlichen Verhältnisse un¬
vermeidlich hereingezogen werden. Die Frau wird ihrer Natur
nach am Gewohnten hängen; das Nächste wird ihr immer das
Wichtigste sein und persönliche Theilnahme alle sachlichen Rück¬
sichten zurückdrängen. Diese Einseitigkeit hängt mit den edelsten
Zügen der weiblichen Seele zusammen, mit ihrer Treue, ihrer
Aufopferungsfähigkeit, mit der Tiefe und Wärme ihres Ge¬
fühls. So weit also eine Gefühlspolitik berechtigt ist, so weit
ist es auch eine selbständige Theilnahme der Frauen; weiter
aber nicht.

Und gewiß findet jede edle Frau von selbst die Schranke
des Gebiets, auf welchem ihr Einfluß mitbestimmend sein soll,
und am sichersten wird sie wissen, daß dort ihre Stelle nicht
ist, wo giftiger Groll und Bruderhaß genährt wird. Es liegt
bei den Parteikämpfen neuerer Zeit unendlich viel in den
Händen der Frauen; sie haben eine ganz andere Macht und
deshalb auch eine ganz andere Verantwortlichkeit, als im
Alterthume. Sie können am meisten dazu beitragen, Unfrieden

Die patriotiſche Pflicht der Parteinahme.
erſichtlich iſt, gereicht dem allgemeinen Wohle zum Nachtheile,
er trübt den offenen Gegenſatz der Meinungen und erſchwert
die Verſtändigung. Wie ſollen wir alſo über die Betheiligung
der Frauen an den Streitigkeiten des Tages urtheilen? Ich
glaube, ſie iſt vollberechtigt, wo es ſich um Fragen handelt,
in denen ein wahres, menſchliches Gefühl und ſittlicher Tact
den Ausſchlag geben können, alſo wo es gilt, gegen einen
nationalen Feind die zum Widerſtande entſchloſſene Partei zu
ſtärken oder die Freiheit der Ueberzeugung mit Bekenntnißtreue
zu vertreten. Da wird die Begeiſterung eines weiblichen Ge¬
müths auch den Mann kräftigen und der heiligen Sache zum
Siege helfen. Etwas Anderes iſt es, wenn die Stimme des
Gefühls nicht unmittelbar entſcheiden kann und ſoll, wenn
die richtige Beurtheilung der Fragen von Erwägungen ab¬
hängt, welche außerhalb der Sphäre eines weiblichen Ge¬
müths liegen, wenn es gilt, Tagesereigniſſe im Zuſammen¬
hange der Geſchichte aufzufaſſen und von der unantaſtbaren
Rechtsſphäre des Einzelnen ſolche Rechte zu unterſcheiden,
welche in die Wandelungen der öffentlichen Verhältniſſe un¬
vermeidlich hereingezogen werden. Die Frau wird ihrer Natur
nach am Gewohnten hängen; das Nächſte wird ihr immer das
Wichtigſte ſein und perſönliche Theilnahme alle ſachlichen Rück¬
ſichten zurückdrängen. Dieſe Einſeitigkeit hängt mit den edelſten
Zügen der weiblichen Seele zuſammen, mit ihrer Treue, ihrer
Aufopferungsfähigkeit, mit der Tiefe und Wärme ihres Ge¬
fühls. So weit alſo eine Gefühlspolitik berechtigt iſt, ſo weit
iſt es auch eine ſelbſtändige Theilnahme der Frauen; weiter
aber nicht.

Und gewiß findet jede edle Frau von ſelbſt die Schranke
des Gebiets, auf welchem ihr Einfluß mitbeſtimmend ſein ſoll,
und am ſicherſten wird ſie wiſſen, daß dort ihre Stelle nicht
iſt, wo giftiger Groll und Bruderhaß genährt wird. Es liegt
bei den Parteikämpfen neuerer Zeit unendlich viel in den
Händen der Frauen; ſie haben eine ganz andere Macht und
deshalb auch eine ganz andere Verantwortlichkeit, als im
Alterthume. Sie können am meiſten dazu beitragen, Unfrieden

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[335/0351] Die patriotiſche Pflicht der Parteinahme. erſichtlich iſt, gereicht dem allgemeinen Wohle zum Nachtheile, er trübt den offenen Gegenſatz der Meinungen und erſchwert die Verſtändigung. Wie ſollen wir alſo über die Betheiligung der Frauen an den Streitigkeiten des Tages urtheilen? Ich glaube, ſie iſt vollberechtigt, wo es ſich um Fragen handelt, in denen ein wahres, menſchliches Gefühl und ſittlicher Tact den Ausſchlag geben können, alſo wo es gilt, gegen einen nationalen Feind die zum Widerſtande entſchloſſene Partei zu ſtärken oder die Freiheit der Ueberzeugung mit Bekenntnißtreue zu vertreten. Da wird die Begeiſterung eines weiblichen Ge¬ müths auch den Mann kräftigen und der heiligen Sache zum Siege helfen. Etwas Anderes iſt es, wenn die Stimme des Gefühls nicht unmittelbar entſcheiden kann und ſoll, wenn die richtige Beurtheilung der Fragen von Erwägungen ab¬ hängt, welche außerhalb der Sphäre eines weiblichen Ge¬ müths liegen, wenn es gilt, Tagesereigniſſe im Zuſammen¬ hange der Geſchichte aufzufaſſen und von der unantaſtbaren Rechtsſphäre des Einzelnen ſolche Rechte zu unterſcheiden, welche in die Wandelungen der öffentlichen Verhältniſſe un¬ vermeidlich hereingezogen werden. Die Frau wird ihrer Natur nach am Gewohnten hängen; das Nächſte wird ihr immer das Wichtigſte ſein und perſönliche Theilnahme alle ſachlichen Rück¬ ſichten zurückdrängen. Dieſe Einſeitigkeit hängt mit den edelſten Zügen der weiblichen Seele zuſammen, mit ihrer Treue, ihrer Aufopferungsfähigkeit, mit der Tiefe und Wärme ihres Ge¬ fühls. So weit alſo eine Gefühlspolitik berechtigt iſt, ſo weit iſt es auch eine ſelbſtändige Theilnahme der Frauen; weiter aber nicht. Und gewiß findet jede edle Frau von ſelbſt die Schranke des Gebiets, auf welchem ihr Einfluß mitbeſtimmend ſein ſoll, und am ſicherſten wird ſie wiſſen, daß dort ihre Stelle nicht iſt, wo giftiger Groll und Bruderhaß genährt wird. Es liegt bei den Parteikämpfen neuerer Zeit unendlich viel in den Händen der Frauen; ſie haben eine ganz andere Macht und deshalb auch eine ganz andere Verantwortlichkeit, als im Alterthume. Sie können am meiſten dazu beitragen, Unfrieden

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Zitationshilfe: Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 335. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/351>, abgerufen am 23.11.2024.