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Curtius, Georg: Zur Kritik der neuesten Sprachforschung. Leipzig, 1885.

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Jedenfalls steht ein Femininum wie sanskr. rudhiran dem Mas-
culinum rudhiras näher als das gleichbedeutende eruthran dem
Masculinum eruthros. So zeigt sich also auch hier wieder die
Priorität der östlichen Bildungsweise vor der westindoger-
manischen, nach dem Princip, dass die Bildungen, welche
in der einfachsten Weise als zusammengehörig erklärt wer-
den können, das Präjudiz höherer Alterthümlichkeit für sich
haben.

3) Aus der consonantischen Declination mag die Endung
des Gen. Sing, hervorgehoben werden. Hier zeigt sich zwar
gleichmässig im Griechischen und Lateinischen die Form mit
dem dumpferen Vocal (griech. os, altlat. os, us). Es mag sein,
dass die lateinische Form is durchweg auf einer Einmischung
der I-Formen in die Flexion der consonantischen Stämme zu-
rückgeführt werden muss, die ja ohne Zweifel eine Haupt-
eigenthümlichkeit der lateinischen Declination bildet. Aber
es bleibt doch wohl zu beachten, dass auch im Slawischen
der hellere E-Laut als Zeichen des Genitivs hervortritt, z. B.
ksl. nebo (Himmel = nephos), Gen. nebes-e (= nephe(s)-os). Es
ist also schwer zu sagen, welcher Vocal im europäischen
Sprachgebiet dieser Casusendung zuzuschreiben ist, während
im Sanskrit as unverändert bleibt. Und dieses as steckt doch
auch wahrscheinlich in dem Ausgang an der A-Declination,
z. B. griech. khorans, lat. familians, umbr. tutans. Wiederum also
trägt der sanskritische Vocalismus das Gepräge des ursprüng-
lichsten an sich.

4) Von den Personalendungen bringe ich hier nur zwei
zur Sprache. Die primäre Endung der 1. Pers. Plur. lautet
im Sanskrit masi oder mas, im Zend mahi, dor. mes, lat. mus.
Wie verbinden wir diese Formen? Lat. mus kann natürlich
auf *mos zurückgehen, von dessen Existenz freilich keine Spur
erhalten ist. Dieses erschlossene *mos mit dem dor. mes zu-
sammenzubringen, ist nur dann leicht, wenn wir mas als

Curtius, Zur Kritik. 8

Jedenfalls steht ein Femininum wie sanskr. rudhirā́ dem Mas-
culinum rudhirás näher als das gleichbedeutende ἐρυθρᾱ́ dem
Masculinum ἐϱυϑϱός. So zeigt sich also auch hier wieder die
Priorität der östlichen Bildungsweise vor der westindoger-
manischen, nach dem Princip, dass die Bildungen, welche
in der einfachsten Weise als zusammengehörig erklärt wer-
den können, das Präjudiz höherer Alterthümlichkeit für sich
haben.

3) Aus der consonantischen Declination mag die Endung
des Gen. Sing, hervorgehoben werden. Hier zeigt sich zwar
gleichmässig im Griechischen und Lateinischen die Form mit
dem dumpferen Vocal (griech. ος, altlat. os, us). Es mag sein,
dass die lateinische Form is durchweg auf einer Einmischung
der I-Formen in die Flexion der consonantischen Stämme zu-
rückgeführt werden muss, die ja ohne Zweifel eine Haupt-
eigenthümlichkeit der lateinischen Declination bildet. Aber
es bleibt doch wohl zu beachten, dass auch im Slawischen
der hellere E-Laut als Zeichen des Genitivs hervortritt, z. B.
ksl. nebo (Himmel = νέφος), Gen. nebes-e (= νέφε(σ)-ος). Es
ist also schwer zu sagen, welcher Vocal im europäischen
Sprachgebiet dieser Casusendung zuzuschreiben ist, während
im Sanskrit as unverändert bleibt. Und dieses as steckt doch
auch wahrscheinlich in dem Ausgang der A-Declination,
z. B. griech. χώρᾱς, lat. familiās, umbr. tutās. Wiederum also
trägt der sanskritische Vocalismus das Gepräge des ursprüng-
lichsten an sich.

4) Von den Personalendungen bringe ich hier nur zwei
zur Sprache. Die primäre Endung der 1. Pers. Plur. lautet
im Sanskrit masi oder mas, im Zend mahi, dor. μες, lat. mus.
Wie verbinden wir diese Formen? Lat. mus kann natürlich
auf *mos zurückgehen, von dessen Existenz freilich keine Spur
erhalten ist. Dieses erschlossene *mos mit dem dor. μες zu-
sammenzubringen, ist nur dann leicht, wenn wir mas als

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[113/0121] Jedenfalls steht ein Femininum wie sanskr. rudhirā́ dem Mas- culinum rudhirás näher als das gleichbedeutende ἐρυθρᾱ́ dem Masculinum ἐϱυϑϱός. So zeigt sich also auch hier wieder die Priorität der östlichen Bildungsweise vor der westindoger- manischen, nach dem Princip, dass die Bildungen, welche in der einfachsten Weise als zusammengehörig erklärt wer- den können, das Präjudiz höherer Alterthümlichkeit für sich haben. 3) Aus der consonantischen Declination mag die Endung des Gen. Sing, hervorgehoben werden. Hier zeigt sich zwar gleichmässig im Griechischen und Lateinischen die Form mit dem dumpferen Vocal (griech. ος, altlat. os, us). Es mag sein, dass die lateinische Form is durchweg auf einer Einmischung der I-Formen in die Flexion der consonantischen Stämme zu- rückgeführt werden muss, die ja ohne Zweifel eine Haupt- eigenthümlichkeit der lateinischen Declination bildet. Aber es bleibt doch wohl zu beachten, dass auch im Slawischen der hellere E-Laut als Zeichen des Genitivs hervortritt, z. B. ksl. nebo (Himmel = νέφος), Gen. nebes-e (= νέφε(σ)-ος). Es ist also schwer zu sagen, welcher Vocal im europäischen Sprachgebiet dieser Casusendung zuzuschreiben ist, während im Sanskrit as unverändert bleibt. Und dieses as steckt doch auch wahrscheinlich in dem Ausgang ā der A-Declination, z. B. griech. χώρᾱς, lat. familiās, umbr. tutās. Wiederum also trägt der sanskritische Vocalismus das Gepräge des ursprüng- lichsten an sich. 4) Von den Personalendungen bringe ich hier nur zwei zur Sprache. Die primäre Endung der 1. Pers. Plur. lautet im Sanskrit masi oder mas, im Zend mahi, dor. μες, lat. mus. Wie verbinden wir diese Formen? Lat. mus kann natürlich auf *mos zurückgehen, von dessen Existenz freilich keine Spur erhalten ist. Dieses erschlossene *mos mit dem dor. μες zu- sammenzubringen, ist nur dann leicht, wenn wir mas als Curtius, Zur Kritik. 8

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Zitationshilfe: Curtius, Georg: Zur Kritik der neuesten Sprachforschung. Leipzig, 1885, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_sprachforschung_1885/121>, abgerufen am 24.11.2024.