Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875.Das alte und neue Griechenland. Ueberlieferung aus den Zeiten der Alten. Tönen doch umdie Küsten des Mittelmeers schon die Sprachen uns entgegen, wie ein fortklingendes Echo des Alterthums, des römischen wie des griechischen! Wie vertraut klingen uns in Hellas die alten Namen der Inseln, Berge und Städte entgegen, wie anregend ist es, die in der Schule erlernten Vokabeln nun praktisch verwerthen und die todte Sprache als eine lebende gebrauchen zu lernen! Aber auch hier ist nicht bloß Genuß und Reiz, sondern es ist von sprachgeschichtlichem Interesse, der Ueberlieferung sorgfältiger nachzugehen und sich zu über¬ zeugen, wie in abgelegenen Bergwinkeln, in einzelnen Mund¬ arten und den Redeweisen gewisser Stände, wie der Schiffer und Hirten, echt hellenische Ausdrücke, die man für längst ver¬ schollen hielt, aus homerischer Zeit durch alle Jahrhunderte sich erhalten haben. Aber nicht bloß in der Sprache, auch in der Sitte, im Die Beobachtungen, welche sich in solcher Fülle demjenigen Das alte und neue Griechenland. Ueberlieferung aus den Zeiten der Alten. Tönen doch umdie Küſten des Mittelmeers ſchon die Sprachen uns entgegen, wie ein fortklingendes Echo des Alterthums, des römiſchen wie des griechiſchen! Wie vertraut klingen uns in Hellas die alten Namen der Inſeln, Berge und Städte entgegen, wie anregend iſt es, die in der Schule erlernten Vokabeln nun praktiſch verwerthen und die todte Sprache als eine lebende gebrauchen zu lernen! Aber auch hier iſt nicht bloß Genuß und Reiz, ſondern es iſt von ſprachgeſchichtlichem Intereſſe, der Ueberlieferung ſorgfältiger nachzugehen und ſich zu über¬ zeugen, wie in abgelegenen Bergwinkeln, in einzelnen Mund¬ arten und den Redeweiſen gewiſſer Stände, wie der Schiffer und Hirten, echt helleniſche Ausdrücke, die man für längſt ver¬ ſchollen hielt, aus homeriſcher Zeit durch alle Jahrhunderte ſich erhalten haben. Aber nicht bloß in der Sprache, auch in der Sitte, im Die Beobachtungen, welche ſich in ſolcher Fülle demjenigen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0050" n="34"/><fw place="top" type="header">Das alte und neue Griechenland.<lb/></fw> Ueberlieferung aus den Zeiten der Alten. Tönen doch um<lb/> die Küſten des Mittelmeers ſchon die Sprachen uns entgegen,<lb/> wie ein fortklingendes Echo des Alterthums, des römiſchen<lb/> wie des griechiſchen! Wie vertraut klingen uns in Hellas die<lb/> alten Namen der Inſeln, Berge und Städte entgegen, wie<lb/> anregend iſt es, die in der Schule erlernten Vokabeln nun<lb/> praktiſch verwerthen und die todte Sprache als eine lebende<lb/> gebrauchen zu lernen! Aber auch hier iſt nicht bloß Genuß<lb/> und Reiz, ſondern es iſt von ſprachgeſchichtlichem Intereſſe,<lb/> der Ueberlieferung ſorgfältiger nachzugehen und ſich zu über¬<lb/> zeugen, wie in abgelegenen Bergwinkeln, in einzelnen Mund¬<lb/> arten und den Redeweiſen gewiſſer Stände, wie der Schiffer<lb/> und Hirten, echt helleniſche Ausdrücke, die man für längſt ver¬<lb/> ſchollen hielt, aus homeriſcher Zeit durch alle Jahrhunderte<lb/> ſich erhalten haben.</p><lb/> <p>Aber nicht bloß in der Sprache, auch in der Sitte, im<lb/> Volksglauben, im Cultus — wie lebendig tritt uns nicht<lb/> überall die Ueberlieferung entgegen! Sie wird in einzelnen<lb/> Beziehungen, wie es auch in Italien geſchieht, von den Ein¬<lb/> heimiſchen überſchätzt, iſt aber im Ganzen ſo unverkennbar und<lb/> weit verzweigt, daß es eine der anziehendſten Aufgaben iſt,<lb/> ihr mit ſorgſamer Forſchung nachzugehen in den Gründungs¬<lb/> legenden der Kapellen, in den an die Heiligenbilder ſich an¬<lb/> ſchließenden Sagen, in den Formen der Weihung, den prieſter¬<lb/> lichen Symbolen und Religionsgebräuchen. So erinnern am<lb/> Charfreitag, wenn jede Gemeinde ihren Chriſtus beſtattet, die<lb/> Umzüge des Volkes lebhaft an die Trauerfeſte der Alten,<lb/> wenn ſie ihre dem Hades verfallenen Götter bejammerten.<lb/> Der Sarg iſt nach alter Sitte mit Roſen bedeckt. Mit Weih¬<lb/> rauchgefäßen ſitzen die Frauen vor den Thüren, an denen der<lb/> Zug mit gellenden Klageliedern vorüberzieht, während an den<lb/> Freudenfeſten der heutigen Kirche der die ganze Stadt erfül¬<lb/> lende Lichterglanz uns die Kerzen und Fackelfeſte des alten<lb/> Götterdienſtes in das Gedächtniß ruft.</p><lb/> <p>Die Beobachtungen, welche ſich in ſolcher Fülle demjenigen<lb/> aufdrängen, welcher in den klaſſiſchen Ländern verweilt, gehen<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [34/0050]
Das alte und neue Griechenland.
Ueberlieferung aus den Zeiten der Alten. Tönen doch um
die Küſten des Mittelmeers ſchon die Sprachen uns entgegen,
wie ein fortklingendes Echo des Alterthums, des römiſchen
wie des griechiſchen! Wie vertraut klingen uns in Hellas die
alten Namen der Inſeln, Berge und Städte entgegen, wie
anregend iſt es, die in der Schule erlernten Vokabeln nun
praktiſch verwerthen und die todte Sprache als eine lebende
gebrauchen zu lernen! Aber auch hier iſt nicht bloß Genuß
und Reiz, ſondern es iſt von ſprachgeſchichtlichem Intereſſe,
der Ueberlieferung ſorgfältiger nachzugehen und ſich zu über¬
zeugen, wie in abgelegenen Bergwinkeln, in einzelnen Mund¬
arten und den Redeweiſen gewiſſer Stände, wie der Schiffer
und Hirten, echt helleniſche Ausdrücke, die man für längſt ver¬
ſchollen hielt, aus homeriſcher Zeit durch alle Jahrhunderte
ſich erhalten haben.
Aber nicht bloß in der Sprache, auch in der Sitte, im
Volksglauben, im Cultus — wie lebendig tritt uns nicht
überall die Ueberlieferung entgegen! Sie wird in einzelnen
Beziehungen, wie es auch in Italien geſchieht, von den Ein¬
heimiſchen überſchätzt, iſt aber im Ganzen ſo unverkennbar und
weit verzweigt, daß es eine der anziehendſten Aufgaben iſt,
ihr mit ſorgſamer Forſchung nachzugehen in den Gründungs¬
legenden der Kapellen, in den an die Heiligenbilder ſich an¬
ſchließenden Sagen, in den Formen der Weihung, den prieſter¬
lichen Symbolen und Religionsgebräuchen. So erinnern am
Charfreitag, wenn jede Gemeinde ihren Chriſtus beſtattet, die
Umzüge des Volkes lebhaft an die Trauerfeſte der Alten,
wenn ſie ihre dem Hades verfallenen Götter bejammerten.
Der Sarg iſt nach alter Sitte mit Roſen bedeckt. Mit Weih¬
rauchgefäßen ſitzen die Frauen vor den Thüren, an denen der
Zug mit gellenden Klageliedern vorüberzieht, während an den
Freudenfeſten der heutigen Kirche der die ganze Stadt erfül¬
lende Lichterglanz uns die Kerzen und Fackelfeſte des alten
Götterdienſtes in das Gedächtniß ruft.
Die Beobachtungen, welche ſich in ſolcher Fülle demjenigen
aufdrängen, welcher in den klaſſiſchen Ländern verweilt, gehen
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