Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875.Große und kleine Städte. uns der trotzige Unabhängigkeitssinn des Volskers in Juvenalentgegen, der sich aus dem Gewühle der Stadt nach seinem Aquinum zurückzieht und in jener Satire, welche eine ganze Nachkommenschaft ähnlicher Gedichte hervorgerufen hat, seinem Unwillen über die Unerträglichkeit einer Großstadt Luft macht. So verbreitet und so zähe ist nicht nur bei unsern Stamm¬ Wenn nun die Mauerringe gefallen sind, welche nach ger¬ Die Hellenen sind die Meister des Stadtbaus; sie sind Zwar gab es lange vor allen Anfängen griechischer Ge¬ Große und kleine Städte. uns der trotzige Unabhängigkeitsſinn des Volskers in Juvenalentgegen, der ſich aus dem Gewühle der Stadt nach ſeinem Aquinum zurückzieht und in jener Satire, welche eine ganze Nachkommenſchaft ähnlicher Gedichte hervorgerufen hat, ſeinem Unwillen über die Unerträglichkeit einer Großſtadt Luft macht. So verbreitet und ſo zähe iſt nicht nur bei unſern Stamm¬ Wenn nun die Mauerringe gefallen ſind, welche nach ger¬ Die Hellenen ſind die Meiſter des Stadtbaus; ſie ſind Zwar gab es lange vor allen Anfängen griechiſcher Ge¬ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0388" n="372"/><fw place="top" type="header">Große und kleine Städte.<lb/></fw> uns der trotzige Unabhängigkeitsſinn des Volskers in Juvenal<lb/> entgegen, der ſich aus dem Gewühle der Stadt nach ſeinem<lb/> Aquinum zurückzieht und in jener Satire, welche eine ganze<lb/> Nachkommenſchaft ähnlicher Gedichte hervorgerufen hat, ſeinem<lb/> Unwillen über die Unerträglichkeit einer Großſtadt Luft macht.<lb/></p> <p>So verbreitet und ſo zähe iſt nicht nur bei unſern Stamm¬<lb/> vätern, ſondern auch bei den verwandten Völkern die Abneigung<lb/> gegen ſtädtiſche Concentration, und es iſt daher kein Wunder,<lb/> wenn auch bei den ſpäten Enkeln von dieſem Sinne etwas<lb/> übrig iſt und auch unter ihnen noch Viele ſind, welche ſich das<lb/> ſtädtiſche Leben nicht ohne Einbuße an behaglicher Unabhängig¬<lb/> keit vorſtellen können.</p><lb/> <p>Wenn nun die Mauerringe gefallen ſind, welche nach ger¬<lb/> maniſcher Anſicht den Bürger zum Gefangenen machten, wenn<lb/> auch von ſonſtiger Freiheitsbeſchränkung innerhalb der Städte<lb/> im Ernſte nicht mehr die Rede ſein kann, ſo muß die Ab¬<lb/> neigung gegen dieſelben, wo ſie vorhanden iſt, noch andere<lb/> Quellen haben; ſie wird weniger gegen das ſtädtiſche, als<lb/> gegen das großſtädtiſche Weſen gerichtet ſein; ſie wurzelt,<lb/> wenn ich recht urtheile, in einem äſthetiſchen Mißbehagen,<lb/> welches wir nicht als Enkel der taciteiſchen Germanen, ſondern<lb/> als Schüler der Hellenen, als Zöglinge des klaſſiſchen Alter¬<lb/> thums empfinden.</p><lb/> <p>Die Hellenen ſind die Meiſter des Stadtbaus; ſie ſind<lb/> auch hierin unſre Lehrer und maßgebenden Vorbilder.</p><lb/> <p>Zwar gab es lange vor allen Anfängen griechiſcher Ge¬<lb/> ſchichte großartige Stadtanlagen. Die Städte am Euphrat<lb/> und Tigris waren Stapelplätze des Flußhandels, der Ge¬<lb/> birge und Meer verbindet, und Kreuzpunkte der Caravanenzüge,<lb/> Mittelpunkte erobernder Reiche und Sitze von Reichsfürſten,<lb/> deren Hofperſonal ſchon einer Stadtbevölkerung glich. Jeder<lb/> Dynaſt baute eine neue Reſidenz und es wuchſen die Städte<lb/> in das Unermeßliche. Drei Tage gebrauchte man um Ninive<lb/> zu durchwandern und Babel war ſo weitläufig, daß ein Theil<lb/> der Stadt in den Händen der Feinde war, während man im<lb/> Mittelpunkte derſelben noch Feſte feierte und Reigen aufführte.<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [372/0388]
Große und kleine Städte.
uns der trotzige Unabhängigkeitsſinn des Volskers in Juvenal
entgegen, der ſich aus dem Gewühle der Stadt nach ſeinem
Aquinum zurückzieht und in jener Satire, welche eine ganze
Nachkommenſchaft ähnlicher Gedichte hervorgerufen hat, ſeinem
Unwillen über die Unerträglichkeit einer Großſtadt Luft macht.
So verbreitet und ſo zähe iſt nicht nur bei unſern Stamm¬
vätern, ſondern auch bei den verwandten Völkern die Abneigung
gegen ſtädtiſche Concentration, und es iſt daher kein Wunder,
wenn auch bei den ſpäten Enkeln von dieſem Sinne etwas
übrig iſt und auch unter ihnen noch Viele ſind, welche ſich das
ſtädtiſche Leben nicht ohne Einbuße an behaglicher Unabhängig¬
keit vorſtellen können.
Wenn nun die Mauerringe gefallen ſind, welche nach ger¬
maniſcher Anſicht den Bürger zum Gefangenen machten, wenn
auch von ſonſtiger Freiheitsbeſchränkung innerhalb der Städte
im Ernſte nicht mehr die Rede ſein kann, ſo muß die Ab¬
neigung gegen dieſelben, wo ſie vorhanden iſt, noch andere
Quellen haben; ſie wird weniger gegen das ſtädtiſche, als
gegen das großſtädtiſche Weſen gerichtet ſein; ſie wurzelt,
wenn ich recht urtheile, in einem äſthetiſchen Mißbehagen,
welches wir nicht als Enkel der taciteiſchen Germanen, ſondern
als Schüler der Hellenen, als Zöglinge des klaſſiſchen Alter¬
thums empfinden.
Die Hellenen ſind die Meiſter des Stadtbaus; ſie ſind
auch hierin unſre Lehrer und maßgebenden Vorbilder.
Zwar gab es lange vor allen Anfängen griechiſcher Ge¬
ſchichte großartige Stadtanlagen. Die Städte am Euphrat
und Tigris waren Stapelplätze des Flußhandels, der Ge¬
birge und Meer verbindet, und Kreuzpunkte der Caravanenzüge,
Mittelpunkte erobernder Reiche und Sitze von Reichsfürſten,
deren Hofperſonal ſchon einer Stadtbevölkerung glich. Jeder
Dynaſt baute eine neue Reſidenz und es wuchſen die Städte
in das Unermeßliche. Drei Tage gebrauchte man um Ninive
zu durchwandern und Babel war ſo weitläufig, daß ein Theil
der Stadt in den Händen der Feinde war, während man im
Mittelpunkte derſelben noch Feſte feierte und Reigen aufführte.
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