Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875.Die Kunst der Hellenen. alles Ausländische. Europa scheidet sich von Asien; in stür¬mischen Jahrhunderten geht die alte, mit dem Morgenlande verwachsene Ordnung der Dinge zu Grunde und wie die Io¬ nier, Achäer, Dorier ihre Staaten gründen, so erhebt sich auf dem Boden pelasgischer Völkerschaften die hellenische Welt. Daß diese Welt im Vergleiche mit allem früher Dagewese¬ So ist das Volk der Griechen mit dem gesammten Alter¬ 6*
Die Kunſt der Hellenen. alles Ausländiſche. Europa ſcheidet ſich von Aſien; in ſtür¬miſchen Jahrhunderten geht die alte, mit dem Morgenlande verwachſene Ordnung der Dinge zu Grunde und wie die Io¬ nier, Achäer, Dorier ihre Staaten gründen, ſo erhebt ſich auf dem Boden pelasgiſcher Völkerſchaften die helleniſche Welt. Daß dieſe Welt im Vergleiche mit allem früher Dageweſe¬ So iſt das Volk der Griechen mit dem geſammten Alter¬ 6*
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0099" n="83"/><fw place="top" type="header">Die Kunſt der Hellenen.<lb/></fw> alles Ausländiſche. Europa ſcheidet ſich von Aſien; in ſtür¬<lb/> miſchen Jahrhunderten geht die alte, mit dem Morgenlande<lb/> verwachſene Ordnung der Dinge zu Grunde und wie die Io¬<lb/> nier, Achäer, Dorier ihre Staaten gründen, ſo erhebt ſich auf<lb/> dem Boden pelasgiſcher Völkerſchaften die helleniſche Welt.</p><lb/> <p>Daß dieſe Welt im Vergleiche mit allem früher Dageweſe¬<lb/> nen etwas durchaus Neues ſei, das zeigt ſich ſchon aus den<lb/> örtlichen Bedingungen, welche jetzt, bei dem Eindringen der<lb/> geſchichtbildenden Stämme ihre volle Bedeutung erhalten. Das<lb/> von Meer und Gebirge durchſchnittene Land war nicht beſtimmt,<lb/> die Geſchichte des Orients fortzuſetzen. Während im Oriente<lb/> gleiche Culturen über Maſſen von Völkerſtämmen ausgebreitet<lb/> ſind und der Glanz ſeiner Reiche auf Vernichtung jeder Sonder¬<lb/> berechtigung, auf gleichförmiger Vereinigung unabſehlicher<lb/> Ländergebiete beruht — ſo entfaltet ſich hier die größte<lb/> Mannigfaltigkeit auf engſtem Raume. Die Möglichkeit der<lb/> Abgränzung und Abwehr in ſcharf gegliederten Bergkantonen<lb/> weckt den Trieb nach ſelbſtändigen Gauverfaſſungen; die Ar¬<lb/> beitsnöthigung, die der kargere Boden ſeinem Bewohner auf¬<lb/> legt, verhütet orientaliſche Erſchlaffung, und anſtatt daß namen¬<lb/> loſe Menſchenmaſſen durch Despotenlaunen getrieben werden,<lb/> erhebt ſich hier der Menſch zur geiſtigen Freiheit, für die er<lb/> geſchaffen iſt.</p><lb/> <p>So iſt das Volk der Griechen mit dem geſammten Alter¬<lb/> thume verbunden, ſo löſt es ſich wiederum von dem Mutter¬<lb/> ſchoße orientaliſcher Geſchichte ab, um den größten Fortſchritt<lb/> zu bezeichnen, welchen aus inwohnender Kraft die Menſchheit<lb/> der alten Welt gemacht hat. Der Gedanke einer harmoniſchen<lb/> Ausbildung der geiſtigen und leiblichen Natur iſt zuerſt von<lb/> den Griechen gedacht und mit raſtloſer Energie verwirklicht<lb/> worden; ſie haben gezeigt, daß der Menſch berufen ſei, ſeinen<lb/> Werken eine von Maſſe und Ausdehnung unabhängige Be¬<lb/> deutung zu verleihen, eine innere Größe, die auf der Selbſt¬<lb/> beſchränkung beruht; ſie haben dem Maße über das Maßloſe,<lb/> dem Geiſt über die Materie den Sieg verſchafft. Das iſt die<lb/> originellſte That, die ein Volk gethan hat, und je mehr wir<lb/> <fw place="bottom" type="sig">6*<lb/></fw> </p> </div> </body> </text> </TEI> [83/0099]
Die Kunſt der Hellenen.
alles Ausländiſche. Europa ſcheidet ſich von Aſien; in ſtür¬
miſchen Jahrhunderten geht die alte, mit dem Morgenlande
verwachſene Ordnung der Dinge zu Grunde und wie die Io¬
nier, Achäer, Dorier ihre Staaten gründen, ſo erhebt ſich auf
dem Boden pelasgiſcher Völkerſchaften die helleniſche Welt.
Daß dieſe Welt im Vergleiche mit allem früher Dageweſe¬
nen etwas durchaus Neues ſei, das zeigt ſich ſchon aus den
örtlichen Bedingungen, welche jetzt, bei dem Eindringen der
geſchichtbildenden Stämme ihre volle Bedeutung erhalten. Das
von Meer und Gebirge durchſchnittene Land war nicht beſtimmt,
die Geſchichte des Orients fortzuſetzen. Während im Oriente
gleiche Culturen über Maſſen von Völkerſtämmen ausgebreitet
ſind und der Glanz ſeiner Reiche auf Vernichtung jeder Sonder¬
berechtigung, auf gleichförmiger Vereinigung unabſehlicher
Ländergebiete beruht — ſo entfaltet ſich hier die größte
Mannigfaltigkeit auf engſtem Raume. Die Möglichkeit der
Abgränzung und Abwehr in ſcharf gegliederten Bergkantonen
weckt den Trieb nach ſelbſtändigen Gauverfaſſungen; die Ar¬
beitsnöthigung, die der kargere Boden ſeinem Bewohner auf¬
legt, verhütet orientaliſche Erſchlaffung, und anſtatt daß namen¬
loſe Menſchenmaſſen durch Despotenlaunen getrieben werden,
erhebt ſich hier der Menſch zur geiſtigen Freiheit, für die er
geſchaffen iſt.
So iſt das Volk der Griechen mit dem geſammten Alter¬
thume verbunden, ſo löſt es ſich wiederum von dem Mutter¬
ſchoße orientaliſcher Geſchichte ab, um den größten Fortſchritt
zu bezeichnen, welchen aus inwohnender Kraft die Menſchheit
der alten Welt gemacht hat. Der Gedanke einer harmoniſchen
Ausbildung der geiſtigen und leiblichen Natur iſt zuerſt von
den Griechen gedacht und mit raſtloſer Energie verwirklicht
worden; ſie haben gezeigt, daß der Menſch berufen ſei, ſeinen
Werken eine von Maſſe und Ausdehnung unabhängige Be¬
deutung zu verleihen, eine innere Größe, die auf der Selbſt¬
beſchränkung beruht; ſie haben dem Maße über das Maßloſe,
dem Geiſt über die Materie den Sieg verſchafft. Das iſt die
originellſte That, die ein Volk gethan hat, und je mehr wir
6*
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |