Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875.Der Weltgang der griechischen Cultur. der alten Bildung gegenüber; hier fand sie langsamer Ein¬gang, weil sie einer spröderen Volksthümlichkeit begegnete. Wie wenig vermochte die Anschauung der Antike bei unsern alten Meistern die eigenthümliche Kunstweise zu verändern! Die langsame Wirkung war aber um so wichtiger und inhalts¬ reicher. Das deutsche Volk hat die großen, geistigen Bewegungen, Es ist bekannt, unter welchen Kämpfen unser Volk diese Der Weltgang der griechiſchen Cultur. der alten Bildung gegenüber; hier fand ſie langſamer Ein¬gang, weil ſie einer ſpröderen Volksthümlichkeit begegnete. Wie wenig vermochte die Anſchauung der Antike bei unſern alten Meiſtern die eigenthümliche Kunſtweiſe zu verändern! Die langſame Wirkung war aber um ſo wichtiger und inhalts¬ reicher. Das deutſche Volk hat die großen, geiſtigen Bewegungen, Es iſt bekannt, unter welchen Kämpfen unſer Volk dieſe <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0090" n="74"/><fw place="top" type="header">Der Weltgang der griechiſchen Cultur.<lb/></fw> der alten Bildung gegenüber; hier fand ſie langſamer Ein¬<lb/> gang, weil ſie einer ſpröderen Volksthümlichkeit begegnete.<lb/> Wie wenig vermochte die Anſchauung der Antike bei unſern<lb/> alten Meiſtern die eigenthümliche Kunſtweiſe zu verändern!<lb/> Die langſame Wirkung war aber um ſo wichtiger und inhalts¬<lb/> reicher.</p><lb/> <p>Das deutſche Volk hat die großen, geiſtigen Bewegungen,<lb/> welche den Uebergang aus dem Mittelalter in die neue Zeit<lb/> begleiteten, am gründlichſten durchgemacht. Da aber im ſech¬<lb/> zehnten Jahrhundert neben den Quellen der alten Bildung<lb/> auch die der chriſtlichen Religion wieder bekannt wurden,<lb/> wandten ſich die Deutſchen dieſer Entdeckung mit ſolcher Be¬<lb/> geiſterung zu, daß ſie ſchon deshalb dem Einfluſſe der griechiſch-<lb/> römiſchen Bildung nicht ungetheilt und einſeitig huldigen konn¬<lb/> ten. Vielmehr wurden auch die neuen Hülfsmittel, welche die<lb/> klaſſiſchen Studien darboten, den kirchlichen Intereſſen dienſt¬<lb/> bar, und die Philologie hat der Theologie getreulich beige¬<lb/> ſtanden, um die religiöſe und wiſſenſchaftliche Selbſtändigkeit<lb/> der Deutſchen wieder herzuſtellen. Sie ſind zuſammen ſtark<lb/> geworden, aber auch die Erſchöpfung, welche folgte, traf beide<lb/> gemeinſam. Die Theologie entartete zu trockenem Dogmatis¬<lb/> mus, und die Humaniſten waren ſo wenig im Stande, die<lb/> Gegenwart in lebendiger und heilſamer Gemeinſchaft mit dem<lb/> klaſſiſchen Alterthume zu erhalten, daß die deutſche Litteratur<lb/> zu unwürdiger Nachahmung ausländiſcher Muſter herabſank<lb/> und ſich unter das Joch von Regeln beugte, welche aus mi߬<lb/> verſtandenen Kunſtlehren der Alten abgeleitet waren.</p><lb/> <p>Es iſt bekannt, unter welchen Kämpfen unſer Volk dieſe<lb/> geiſtige Fremdherrſchaft abgeworfen hat, wie die dumpfe At¬<lb/> moſphäre durch das ſcharfe Wehen des Leſſing'ſchen Geiſtes<lb/> gereinigt wurde und die Deutſchen ſich am Alterthume wieder<lb/> verjüngten und aufrichteten. Jetzt erſt trat für ſie die volle<lb/> Wirkung der alten Cultur ein; die nationale Sprödigkeit war<lb/> überwunden. Winckelmann wendete den vollſten Enthuſiasmus,<lb/> deſſen ein deutſches Gemüth fähig iſt, dem Alterthume zu;<lb/> Heimath und Glaube waren ihm gleichgültig in der entzückten<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [74/0090]
Der Weltgang der griechiſchen Cultur.
der alten Bildung gegenüber; hier fand ſie langſamer Ein¬
gang, weil ſie einer ſpröderen Volksthümlichkeit begegnete.
Wie wenig vermochte die Anſchauung der Antike bei unſern
alten Meiſtern die eigenthümliche Kunſtweiſe zu verändern!
Die langſame Wirkung war aber um ſo wichtiger und inhalts¬
reicher.
Das deutſche Volk hat die großen, geiſtigen Bewegungen,
welche den Uebergang aus dem Mittelalter in die neue Zeit
begleiteten, am gründlichſten durchgemacht. Da aber im ſech¬
zehnten Jahrhundert neben den Quellen der alten Bildung
auch die der chriſtlichen Religion wieder bekannt wurden,
wandten ſich die Deutſchen dieſer Entdeckung mit ſolcher Be¬
geiſterung zu, daß ſie ſchon deshalb dem Einfluſſe der griechiſch-
römiſchen Bildung nicht ungetheilt und einſeitig huldigen konn¬
ten. Vielmehr wurden auch die neuen Hülfsmittel, welche die
klaſſiſchen Studien darboten, den kirchlichen Intereſſen dienſt¬
bar, und die Philologie hat der Theologie getreulich beige¬
ſtanden, um die religiöſe und wiſſenſchaftliche Selbſtändigkeit
der Deutſchen wieder herzuſtellen. Sie ſind zuſammen ſtark
geworden, aber auch die Erſchöpfung, welche folgte, traf beide
gemeinſam. Die Theologie entartete zu trockenem Dogmatis¬
mus, und die Humaniſten waren ſo wenig im Stande, die
Gegenwart in lebendiger und heilſamer Gemeinſchaft mit dem
klaſſiſchen Alterthume zu erhalten, daß die deutſche Litteratur
zu unwürdiger Nachahmung ausländiſcher Muſter herabſank
und ſich unter das Joch von Regeln beugte, welche aus mi߬
verſtandenen Kunſtlehren der Alten abgeleitet waren.
Es iſt bekannt, unter welchen Kämpfen unſer Volk dieſe
geiſtige Fremdherrſchaft abgeworfen hat, wie die dumpfe At¬
moſphäre durch das ſcharfe Wehen des Leſſing'ſchen Geiſtes
gereinigt wurde und die Deutſchen ſich am Alterthume wieder
verjüngten und aufrichteten. Jetzt erſt trat für ſie die volle
Wirkung der alten Cultur ein; die nationale Sprödigkeit war
überwunden. Winckelmann wendete den vollſten Enthuſiasmus,
deſſen ein deutſches Gemüth fähig iſt, dem Alterthume zu;
Heimath und Glaube waren ihm gleichgültig in der entzückten
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