So ist christliche Demuth mit edlem Fürstenstolz und dem vollberechtigten Selbstgefühl einer genialen Natur in dem Aus¬ spruche vereinigt, daß der König der erste Diener des Staats sei, und dies Wort ist nicht der Ausdruck einer Stimmung, nicht der Nachklang äußerer Anregung, sondern das ungesuchte Ergebniß eigenster Ueberzeugung, mit welcher nach mancherlei Irrungen und Schwankungen der junge Fürst der Schwelle des Throns entgegenging. Er sah den Staat von Feinden umgeben, von inneren Schwierigkeiten eingeengt; er erkannte, daß derselbe sich ausdehnen oder untergehen müsse; er war sich bewußt, daß er persönlich die Ziele des Staats bestim¬ men, für seine Ehre eintreten und sich, im Volke erst die Or¬ gane schaffen müsse, um einen deutschen Staat, der in allem Guten voranschreite, zu verwirklichen; er mußte auf viele Mi߬ erfolge gefaßt sein. Dennoch hat er sich nicht gescheut, den höchsten Maßstab aufzustellen, nach dem auch er beurtheilt sein wollte, und er hat den Wahlspruch, den er als Jüngling auf¬ stellte, mit gewissenhafter Treue durchgeführt, ein voller Selbst¬ herrscher, wie ihn seine Zeit verlangte, aber ein Solcher, welcher mit seinen Dienern in Krieg und Frieden unablässig arbeitete und die Mitglieder aller Stände mehr und mehr zu selbstthätiger Theilnahme an der Arbeit des Gemeinwesens heranbildete.
So hat er das Problem, an welchem die Völker Europa's seit dem Beginn ihrer Geschichte gearbeitet haben, die Ver¬ bindung zwischen Fürstenthum und Freiheit, glücklicher als einer seiner Vorgänger gelöst, indem er die über dem Gegen¬ satze schwebende Einheit zur Geltung brachte. Er hat dem Herrscherthum den Charakter gegeben, den es nach Aristoteles auf dem Boden des europäischen Volksthums haben soll, den Charakter der Hegemonie, d. h. der Leitung freier Menschen zu einem gemeinsam erkannten Ziele. Er hat das Königthum vom Schmutze der Selbstsucht befreit, mit dem es behaftet war, so daß es wie ein Goldstück, das lange von Hand zu Hand gegangen war, wieder in seinem wahren Glanze und seinem echten Gepräge kenntlich wurde. Dadurch hat er auch
Die Idee des Königthums.
So iſt chriſtliche Demuth mit edlem Fürſtenſtolz und dem vollberechtigten Selbſtgefühl einer genialen Natur in dem Aus¬ ſpruche vereinigt, daß der König der erſte Diener des Staats ſei, und dies Wort iſt nicht der Ausdruck einer Stimmung, nicht der Nachklang äußerer Anregung, ſondern das ungeſuchte Ergebniß eigenſter Ueberzeugung, mit welcher nach mancherlei Irrungen und Schwankungen der junge Fürſt der Schwelle des Throns entgegenging. Er ſah den Staat von Feinden umgeben, von inneren Schwierigkeiten eingeengt; er erkannte, daß derſelbe ſich ausdehnen oder untergehen müſſe; er war ſich bewußt, daß er perſönlich die Ziele des Staats beſtim¬ men, für ſeine Ehre eintreten und ſich, im Volke erſt die Or¬ gane ſchaffen müſſe, um einen deutſchen Staat, der in allem Guten voranſchreite, zu verwirklichen; er mußte auf viele Mi߬ erfolge gefaßt ſein. Dennoch hat er ſich nicht geſcheut, den höchſten Maßſtab aufzuſtellen, nach dem auch er beurtheilt ſein wollte, und er hat den Wahlſpruch, den er als Jüngling auf¬ ſtellte, mit gewiſſenhafter Treue durchgeführt, ein voller Selbſt¬ herrſcher, wie ihn ſeine Zeit verlangte, aber ein Solcher, welcher mit ſeinen Dienern in Krieg und Frieden unabläſſig arbeitete und die Mitglieder aller Stände mehr und mehr zu ſelbſtthätiger Theilnahme an der Arbeit des Gemeinweſens heranbildete.
So hat er das Problem, an welchem die Völker Europa's ſeit dem Beginn ihrer Geſchichte gearbeitet haben, die Ver¬ bindung zwiſchen Fürſtenthum und Freiheit, glücklicher als einer ſeiner Vorgänger gelöſt, indem er die über dem Gegen¬ ſatze ſchwebende Einheit zur Geltung brachte. Er hat dem Herrſcherthum den Charakter gegeben, den es nach Ariſtoteles auf dem Boden des europäiſchen Volksthums haben ſoll, den Charakter der Hegemonie, d. h. der Leitung freier Menſchen zu einem gemeinſam erkannten Ziele. Er hat das Königthum vom Schmutze der Selbſtſucht befreit, mit dem es behaftet war, ſo daß es wie ein Goldſtück, das lange von Hand zu Hand gegangen war, wieder in ſeinem wahren Glanze und ſeinem echten Gepräge kenntlich wurde. Dadurch hat er auch
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Die Idee des Königthums.
So iſt chriſtliche Demuth mit edlem Fürſtenſtolz und dem
vollberechtigten Selbſtgefühl einer genialen Natur in dem Aus¬
ſpruche vereinigt, daß der König der erſte Diener des Staats
ſei, und dies Wort iſt nicht der Ausdruck einer Stimmung,
nicht der Nachklang äußerer Anregung, ſondern das ungeſuchte
Ergebniß eigenſter Ueberzeugung, mit welcher nach mancherlei
Irrungen und Schwankungen der junge Fürſt der Schwelle
des Throns entgegenging. Er ſah den Staat von Feinden
umgeben, von inneren Schwierigkeiten eingeengt; er erkannte,
daß derſelbe ſich ausdehnen oder untergehen müſſe; er war
ſich bewußt, daß er perſönlich die Ziele des Staats beſtim¬
men, für ſeine Ehre eintreten und ſich, im Volke erſt die Or¬
gane ſchaffen müſſe, um einen deutſchen Staat, der in allem
Guten voranſchreite, zu verwirklichen; er mußte auf viele Mi߬
erfolge gefaßt ſein. Dennoch hat er ſich nicht geſcheut, den
höchſten Maßſtab aufzuſtellen, nach dem auch er beurtheilt ſein
wollte, und er hat den Wahlſpruch, den er als Jüngling auf¬
ſtellte, mit gewiſſenhafter Treue durchgeführt, ein voller Selbſt¬
herrſcher, wie ihn ſeine Zeit verlangte, aber ein Solcher,
welcher mit ſeinen Dienern in Krieg und Frieden unabläſſig
arbeitete und die Mitglieder aller Stände mehr und mehr zu
ſelbſtthätiger Theilnahme an der Arbeit des Gemeinweſens
heranbildete.
So hat er das Problem, an welchem die Völker Europa's
ſeit dem Beginn ihrer Geſchichte gearbeitet haben, die Ver¬
bindung zwiſchen Fürſtenthum und Freiheit, glücklicher als
einer ſeiner Vorgänger gelöſt, indem er die über dem Gegen¬
ſatze ſchwebende Einheit zur Geltung brachte. Er hat dem
Herrſcherthum den Charakter gegeben, den es nach Ariſtoteles
auf dem Boden des europäiſchen Volksthums haben ſoll, den
Charakter der Hegemonie, d. h. der Leitung freier Menſchen
zu einem gemeinſam erkannten Ziele. Er hat das Königthum
vom Schmutze der Selbſtſucht befreit, mit dem es behaftet
war, ſo daß es wie ein Goldſtück, das lange von Hand zu
Hand gegangen war, wieder in ſeinem wahren Glanze und
ſeinem echten Gepräge kenntlich wurde. Dadurch hat er auch
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Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 367. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/383>, abgerufen am 23.11.2024.
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