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Curtius, Georg: Zur Kritik der neuesten Sprachforschung. Leipzig, 1885.

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3) der gänzliche Mangel eines Beweises für die Existenz
eines arischen o.

Wir wenden uns nun nach einer andern Seite und stellen
Thatsachen des indogermanischen Formenbaues zusammen,
welche sich weit leichter aus der älteren als aus der neueren
Auffassung begreifen lassen. Wir können hier von der Er-
wägung ausgehen, dass die Periode der indogermanischen
Grundsprache nothwendigerweise grosse Zeiträume umfasst
und verschiedene Epochen gehabt haben muss. Man kann
einwenden, dass vieles, ja alles, was in diese frühen Zeiten
fällt, dunkel sei, aber dessenungeachtet dürfen solche Erwä-
gungen nicht übergangen werden, wir müssen uns vielmehr
stets der Existenz solcher Zeiten bewusst bleiben und dürfen
derartige Rücksichten auf unbestimmte Grössen in der Sprach-
wissenschaft ebenso wenig unbeachtet lassen, wie der Astro-
nom es unterlässt, die Einwirkung unsichtbarer Himmelskör-
per gelegentlich in seine Rechnung aufzunehmen. Bis jetzt
beschäftigten wir uns bei der Frage nach dem Alter des bun-
ten Vocalismus mehr mit den späteren Epochen jener langen
Periode, d. h. mit der Epoche, welche der der Spaltung und
allmählichen Zerklüftung der verwandten Sprachen unmittel-
bar
vorausgeht. Jetzt wenden wir uns den Anfängen des
gemeinsamen Sprachbaues zu. Wir fragen, was uns die ge-
gebenen und erschliessbaren Formen der Grundsprache in Be-
zug auf den Vocalismus sagen. Einiges wenigstens ist auch
ohne tieferes Eingehen in die Entstehung der Formen und
deren Zerlegung in ihre Elemente zu erreichen. Wir heben
folgende Punkte heraus:

1) In der O-Declination, wie sie sich in den südeuro-
päischen Sprachen zeigt, finden wir am Ende des Stammes
drei verschiedene Vocale:

a) Das o, das deutlich nachweisbar ist im Nom. Acc. Dat.
Loc. Gen. Abl. Sing., ferner im Dual und im Plural der Mas-

3) der gänzliche Mangel eines Beweises für die Existenz
eines arischen .

Wir wenden uns nun nach einer andern Seite und stellen
Thatsachen des indogermanischen Formenbaues zusammen,
welche sich weit leichter aus der älteren als aus der neueren
Auffassung begreifen lassen. Wir können hier von der Er-
wägung ausgehen, dass die Periode der indogermanischen
Grundsprache nothwendigerweise grosse Zeiträume umfasst
und verschiedene Epochen gehabt haben muss. Man kann
einwenden, dass vieles, ja alles, was in diese frühen Zeiten
fällt, dunkel sei, aber dessenungeachtet dürfen solche Erwä-
gungen nicht übergangen werden, wir müssen uns vielmehr
stets der Existenz solcher Zeiten bewusst bleiben und dürfen
derartige Rücksichten auf unbestimmte Grössen in der Sprach-
wissenschaft ebenso wenig unbeachtet lassen, wie der Astro-
nom es unterlässt, die Einwirkung unsichtbarer Himmelskör-
per gelegentlich in seine Rechnung aufzunehmen. Bis jetzt
beschäftigten wir uns bei der Frage nach dem Alter des bun-
ten Vocalismus mehr mit den späteren Epochen jener langen
Periode, d. h. mit der Epoche, welche der der Spaltung und
allmählichen Zerklüftung der verwandten Sprachen unmittel-
bar
vorausgeht. Jetzt wenden wir uns den Anfängen des
gemeinsamen Sprachbaues zu. Wir fragen, was uns die ge-
gebenen und erschliessbaren Formen der Grundsprache in Be-
zug auf den Vocalismus sagen. Einiges wenigstens ist auch
ohne tieferes Eingehen in die Entstehung der Formen und
deren Zerlegung in ihre Elemente zu erreichen. Wir heben
folgende Punkte heraus:

1) In der O-Declination, wie sie sich in den südeuro-
päischen Sprachen zeigt, finden wir am Ende des Stammes
drei verschiedene Vocale:

a) Das o, das deutlich nachweisbar ist im Nom. Acc. Dat.
Loc. Gen. Abl. Sing., ferner im Dual und im Plural der Mas-

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[110/0118] 3) der gänzliche Mangel eines Beweises für die Existenz eines arischen ŏ. Wir wenden uns nun nach einer andern Seite und stellen Thatsachen des indogermanischen Formenbaues zusammen, welche sich weit leichter aus der älteren als aus der neueren Auffassung begreifen lassen. Wir können hier von der Er- wägung ausgehen, dass die Periode der indogermanischen Grundsprache nothwendigerweise grosse Zeiträume umfasst und verschiedene Epochen gehabt haben muss. Man kann einwenden, dass vieles, ja alles, was in diese frühen Zeiten fällt, dunkel sei, aber dessenungeachtet dürfen solche Erwä- gungen nicht übergangen werden, wir müssen uns vielmehr stets der Existenz solcher Zeiten bewusst bleiben und dürfen derartige Rücksichten auf unbestimmte Grössen in der Sprach- wissenschaft ebenso wenig unbeachtet lassen, wie der Astro- nom es unterlässt, die Einwirkung unsichtbarer Himmelskör- per gelegentlich in seine Rechnung aufzunehmen. Bis jetzt beschäftigten wir uns bei der Frage nach dem Alter des bun- ten Vocalismus mehr mit den späteren Epochen jener langen Periode, d. h. mit der Epoche, welche der der Spaltung und allmählichen Zerklüftung der verwandten Sprachen unmittel- bar vorausgeht. Jetzt wenden wir uns den Anfängen des gemeinsamen Sprachbaues zu. Wir fragen, was uns die ge- gebenen und erschliessbaren Formen der Grundsprache in Be- zug auf den Vocalismus sagen. Einiges wenigstens ist auch ohne tieferes Eingehen in die Entstehung der Formen und deren Zerlegung in ihre Elemente zu erreichen. Wir heben folgende Punkte heraus: 1) In der O-Declination, wie sie sich in den südeuro- päischen Sprachen zeigt, finden wir am Ende des Stammes drei verschiedene Vocale: a) Das o, das deutlich nachweisbar ist im Nom. Acc. Dat. Loc. Gen. Abl. Sing., ferner im Dual und im Plural der Mas-

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Zitationshilfe: Curtius, Georg: Zur Kritik der neuesten Sprachforschung. Leipzig, 1885, S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_sprachforschung_1885/118>, abgerufen am 24.11.2024.