Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875.Die Weihe des Siegs. anfang für unsere vaterländische Geschichte, der Anbruch einesTags, an welchem die Sonnenwärme der Liebe und Treue so Gott will mit steigender Macht alle Mächte der Finsterniß überwinden und alles Nachtgevögel verjagen wird. Das ist die Weihe des Siegs und in der Weihe liegt Auch die hellenische Siegesgöttin war keine Göttin der Der Werth eines Siegs liegt also in der Beständigkeit Die Weihe des Siegs. anfang für unſere vaterländiſche Geſchichte, der Anbruch einesTags, an welchem die Sonnenwärme der Liebe und Treue ſo Gott will mit ſteigender Macht alle Mächte der Finſterniß überwinden und alles Nachtgevögel verjagen wird. Das iſt die Weihe des Siegs und in der Weihe liegt Auch die helleniſche Siegesgöttin war keine Göttin der Der Werth eines Siegs liegt alſo in der Beſtändigkeit <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0363" n="347"/><fw place="top" type="header">Die Weihe des Siegs.<lb/></fw> anfang für unſere vaterländiſche Geſchichte, der Anbruch eines<lb/> Tags, an welchem die Sonnenwärme der Liebe und Treue ſo<lb/> Gott will mit ſteigender Macht alle Mächte der Finſterniß<lb/> überwinden und alles Nachtgevögel verjagen wird.</p><lb/> <p>Das iſt die Weihe des Siegs und in der Weihe liegt<lb/> auch die Bürgſchaft ſeiner Beſtändigkeit. Denn nur bei rohen<lb/> Stämmen beſteht der ganze Sieg im Niederwerfen des Gegners;<lb/> edleren Völkern iſt der Sieg nur Mittel zum Zweck und nur<lb/> als ein Uebergang zu dauernden Zuſtänden werthvoll.</p><lb/> <p>Auch die helleniſche Siegesgöttin war keine Göttin der<lb/> Gewalt, keine beutegierige Bellona. Sie war überhaupt keine<lb/> Göttin für ſich, ſondern nur eine Eigenſchaft der ſtadtſchirmen¬<lb/> den Gottheit, deren Segenskraft ſich vor Allem darin bewährte,<lb/> daß ſie ihre Gemeinde vor Niederlage und Unehre behütete,<lb/> und als man ſpäter die Eigenſchaften der Götter ablöſte, um<lb/> ſie als beſondere Weſen zu verehren, baute man nach glück¬<lb/> lichen Feldzügen nicht der Nike Altäre, ſondern der Friedens¬<lb/> göttin, und es war alſo ganz im Sinne der Hellenen gedacht,<lb/> als unſer König nach der Uebergabe von Paris anordnete, daß<lb/> erſt der Friedensabſchluß als Siegesfeſt gefeiert werden ſolle.</p><lb/> <p>Der Werth eines Siegs liegt alſo in der Beſtändigkeit<lb/> ſeines Erfolgs, und wie kann es dafür eine beſſere Bürgſchaft<lb/> geben, als die, daß der gewonnene Sieg nicht ein einzelnes Ge¬<lb/> lingen geweſen iſt, ſondern das Ergebniß einer durch lange Arbeit<lb/> wohl begründeten Ueberlegenheit. Fragen wir aber nach der<lb/> Begründung derſelben, ſo ſind es gewiß nicht die Maſſen der<lb/> Krieger noch die Vorzüge ihrer Waffen, ſondern es ſind ſitt¬<lb/> liche Eigenſchaften und geiſtige Mächte, welche auf den fran¬<lb/> zöſiſchen Schlachtfeldern die Entſcheidung gegeben haben, ſo<lb/> gut wie bei Marathon und Salamis. Die Hellenen ſiegten,<lb/> weil ſie Mann für Mann wußten, wofür ſie kämpften; jeder<lb/> Einzelne fühlte, daß das Vaterland auf ihn zähle. Ein ſolches<lb/> Heer iſt unbeſiegbar und darum iſt die Sieghaftigkeit eine<lb/> Eigenſchaft, für deren Bewahrung ein Volk verantwortlich iſt.<lb/> Und dies führt uns auf den Antheil, welchen auch unſere<lb/> Univerſität am Siege in Anſpruch nehmen darf, und zwar<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [347/0363]
Die Weihe des Siegs.
anfang für unſere vaterländiſche Geſchichte, der Anbruch eines
Tags, an welchem die Sonnenwärme der Liebe und Treue ſo
Gott will mit ſteigender Macht alle Mächte der Finſterniß
überwinden und alles Nachtgevögel verjagen wird.
Das iſt die Weihe des Siegs und in der Weihe liegt
auch die Bürgſchaft ſeiner Beſtändigkeit. Denn nur bei rohen
Stämmen beſteht der ganze Sieg im Niederwerfen des Gegners;
edleren Völkern iſt der Sieg nur Mittel zum Zweck und nur
als ein Uebergang zu dauernden Zuſtänden werthvoll.
Auch die helleniſche Siegesgöttin war keine Göttin der
Gewalt, keine beutegierige Bellona. Sie war überhaupt keine
Göttin für ſich, ſondern nur eine Eigenſchaft der ſtadtſchirmen¬
den Gottheit, deren Segenskraft ſich vor Allem darin bewährte,
daß ſie ihre Gemeinde vor Niederlage und Unehre behütete,
und als man ſpäter die Eigenſchaften der Götter ablöſte, um
ſie als beſondere Weſen zu verehren, baute man nach glück¬
lichen Feldzügen nicht der Nike Altäre, ſondern der Friedens¬
göttin, und es war alſo ganz im Sinne der Hellenen gedacht,
als unſer König nach der Uebergabe von Paris anordnete, daß
erſt der Friedensabſchluß als Siegesfeſt gefeiert werden ſolle.
Der Werth eines Siegs liegt alſo in der Beſtändigkeit
ſeines Erfolgs, und wie kann es dafür eine beſſere Bürgſchaft
geben, als die, daß der gewonnene Sieg nicht ein einzelnes Ge¬
lingen geweſen iſt, ſondern das Ergebniß einer durch lange Arbeit
wohl begründeten Ueberlegenheit. Fragen wir aber nach der
Begründung derſelben, ſo ſind es gewiß nicht die Maſſen der
Krieger noch die Vorzüge ihrer Waffen, ſondern es ſind ſitt¬
liche Eigenſchaften und geiſtige Mächte, welche auf den fran¬
zöſiſchen Schlachtfeldern die Entſcheidung gegeben haben, ſo
gut wie bei Marathon und Salamis. Die Hellenen ſiegten,
weil ſie Mann für Mann wußten, wofür ſie kämpften; jeder
Einzelne fühlte, daß das Vaterland auf ihn zähle. Ein ſolches
Heer iſt unbeſiegbar und darum iſt die Sieghaftigkeit eine
Eigenſchaft, für deren Bewahrung ein Volk verantwortlich iſt.
Und dies führt uns auf den Antheil, welchen auch unſere
Univerſität am Siege in Anſpruch nehmen darf, und zwar
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