Ort gelten, der von dem, was hohe Kunst ist, allein eine Vor¬ stellung zu geben vermag.
Solche Werke gehören nicht Rom, sondern der Mensch¬ heit an, und dies haben vor Allen die Deutschen erkannt, welche nicht müde geworden sind, das menschliche Geistesleben in seiner Einheit zu begreifen. Wie eifrig haben schon unsere alten Meister, Dürer und Holbein, von den Italiänern ge¬ lernt, und was unsre heutige Malerei betrifft, so beginnt ihr Aufschwung mit dem Tage, da Asmus Carstens 1795 in der Casa Battoni seine Zeichnungen ausstellte. Alles war erstaunt in Rom; so fremdartig erschienen sie, bis man inne wurde, daß der bäuerische Mann von den äußersten Nordmarken Deutschlands in bewundernder Betrachtung der Kolosse des Quirinals und der vatikanischen Gemälde zu Werken von so großem Stile und so tiefen Gedanken begeistert worden war. Cornelius folgte; er erneuerte mit seinen Freunden im Bar¬ tholdy'schen Hause die monumentale Malerei; Malerei und Archi¬ tektur verbanden sich wieder mit einander; die deutsche Kunst war wieder aufgelebt in ungeahnter Herrlichkeit und Rom war ihre Wiege; nur in Rom hatte sie erstehen können, "wo noch der Geist der großen Meister schwebt und wirksam schwebt." Es war die klassische Kunst, in ihrer ewigen Wahr¬ heit von deutschem Auge erkannt, von deutscher Kraft wieder belebt, und wie wenig dabei die Individualität der einzelnen Künstler zu Schaden kam, erkennt man, wenn man Männer wie Carstens, Cornelius, Overbeck mit einander vergleicht, die alle in Rom ihre geistige Heimath fanden.
Die Poesie kann, wenn sie eine nationale bleiben will, nicht in gleichem Maße an vergangene Kunstepochen anknüp¬ fen; sie ist ja auch ihrer Natur nach von örtlichen Anschauun¬ gen unabhängiger, und doch, welche Bedeutung hat Rom für unsere Poesie gehabt, und wer kann in Rom verweilen ohne den Spuren Goethe's nachzugehen! Künstlerische Muße konnte er auch anderswo finden, aber nirgends sonst einen Ort, wo Gefühl, Beobachtung, Urtheil, wo der ganze Mensch so gleich¬ mäßig in Anspruch genommen wird ohne das Gedränge klein¬
Rom und die Deutſchen.
Ort gelten, der von dem, was hohe Kunſt iſt, allein eine Vor¬ ſtellung zu geben vermag.
Solche Werke gehören nicht Rom, ſondern der Menſch¬ heit an, und dies haben vor Allen die Deutſchen erkannt, welche nicht müde geworden ſind, das menſchliche Geiſtesleben in ſeiner Einheit zu begreifen. Wie eifrig haben ſchon unſere alten Meiſter, Dürer und Holbein, von den Italiänern ge¬ lernt, und was unſre heutige Malerei betrifft, ſo beginnt ihr Aufſchwung mit dem Tage, da Asmus Carſtens 1795 in der Caſa Battoni ſeine Zeichnungen ausſtellte. Alles war erſtaunt in Rom; ſo fremdartig erſchienen ſie, bis man inne wurde, daß der bäueriſche Mann von den äußerſten Nordmarken Deutſchlands in bewundernder Betrachtung der Koloſſe des Quirinals und der vatikaniſchen Gemälde zu Werken von ſo großem Stile und ſo tiefen Gedanken begeiſtert worden war. Cornelius folgte; er erneuerte mit ſeinen Freunden im Bar¬ tholdy'ſchen Hauſe die monumentale Malerei; Malerei und Archi¬ tektur verbanden ſich wieder mit einander; die deutſche Kunſt war wieder aufgelebt in ungeahnter Herrlichkeit und Rom war ihre Wiege; nur in Rom hatte ſie erſtehen können, »wo noch der Geiſt der großen Meiſter ſchwebt und wirkſam ſchwebt.« Es war die klaſſiſche Kunſt, in ihrer ewigen Wahr¬ heit von deutſchem Auge erkannt, von deutſcher Kraft wieder belebt, und wie wenig dabei die Individualität der einzelnen Künſtler zu Schaden kam, erkennt man, wenn man Männer wie Carſtens, Cornelius, Overbeck mit einander vergleicht, die alle in Rom ihre geiſtige Heimath fanden.
Die Poeſie kann, wenn ſie eine nationale bleiben will, nicht in gleichem Maße an vergangene Kunſtepochen anknüp¬ fen; ſie iſt ja auch ihrer Natur nach von örtlichen Anſchauun¬ gen unabhängiger, und doch, welche Bedeutung hat Rom für unſere Poeſie gehabt, und wer kann in Rom verweilen ohne den Spuren Goethe's nachzugehen! Künſtleriſche Muße konnte er auch anderswo finden, aber nirgends ſonſt einen Ort, wo Gefühl, Beobachtung, Urtheil, wo der ganze Menſch ſo gleich¬ mäßig in Anſpruch genommen wird ohne das Gedränge klein¬
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Rom und die Deutſchen.
Ort gelten, der von dem, was hohe Kunſt iſt, allein eine Vor¬
ſtellung zu geben vermag.
Solche Werke gehören nicht Rom, ſondern der Menſch¬
heit an, und dies haben vor Allen die Deutſchen erkannt,
welche nicht müde geworden ſind, das menſchliche Geiſtesleben
in ſeiner Einheit zu begreifen. Wie eifrig haben ſchon unſere
alten Meiſter, Dürer und Holbein, von den Italiänern ge¬
lernt, und was unſre heutige Malerei betrifft, ſo beginnt ihr
Aufſchwung mit dem Tage, da Asmus Carſtens 1795 in der
Caſa Battoni ſeine Zeichnungen ausſtellte. Alles war erſtaunt
in Rom; ſo fremdartig erſchienen ſie, bis man inne wurde,
daß der bäueriſche Mann von den äußerſten Nordmarken
Deutſchlands in bewundernder Betrachtung der Koloſſe des
Quirinals und der vatikaniſchen Gemälde zu Werken von ſo
großem Stile und ſo tiefen Gedanken begeiſtert worden war.
Cornelius folgte; er erneuerte mit ſeinen Freunden im Bar¬
tholdy'ſchen Hauſe die monumentale Malerei; Malerei und Archi¬
tektur verbanden ſich wieder mit einander; die deutſche Kunſt
war wieder aufgelebt in ungeahnter Herrlichkeit und Rom
war ihre Wiege; nur in Rom hatte ſie erſtehen können, »wo
noch der Geiſt der großen Meiſter ſchwebt und wirkſam
ſchwebt.« Es war die klaſſiſche Kunſt, in ihrer ewigen Wahr¬
heit von deutſchem Auge erkannt, von deutſcher Kraft wieder
belebt, und wie wenig dabei die Individualität der einzelnen
Künſtler zu Schaden kam, erkennt man, wenn man Männer
wie Carſtens, Cornelius, Overbeck mit einander vergleicht, die
alle in Rom ihre geiſtige Heimath fanden.
Die Poeſie kann, wenn ſie eine nationale bleiben will,
nicht in gleichem Maße an vergangene Kunſtepochen anknüp¬
fen; ſie iſt ja auch ihrer Natur nach von örtlichen Anſchauun¬
gen unabhängiger, und doch, welche Bedeutung hat Rom für
unſere Poeſie gehabt, und wer kann in Rom verweilen ohne
den Spuren Goethe's nachzugehen! Künſtleriſche Muße konnte
er auch anderswo finden, aber nirgends ſonſt einen Ort, wo
Gefühl, Beobachtung, Urtheil, wo der ganze Menſch ſo gleich¬
mäßig in Anſpruch genommen wird ohne das Gedränge klein¬
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Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/66>, abgerufen am 23.11.2024.
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