Die beiden Reden, welche zuletzt an dieser Stelle gehalten worden sind, waren Kriegsreden. Die eine sah dem beginnen¬ den Kampfe ins Auge, die andere folgte dem in vollem Gange begriffenen über die Schlachtfelder; heute ist es der beendete Krieg, des Königs Heimkehr, der glorreiche Friede, der Aller Gedanken in Anspruch nimmt, und wenn es sonst erlaubt schien, der Festrede an Königs Geburtstag einen vom Fest¬ anlasse unabhängigen Inhalt zu geben, -- heute ist es un¬ möglich, von etwas zu reden oder reden zu hören, was zur Person unsers Königs und Seinen Thaten nicht in unmittel¬ barer Beziehung steht. Wollten wir aber die Tagesereignisse in ihrem geschichtlichen Zusammenhange zu begreifen suchen, so ist auch dazu, das fühlen wir Alle, die Zeit noch nicht gekommen. Noch stehen wir überrascht, überwältigt ihnen gegenüber. Wir waren ja ein langes Menschenleben hindurch an kleine und enge Verhältnisse gewöhnt. Nach den Siegen von Leipzig und Waterloo mußten wir fortfahren, von den ausländischen Hauptstädten alle Entscheidungen europäischer Fragen zu erwarten und der nach langen Verhandlungen er¬ folgende Beitritt eines deutschen Kleinstaats zum Zollvereine gehörte zu den Epoche machenden Ereignissen vaterländischer Geschichte. Höheres ins Auge zu fassen war staatsgefährliche Ueberspannung, und in stummer Resignation sollte man die
XX. Die Weihe des Siegs.
Die beiden Reden, welche zuletzt an dieſer Stelle gehalten worden ſind, waren Kriegsreden. Die eine ſah dem beginnen¬ den Kampfe ins Auge, die andere folgte dem in vollem Gange begriffenen über die Schlachtfelder; heute iſt es der beendete Krieg, des Königs Heimkehr, der glorreiche Friede, der Aller Gedanken in Anſpruch nimmt, und wenn es ſonſt erlaubt ſchien, der Feſtrede an Königs Geburtstag einen vom Feſt¬ anlaſſe unabhängigen Inhalt zu geben, — heute iſt es un¬ möglich, von etwas zu reden oder reden zu hören, was zur Perſon unſers Königs und Seinen Thaten nicht in unmittel¬ barer Beziehung ſteht. Wollten wir aber die Tagesereigniſſe in ihrem geſchichtlichen Zuſammenhange zu begreifen ſuchen, ſo iſt auch dazu, das fühlen wir Alle, die Zeit noch nicht gekommen. Noch ſtehen wir überraſcht, überwältigt ihnen gegenüber. Wir waren ja ein langes Menſchenleben hindurch an kleine und enge Verhältniſſe gewöhnt. Nach den Siegen von Leipzig und Waterloo mußten wir fortfahren, von den ausländiſchen Hauptſtädten alle Entſcheidungen europäiſcher Fragen zu erwarten und der nach langen Verhandlungen er¬ folgende Beitritt eines deutſchen Kleinſtaats zum Zollvereine gehörte zu den Epoche machenden Ereigniſſen vaterländiſcher Geſchichte. Höheres ins Auge zu faſſen war ſtaatsgefährliche Ueberſpannung, und in ſtummer Reſignation ſollte man die
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XX.
Die Weihe des Siegs.
Die beiden Reden, welche zuletzt an dieſer Stelle gehalten
worden ſind, waren Kriegsreden. Die eine ſah dem beginnen¬
den Kampfe ins Auge, die andere folgte dem in vollem Gange
begriffenen über die Schlachtfelder; heute iſt es der beendete
Krieg, des Königs Heimkehr, der glorreiche Friede, der Aller
Gedanken in Anſpruch nimmt, und wenn es ſonſt erlaubt
ſchien, der Feſtrede an Königs Geburtstag einen vom Feſt¬
anlaſſe unabhängigen Inhalt zu geben, — heute iſt es un¬
möglich, von etwas zu reden oder reden zu hören, was zur
Perſon unſers Königs und Seinen Thaten nicht in unmittel¬
barer Beziehung ſteht. Wollten wir aber die Tagesereigniſſe
in ihrem geſchichtlichen Zuſammenhange zu begreifen ſuchen,
ſo iſt auch dazu, das fühlen wir Alle, die Zeit noch nicht
gekommen. Noch ſtehen wir überraſcht, überwältigt ihnen
gegenüber. Wir waren ja ein langes Menſchenleben hindurch
an kleine und enge Verhältniſſe gewöhnt. Nach den Siegen
von Leipzig und Waterloo mußten wir fortfahren, von den
ausländiſchen Hauptſtädten alle Entſcheidungen europäiſcher
Fragen zu erwarten und der nach langen Verhandlungen er¬
folgende Beitritt eines deutſchen Kleinſtaats zum Zollvereine
gehörte zu den Epoche machenden Ereigniſſen vaterländiſcher
Geſchichte. Höheres ins Auge zu faſſen war ſtaatsgefährliche
Ueberſpannung, und in ſtummer Reſignation ſollte man die
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Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/357>, abgerufen am 23.11.2024.
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