Curtius, Georg: Zur Kritik der neuesten Sprachforschung. Leipzig, 1885.durch ein engeres gekreuzt und begrenzt wurde, musste natür- durch ein engeres gekreuzt und begrenzt wurde, musste natür- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0015" n="7"/> durch ein engeres gekreuzt und begrenzt wurde, musste natür-<lb/> lich eine Ausnahme, aber eben eine die Regel zugleich be-<lb/> stätigende, zugelassen werden. Aber bald ging man weiter.<lb/> Sämmtliche früheren Forscher hatten ohne jedes Bedenken<lb/> in den verschiedensten Sprachen einen Theil der Lautbewe-<lb/> gungen überhaupt <hi rendition="#g">gar nicht </hi>unter bestimmte Gesetze ge-<lb/> bracht. Dass ein auslautender Consonant z. B. im altlat.<lb/><hi rendition="#i"><foreign xml:lang="lat">duonoro</foreign></hi> verklingen könne, während andrerseits an gleicher<lb/> Stelle und zu gleicher Zeit das ursprüngliche <hi rendition="#i">m</hi> sich unver-<lb/> ändert erhielt, dass eine Form mit zwei anlautenden Conso-<lb/> nanten, z. B. skr. <hi rendition="#i"><foreign xml:lang="san">stṛ</foreign></hi> Stern, neben dem gleichbedeutenden<lb/><hi rendition="#i"><foreign xml:lang="san">tārā</foreign></hi>, sich in demselben Sprachgebiet halten, dass ein aus-<lb/> lautender Vocal, ohne dass von einem Gesetz die Rede sein<lb/> kann, sich im lateinischen <hi rendition="#i"><foreign xml:lang="lat">jace</foreign></hi> halten, in <hi rendition="#i"><foreign xml:lang="lat">fac</foreign></hi> aber abfallen<lb/> könne, dass <hi rendition="#i"><foreign xml:lang="ell">ἐθέλω</foreign></hi> und <hi rendition="#i"><foreign xml:lang="ell">θέλω</foreign></hi> neben einander bestehen dür-<lb/> fen, ohne etymologisch verschieden zu sein, auch wenn man<lb/> den Abfall oder andrerseits den Zuwachs des anlautenden<lb/> Vocals nicht in die Schranken eines Gesetzes zu bringen ver-<lb/> mag, das alles galt bis dahin für zulässig. In diesem Sinne<lb/> habe ich in meinen Grundzügen der Etymologie für den grie-<lb/> chischen Lautwandel zwei Arten unterschieden, den <hi rendition="#g">con-<lb/> stanten</hi> und den <hi rendition="#g">sporadischen</hi>, und gerade für diese<lb/> Zweitheilung hat es mir längere Zeit hindurch nicht an man-<lb/> nichfaltiger Zustimmung gefehlt. Ich gestehe sogar, dass ich,<lb/> selbst wenn — was ich bestreite — das neue Axiom sich in<lb/> seiner Allgemeinheit wirklich erweisen liesse, heut zu Tage<lb/> ebenso verfahren würde. Jedenfalls lag darin gegenüber der<lb/> früheren Vermischung verschiedenartiger Lautveränderung das,<lb/> was wir ja alle erstreben, eine Begränzung der Willkür. Ich<lb/> halte mich an den Spruch: Est quodam prodire tenus, si non<lb/> datur ultra. Das seltne vom durchgreifenden zu unterscheiden,<lb/> ist doch immer etwas. Damit das letzte Wort gesprochen zu<lb/> haben in Bezug auf viele schwierige Fragen, habe ich mir<lb/> nie eingebildet und schon durch den Titel ‘Grundzüge der<lb/><lb/> </p> </div> </body> </text> </TEI> [7/0015]
durch ein engeres gekreuzt und begrenzt wurde, musste natür-
lich eine Ausnahme, aber eben eine die Regel zugleich be-
stätigende, zugelassen werden. Aber bald ging man weiter.
Sämmtliche früheren Forscher hatten ohne jedes Bedenken
in den verschiedensten Sprachen einen Theil der Lautbewe-
gungen überhaupt gar nicht unter bestimmte Gesetze ge-
bracht. Dass ein auslautender Consonant z. B. im altlat.
duonoro verklingen könne, während andrerseits an gleicher
Stelle und zu gleicher Zeit das ursprüngliche m sich unver-
ändert erhielt, dass eine Form mit zwei anlautenden Conso-
nanten, z. B. skr. stṛ Stern, neben dem gleichbedeutenden
tārā, sich in demselben Sprachgebiet halten, dass ein aus-
lautender Vocal, ohne dass von einem Gesetz die Rede sein
kann, sich im lateinischen jace halten, in fac aber abfallen
könne, dass ἐθέλω und θέλω neben einander bestehen dür-
fen, ohne etymologisch verschieden zu sein, auch wenn man
den Abfall oder andrerseits den Zuwachs des anlautenden
Vocals nicht in die Schranken eines Gesetzes zu bringen ver-
mag, das alles galt bis dahin für zulässig. In diesem Sinne
habe ich in meinen Grundzügen der Etymologie für den grie-
chischen Lautwandel zwei Arten unterschieden, den con-
stanten und den sporadischen, und gerade für diese
Zweitheilung hat es mir längere Zeit hindurch nicht an man-
nichfaltiger Zustimmung gefehlt. Ich gestehe sogar, dass ich,
selbst wenn — was ich bestreite — das neue Axiom sich in
seiner Allgemeinheit wirklich erweisen liesse, heut zu Tage
ebenso verfahren würde. Jedenfalls lag darin gegenüber der
früheren Vermischung verschiedenartiger Lautveränderung das,
was wir ja alle erstreben, eine Begränzung der Willkür. Ich
halte mich an den Spruch: Est quodam prodire tenus, si non
datur ultra. Das seltne vom durchgreifenden zu unterscheiden,
ist doch immer etwas. Damit das letzte Wort gesprochen zu
haben in Bezug auf viele schwierige Fragen, habe ich mir
nie eingebildet und schon durch den Titel ‘Grundzüge der
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