hat, dieser Idee gegenüber seine Stellung zu nehmen, so ist die Geschichte des Königthums ein lehrreicher Spiegel für die verschiedenen Zeiten und Volkszustände.
Es geht aber durch die Vorstellungen vom Königthume eine Scheidelinie und bildet bei aller Mannigfaltigkeit im Einzelnen zwei große Gruppen; es ist der Gegensatz des Abend- und Morgenlandes, welcher die Culturwelt des Alter¬ thums beherrscht und auch in die neue Zeit bedeutender hin¬ übergreift, als wir uns dessen bewußt zu sein pflegen; denn es ist nicht bloß ein örtlicher Gegensatz, um den es sich han¬ delt, ein Gegensatz, der nach Gebirgen und Meersunden be¬ stimmt wird, sondern ein ethischer.
Im Morgenland ist das Königthum eine Thatsache, an der nichts zu ändern ist, eine Nothwendigkeit, der man sich fügt wie einer Naturmacht, die nach unberechenbaren Gesetzen bald Segen, bald Verderben sendet. Beides ist ein Fatum, dem man sich sklavisch unterwirft. Es giebt keine Staaten, sondern nur Reiche; es giebt keine Bürgerschaften, sondern nur Haufen von Unterthanen. Herrscher werden beseitigt und die Dynastien wechseln, aber das Herrscherthum bleibt das¬ selbe. Der Orient ist nicht im Stande gewesen ein anderes System hervorzubringen; bei allen Gesetzgebungsversuchen bleibt der Sultan ein Sultan und die Annäherung an euro¬ päische Culturstaaten kann wohl den Kern des Alten auflösen, aber nichts Neues, Lebensfähiges hervorbringen.
Das Abendland ist der Boden der Arbeit. Es hat Alles vom Orient empfangen, aber nichts gelassen wie es war. Alles ist in der Werkstätte des Geistes umgeschmolzen und neu ge¬ macht. Jedes Volk sucht dem Arbeitsstoffe das Gepräge seiner Eigenthümlichkeit zu geben, aber die Arbeitskraft ist nicht immer dieselbe. Wenn sie nachläßt, so nähert sich das euro¬ päische Wesen unwillkürlich dem Orient und läuft Gefahr, in seinen Fatalismus und seine Monotonie zu versinken.
Im Orient hat sich das Herrscherthum von dem Ursprung, in dem es wurzelt, von Stamm und Familie nie gelöst. Es ist die auf das Reich übertragene Hausvatergewalt. Was aber
Die Idee des Königthums.
hat, dieſer Idee gegenüber ſeine Stellung zu nehmen, ſo iſt die Geſchichte des Königthums ein lehrreicher Spiegel für die verſchiedenen Zeiten und Volkszuſtände.
Es geht aber durch die Vorſtellungen vom Königthume eine Scheidelinie und bildet bei aller Mannigfaltigkeit im Einzelnen zwei große Gruppen; es iſt der Gegenſatz des Abend- und Morgenlandes, welcher die Culturwelt des Alter¬ thums beherrſcht und auch in die neue Zeit bedeutender hin¬ übergreift, als wir uns deſſen bewußt zu ſein pflegen; denn es iſt nicht bloß ein örtlicher Gegenſatz, um den es ſich han¬ delt, ein Gegenſatz, der nach Gebirgen und Meerſunden be¬ ſtimmt wird, ſondern ein ethiſcher.
Im Morgenland iſt das Königthum eine Thatſache, an der nichts zu ändern iſt, eine Nothwendigkeit, der man ſich fügt wie einer Naturmacht, die nach unberechenbaren Geſetzen bald Segen, bald Verderben ſendet. Beides iſt ein Fatum, dem man ſich ſklaviſch unterwirft. Es giebt keine Staaten, ſondern nur Reiche; es giebt keine Bürgerſchaften, ſondern nur Haufen von Unterthanen. Herrſcher werden beſeitigt und die Dynaſtien wechſeln, aber das Herrſcherthum bleibt das¬ ſelbe. Der Orient iſt nicht im Stande geweſen ein anderes Syſtem hervorzubringen; bei allen Geſetzgebungsverſuchen bleibt der Sultan ein Sultan und die Annäherung an euro¬ päiſche Culturſtaaten kann wohl den Kern des Alten auflöſen, aber nichts Neues, Lebensfähiges hervorbringen.
Das Abendland iſt der Boden der Arbeit. Es hat Alles vom Orient empfangen, aber nichts gelaſſen wie es war. Alles iſt in der Werkſtätte des Geiſtes umgeſchmolzen und neu ge¬ macht. Jedes Volk ſucht dem Arbeitsſtoffe das Gepräge ſeiner Eigenthümlichkeit zu geben, aber die Arbeitskraft iſt nicht immer dieſelbe. Wenn ſie nachläßt, ſo nähert ſich das euro¬ päiſche Weſen unwillkürlich dem Orient und läuft Gefahr, in ſeinen Fatalismus und ſeine Monotonie zu verſinken.
Im Orient hat ſich das Herrſcherthum von dem Urſprung, in dem es wurzelt, von Stamm und Familie nie gelöſt. Es iſt die auf das Reich übertragene Hausvatergewalt. Was aber
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0374"n="358"/><fwplace="top"type="header">Die Idee des Königthums.<lb/></fw> hat, dieſer Idee gegenüber ſeine Stellung zu nehmen, ſo iſt<lb/>
die Geſchichte des Königthums ein lehrreicher Spiegel für die<lb/>
verſchiedenen Zeiten und Volkszuſtände.</p><lb/><p>Es geht aber durch die Vorſtellungen vom Königthume<lb/>
eine Scheidelinie und bildet bei aller Mannigfaltigkeit im<lb/>
Einzelnen zwei große Gruppen; es iſt der Gegenſatz des<lb/>
Abend- und Morgenlandes, welcher die Culturwelt des Alter¬<lb/>
thums beherrſcht und auch in die neue Zeit bedeutender hin¬<lb/>
übergreift, als wir uns deſſen bewußt zu ſein pflegen; denn<lb/>
es iſt nicht bloß ein örtlicher Gegenſatz, um den es ſich han¬<lb/>
delt, ein Gegenſatz, der nach Gebirgen und Meerſunden be¬<lb/>ſtimmt wird, ſondern ein ethiſcher.</p><lb/><p>Im Morgenland iſt das Königthum eine Thatſache, an<lb/>
der nichts zu ändern iſt, eine Nothwendigkeit, der man ſich<lb/>
fügt wie einer Naturmacht, die nach unberechenbaren Geſetzen<lb/>
bald Segen, bald Verderben ſendet. Beides iſt ein Fatum,<lb/>
dem man ſich ſklaviſch unterwirft. Es giebt keine Staaten,<lb/>ſondern nur Reiche; es giebt keine Bürgerſchaften, ſondern<lb/>
nur Haufen von Unterthanen. Herrſcher werden beſeitigt und<lb/>
die Dynaſtien wechſeln, aber das Herrſcherthum bleibt das¬<lb/>ſelbe. Der Orient iſt nicht im Stande geweſen ein anderes<lb/>
Syſtem hervorzubringen; bei allen Geſetzgebungsverſuchen<lb/>
bleibt der Sultan ein Sultan und die Annäherung an euro¬<lb/>
päiſche Culturſtaaten kann wohl den Kern des Alten auflöſen,<lb/>
aber nichts Neues, Lebensfähiges hervorbringen.</p><lb/><p>Das Abendland iſt der Boden der Arbeit. Es hat Alles<lb/>
vom Orient empfangen, aber nichts gelaſſen wie es war. Alles<lb/>
iſt in der Werkſtätte des Geiſtes umgeſchmolzen und neu ge¬<lb/>
macht. Jedes Volk ſucht dem Arbeitsſtoffe das Gepräge ſeiner<lb/>
Eigenthümlichkeit zu geben, aber die Arbeitskraft iſt nicht<lb/>
immer dieſelbe. Wenn ſie nachläßt, ſo nähert ſich das euro¬<lb/>
päiſche Weſen unwillkürlich dem Orient und läuft Gefahr, in<lb/>ſeinen Fatalismus und ſeine Monotonie zu verſinken.</p><lb/><p>Im Orient hat ſich das Herrſcherthum von dem Urſprung,<lb/>
in dem es wurzelt, von Stamm und Familie nie gelöſt. Es<lb/>
iſt die auf das Reich übertragene Hausvatergewalt. Was aber<lb/></p></div></body></text></TEI>
[358/0374]
Die Idee des Königthums.
hat, dieſer Idee gegenüber ſeine Stellung zu nehmen, ſo iſt
die Geſchichte des Königthums ein lehrreicher Spiegel für die
verſchiedenen Zeiten und Volkszuſtände.
Es geht aber durch die Vorſtellungen vom Königthume
eine Scheidelinie und bildet bei aller Mannigfaltigkeit im
Einzelnen zwei große Gruppen; es iſt der Gegenſatz des
Abend- und Morgenlandes, welcher die Culturwelt des Alter¬
thums beherrſcht und auch in die neue Zeit bedeutender hin¬
übergreift, als wir uns deſſen bewußt zu ſein pflegen; denn
es iſt nicht bloß ein örtlicher Gegenſatz, um den es ſich han¬
delt, ein Gegenſatz, der nach Gebirgen und Meerſunden be¬
ſtimmt wird, ſondern ein ethiſcher.
Im Morgenland iſt das Königthum eine Thatſache, an
der nichts zu ändern iſt, eine Nothwendigkeit, der man ſich
fügt wie einer Naturmacht, die nach unberechenbaren Geſetzen
bald Segen, bald Verderben ſendet. Beides iſt ein Fatum,
dem man ſich ſklaviſch unterwirft. Es giebt keine Staaten,
ſondern nur Reiche; es giebt keine Bürgerſchaften, ſondern
nur Haufen von Unterthanen. Herrſcher werden beſeitigt und
die Dynaſtien wechſeln, aber das Herrſcherthum bleibt das¬
ſelbe. Der Orient iſt nicht im Stande geweſen ein anderes
Syſtem hervorzubringen; bei allen Geſetzgebungsverſuchen
bleibt der Sultan ein Sultan und die Annäherung an euro¬
päiſche Culturſtaaten kann wohl den Kern des Alten auflöſen,
aber nichts Neues, Lebensfähiges hervorbringen.
Das Abendland iſt der Boden der Arbeit. Es hat Alles
vom Orient empfangen, aber nichts gelaſſen wie es war. Alles
iſt in der Werkſtätte des Geiſtes umgeſchmolzen und neu ge¬
macht. Jedes Volk ſucht dem Arbeitsſtoffe das Gepräge ſeiner
Eigenthümlichkeit zu geben, aber die Arbeitskraft iſt nicht
immer dieſelbe. Wenn ſie nachläßt, ſo nähert ſich das euro¬
päiſche Weſen unwillkürlich dem Orient und läuft Gefahr, in
ſeinen Fatalismus und ſeine Monotonie zu verſinken.
Im Orient hat ſich das Herrſcherthum von dem Urſprung,
in dem es wurzelt, von Stamm und Familie nie gelöſt. Es
iſt die auf das Reich übertragene Hausvatergewalt. Was aber
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 358. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/374>, abgerufen am 27.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.