Kaisergeschlecht den Brüdern in Schwaben zurückgegeben werden? Wahrlich, wenn sich in der Entwickelung dieser ge¬ schichtlichen Verhältnisse nicht das Walten der Vorsehung in einer so unverkennbaren Weise bezeugte, so würde König Wil¬ helm Sich nie bereit gefunden haben, die Last einer neuen Krone auf Sein Haupt zu nehmen. Er folgte dem göttlichen Rufe, den Er in der Geschichte vernahm.
Wie denkwürdig erscheint uns doch auch die Lebensführung unsres Königs! Glorreiche Jahre des Jünglings, da Er an den gewaltigen Kämpfen Theil nehmen und auf dem Wege, den Scharnhorst gewiesen hatte, lernen konnte, was ein Volk siegreich macht! Dann lange Jahre mannigfaltiger Gedulds¬ prüfung, Zeiten der Stockung, schwüler Beklommenheit und einer auf allen Verhältnissen lastenden Zerrissenheit des Vater¬ landes. In aller Stille ist aber unser König rastlos bestrebt gewesen, Sich auf den Beruf, der Ihm möglicher Weise zu¬ fallen konnte, ernstlich zu rüsten und hat dabei die Stellung Preußens zu Deutschland vorzugsweise in das Auge gefaßt. Selbst in dem Jahre wildester Aufregung hat Er, durch keine Verkennung irre gemacht, durch keine Ungerechtigkeit erbittert, die deutschen Parlamentsverhandlungen mit gespannter Theil¬ nahme begleitet, wie Seine "Bemerkungen zu dem Gesetz-Ent¬ wurfe über die deutsche Wehrverfassung" beweisen.
Unerwartet zur Regierung berufen, wollte Er, der ältere Mann, kein anderes Verdienst in Anspruch nehmen, als daß Er die verwirrten Wege ordnen helfe und Seinem Sohne die Bahn ebne. Und nun liegen die verworrenen Verhältnisse des Vaterlandes wie ein böser Traum hinter uns; was unerreich¬ bar schien, ist verwirklicht. Der Preußische Kronprinz hat die süddeutschen Truppen um sein siegreiches Banner gesammelt, der deutsche Reichstag ist im Schlosse der Hohenzollern eröffnet und Deutschland feiert heute den Geburtstag seines Kaisers, der von den Schlachtfeldern Frankreichs zum zweiten Male heimkehrend als Greis vollendet, was Er als Jüngling be¬ gonnen hat.
Und sehen wir, wie unser König diese Erfolge, wie sie
Die Weihe des Siegs.
Kaiſergeſchlecht den Brüdern in Schwaben zurückgegeben werden? Wahrlich, wenn ſich in der Entwickelung dieſer ge¬ ſchichtlichen Verhältniſſe nicht das Walten der Vorſehung in einer ſo unverkennbaren Weiſe bezeugte, ſo würde König Wil¬ helm Sich nie bereit gefunden haben, die Laſt einer neuen Krone auf Sein Haupt zu nehmen. Er folgte dem göttlichen Rufe, den Er in der Geſchichte vernahm.
Wie denkwürdig erſcheint uns doch auch die Lebensführung unſres Königs! Glorreiche Jahre des Jünglings, da Er an den gewaltigen Kämpfen Theil nehmen und auf dem Wege, den Scharnhorſt gewieſen hatte, lernen konnte, was ein Volk ſiegreich macht! Dann lange Jahre mannigfaltiger Gedulds¬ prüfung, Zeiten der Stockung, ſchwüler Beklommenheit und einer auf allen Verhältniſſen laſtenden Zerriſſenheit des Vater¬ landes. In aller Stille iſt aber unſer König raſtlos beſtrebt geweſen, Sich auf den Beruf, der Ihm möglicher Weiſe zu¬ fallen konnte, ernſtlich zu rüſten und hat dabei die Stellung Preußens zu Deutſchland vorzugsweiſe in das Auge gefaßt. Selbſt in dem Jahre wildeſter Aufregung hat Er, durch keine Verkennung irre gemacht, durch keine Ungerechtigkeit erbittert, die deutſchen Parlamentsverhandlungen mit geſpannter Theil¬ nahme begleitet, wie Seine »Bemerkungen zu dem Geſetz-Ent¬ wurfe über die deutſche Wehrverfaſſung« beweiſen.
Unerwartet zur Regierung berufen, wollte Er, der ältere Mann, kein anderes Verdienſt in Anſpruch nehmen, als daß Er die verwirrten Wege ordnen helfe und Seinem Sohne die Bahn ebne. Und nun liegen die verworrenen Verhältniſſe des Vaterlandes wie ein böſer Traum hinter uns; was unerreich¬ bar ſchien, iſt verwirklicht. Der Preußiſche Kronprinz hat die ſüddeutſchen Truppen um ſein ſiegreiches Banner geſammelt, der deutſche Reichstag iſt im Schloſſe der Hohenzollern eröffnet und Deutſchland feiert heute den Geburtstag ſeines Kaiſers, der von den Schlachtfeldern Frankreichs zum zweiten Male heimkehrend als Greis vollendet, was Er als Jüngling be¬ gonnen hat.
Und ſehen wir, wie unſer König dieſe Erfolge, wie ſie
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[354/0370]
Die Weihe des Siegs.
Kaiſergeſchlecht den Brüdern in Schwaben zurückgegeben
werden? Wahrlich, wenn ſich in der Entwickelung dieſer ge¬
ſchichtlichen Verhältniſſe nicht das Walten der Vorſehung in
einer ſo unverkennbaren Weiſe bezeugte, ſo würde König Wil¬
helm Sich nie bereit gefunden haben, die Laſt einer neuen
Krone auf Sein Haupt zu nehmen. Er folgte dem göttlichen
Rufe, den Er in der Geſchichte vernahm.
Wie denkwürdig erſcheint uns doch auch die Lebensführung
unſres Königs! Glorreiche Jahre des Jünglings, da Er an
den gewaltigen Kämpfen Theil nehmen und auf dem Wege,
den Scharnhorſt gewieſen hatte, lernen konnte, was ein Volk
ſiegreich macht! Dann lange Jahre mannigfaltiger Gedulds¬
prüfung, Zeiten der Stockung, ſchwüler Beklommenheit und
einer auf allen Verhältniſſen laſtenden Zerriſſenheit des Vater¬
landes. In aller Stille iſt aber unſer König raſtlos beſtrebt
geweſen, Sich auf den Beruf, der Ihm möglicher Weiſe zu¬
fallen konnte, ernſtlich zu rüſten und hat dabei die Stellung
Preußens zu Deutſchland vorzugsweiſe in das Auge gefaßt.
Selbſt in dem Jahre wildeſter Aufregung hat Er, durch keine
Verkennung irre gemacht, durch keine Ungerechtigkeit erbittert,
die deutſchen Parlamentsverhandlungen mit geſpannter Theil¬
nahme begleitet, wie Seine »Bemerkungen zu dem Geſetz-Ent¬
wurfe über die deutſche Wehrverfaſſung« beweiſen.
Unerwartet zur Regierung berufen, wollte Er, der ältere
Mann, kein anderes Verdienſt in Anſpruch nehmen, als daß
Er die verwirrten Wege ordnen helfe und Seinem Sohne die
Bahn ebne. Und nun liegen die verworrenen Verhältniſſe des
Vaterlandes wie ein böſer Traum hinter uns; was unerreich¬
bar ſchien, iſt verwirklicht. Der Preußiſche Kronprinz hat die
ſüddeutſchen Truppen um ſein ſiegreiches Banner geſammelt,
der deutſche Reichstag iſt im Schloſſe der Hohenzollern eröffnet
und Deutſchland feiert heute den Geburtstag ſeines Kaiſers,
der von den Schlachtfeldern Frankreichs zum zweiten Male
heimkehrend als Greis vollendet, was Er als Jüngling be¬
gonnen hat.
Und ſehen wir, wie unſer König dieſe Erfolge, wie ſie
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Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 354. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/370>, abgerufen am 27.07.2024.
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