die Nemesis ist für das Blut der Hugenotten, und daß Frank¬ reichs Niederlage mit der Unterdrückung desselben Geistes zu¬ sammenhängt, dessen voller Entfaltung unsere Nation ihre Siegeskraft verdankt.
Bewahrung der Siegeskraft, Bürgschaft des Siegerglücks -- das ist seit ältesten Zeiten ein Problem menschlichen Nach¬ denkens, der Inhalt philosophischer und politischer Betrach¬ tungen der verschiedensten Art. In zwei Punkten aber stimmen sie wohl alle überein; sie erkennen die Friedenszeiten als die Zeiten des Völkerglücks und bezeichnen den Wankelmuth als das Kennzeichen der Siegesgöttin, deren Eigenthümlichkeit es sei, an keinem Platze der Erde heimisch zu werden.
So dachten die Alten, und die ganze Geschichte des Alter¬ thums ist ein Weg über Schlachtfelder und zwischen Trümmer¬ stätten. Sie wird von dem Ringen einzelner Großmächte nach unbedingter Gewaltherrschaft erfüllt und da war keine Ruhe möglich, so lange ebenbürtige Staaten einander gegenüber standen.
Erst als die Gegensätze sich abgeschliffen, als eine gemein¬ same Bildung, die griechische, und ein gemeinsames Recht, das römische, den Erdkreis umspannte, konnte man endlich an einen auf dauernder Siegeskraft beruhenden Weltfrieden glauben. Wer sollte ihn stören?
Im Innern regte sich kein Widerspruch; die Gränzen waren gesichert. Das gallische Volk, einst der Schrecken Roms, durch Cäsar gebändigt, und als Augustus, aller Parteien Herr, nach Beilegung neuer Unruhen im Frühjahr 13 v. Chr. aus Gallien glorreich in die Hauptstadt heimkehrte, gründete er auf dem Felde des Mars den Altar des Friedens. Damals begrüßte ihn Horaz in schwungvollen Oden als den gottent¬ stammten Hüter des romulischen Volks; damals wurden ihm Statuen errichtet, auf deren Panzer der herauffahrende Sonnen¬ gott die neue Aera, den Anbruch eines neuen Welttags, be¬ zeichnete. Die günstigen Aussichten mehrten sich, als man sah, daß auch wohlgesinnte Männer den Cäsarenthron gewinnen und behaupten konnten, und die Hofkünstler wurden nicht müde
Die Weihe des Siegs.
die Nemeſis iſt für das Blut der Hugenotten, und daß Frank¬ reichs Niederlage mit der Unterdrückung deſſelben Geiſtes zu¬ ſammenhängt, deſſen voller Entfaltung unſere Nation ihre Siegeskraft verdankt.
Bewahrung der Siegeskraft, Bürgſchaft des Siegerglücks — das iſt ſeit älteſten Zeiten ein Problem menſchlichen Nach¬ denkens, der Inhalt philoſophiſcher und politiſcher Betrach¬ tungen der verſchiedenſten Art. In zwei Punkten aber ſtimmen ſie wohl alle überein; ſie erkennen die Friedenszeiten als die Zeiten des Völkerglücks und bezeichnen den Wankelmuth als das Kennzeichen der Siegesgöttin, deren Eigenthümlichkeit es ſei, an keinem Platze der Erde heimiſch zu werden.
So dachten die Alten, und die ganze Geſchichte des Alter¬ thums iſt ein Weg über Schlachtfelder und zwiſchen Trümmer¬ ſtätten. Sie wird von dem Ringen einzelner Großmächte nach unbedingter Gewaltherrſchaft erfüllt und da war keine Ruhe möglich, ſo lange ebenbürtige Staaten einander gegenüber ſtanden.
Erſt als die Gegenſätze ſich abgeſchliffen, als eine gemein¬ ſame Bildung, die griechiſche, und ein gemeinſames Recht, das römiſche, den Erdkreis umſpannte, konnte man endlich an einen auf dauernder Siegeskraft beruhenden Weltfrieden glauben. Wer ſollte ihn ſtören?
Im Innern regte ſich kein Widerſpruch; die Gränzen waren geſichert. Das galliſche Volk, einſt der Schrecken Roms, durch Cäſar gebändigt, und als Auguſtus, aller Parteien Herr, nach Beilegung neuer Unruhen im Frühjahr 13 v. Chr. aus Gallien glorreich in die Hauptſtadt heimkehrte, gründete er auf dem Felde des Mars den Altar des Friedens. Damals begrüßte ihn Horaz in ſchwungvollen Oden als den gottent¬ ſtammten Hüter des romuliſchen Volks; damals wurden ihm Statuen errichtet, auf deren Panzer der herauffahrende Sonnen¬ gott die neue Aera, den Anbruch eines neuen Welttags, be¬ zeichnete. Die günſtigen Ausſichten mehrten ſich, als man ſah, daß auch wohlgeſinnte Männer den Cäſarenthron gewinnen und behaupten konnten, und die Hofkünſtler wurden nicht müde
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Die Weihe des Siegs.
die Nemeſis iſt für das Blut der Hugenotten, und daß Frank¬
reichs Niederlage mit der Unterdrückung deſſelben Geiſtes zu¬
ſammenhängt, deſſen voller Entfaltung unſere Nation ihre
Siegeskraft verdankt.
Bewahrung der Siegeskraft, Bürgſchaft des Siegerglücks —
das iſt ſeit älteſten Zeiten ein Problem menſchlichen Nach¬
denkens, der Inhalt philoſophiſcher und politiſcher Betrach¬
tungen der verſchiedenſten Art. In zwei Punkten aber ſtimmen
ſie wohl alle überein; ſie erkennen die Friedenszeiten als die
Zeiten des Völkerglücks und bezeichnen den Wankelmuth als
das Kennzeichen der Siegesgöttin, deren Eigenthümlichkeit es
ſei, an keinem Platze der Erde heimiſch zu werden.
So dachten die Alten, und die ganze Geſchichte des Alter¬
thums iſt ein Weg über Schlachtfelder und zwiſchen Trümmer¬
ſtätten. Sie wird von dem Ringen einzelner Großmächte nach
unbedingter Gewaltherrſchaft erfüllt und da war keine Ruhe
möglich, ſo lange ebenbürtige Staaten einander gegenüber
ſtanden.
Erſt als die Gegenſätze ſich abgeſchliffen, als eine gemein¬
ſame Bildung, die griechiſche, und ein gemeinſames Recht, das
römiſche, den Erdkreis umſpannte, konnte man endlich an einen
auf dauernder Siegeskraft beruhenden Weltfrieden glauben.
Wer ſollte ihn ſtören?
Im Innern regte ſich kein Widerſpruch; die Gränzen
waren geſichert. Das galliſche Volk, einſt der Schrecken Roms,
durch Cäſar gebändigt, und als Auguſtus, aller Parteien
Herr, nach Beilegung neuer Unruhen im Frühjahr 13 v. Chr.
aus Gallien glorreich in die Hauptſtadt heimkehrte, gründete
er auf dem Felde des Mars den Altar des Friedens. Damals
begrüßte ihn Horaz in ſchwungvollen Oden als den gottent¬
ſtammten Hüter des romuliſchen Volks; damals wurden ihm
Statuen errichtet, auf deren Panzer der herauffahrende Sonnen¬
gott die neue Aera, den Anbruch eines neuen Welttags, be¬
zeichnete. Die günſtigen Ausſichten mehrten ſich, als man ſah,
daß auch wohlgeſinnte Männer den Cäſarenthron gewinnen
und behaupten konnten, und die Hofkünſtler wurden nicht müde
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Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 351. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/367>, abgerufen am 27.07.2024.
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