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Curtius, Georg: Zur Kritik der neuesten Sprachforschung. Leipzig, 1885.

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mit diesen, wie ich glaube, wenig beachteten Betrachtungen
wollen wir uns einige solcher Fälle, besonders aus dem Grie-
chischen und Lateinischen, vorführen.

1) Im Auslaut bietet sich für die Griechen infolge ihres
consonantischen Auslautsgesetzes bekanntlich nur nach s, n
und r die unmittelbare Gelegenheit nach einem Consonanten
einen Endvocal zu unterdrücken. Allgemein nahm man bis
vor wenigen Jahren an, dass die Ausgänge des Dativ Pluralis
auf -ois, -ais und -es aus -oisi, -aisi und -esi entstanden
seien. Jetzt hat Osthoff in den "Morpholog. Untersuchungen"
II, 1 ff. die kürzeren Formen von den längeren vollständig zu
scheiden gesucht, worin G. Meyer S. 309 seiner Grammatik
ihm gefolgt ist. Beide bezeichnen die kürzeren Formen als
Instrumentale, die längeren als Locative. Dergleichen An-
nahmen von wesentlicher Bedeutungsveränderung und Ver-
mischung ursprünglich durchaus verschiedener Sprachformen
sind jetzt sehr beliebt. Den Sprachen wird in Bezug auf
Lautveränderung sehr wenig, in Bezug auf Bedeutungsver-
schiebung sehr viel zugestanden. Ein gewichtiger Einwand
gegen die Scheidung der erwähnten kürzeren Formen von
den längeren kann, glaube ich, ihrer Statistik bei Homer ent-
nommen werden. Man wusste längst, dass hier die kürzeren
unendlich viel seltner seien als die längeren, aber Nauck hat
in den Mel. greco - rom. IV, 244 ff. im Anschluss an frühere
Homeriker und unter bedingter Zustimmung Christ's (Homeri
Iliadis carmina I p. 141) es wahrscheinlich gemacht, dass bei
Homer die kürzeren Formen vor Vocalen ursprünglich allein
ihren Sitz hatten, also durch Elision des i entstanden sind *),
von wo sie sich erst allmählich weiter verbreiteten. Die
längeren Formen haben sich im Ionischen durchweg, im Alt-

*) Ich freue mich, dass Joh. Schmidt Ztschr. XXY 39 an dem Abfall
eines i keinen Anstoss nimmt, indem er agkas als eine Verkürzung von
*agkasi betrachtet.

mit diesen, wie ich glaube, wenig beachteten Betrachtungen
wollen wir uns einige solcher Fälle, besonders aus dem Grie-
chischen und Lateinischen, vorführen.

1) Im Auslaut bietet sich für die Griechen infolge ihres
consonantischen Auslautsgesetzes bekanntlich nur nach ς, ν
und ρ die unmittelbare Gelegenheit nach einem Consonanten
einen Endvocal zu unterdrücken. Allgemein nahm man bis
vor wenigen Jahren an, dass die Ausgänge des Dativ Pluralis
auf -oις, -αις und -ῃς aus -οισι, -αισι und -ῃσι entstanden
seien. Jetzt hat Osthoff in den „Morpholog. Untersuchungen"
II, 1 ff. die kürzeren Formen von den längeren vollständig zu
scheiden gesucht, worin G. Meyer S. 309 seiner Grammatik
ihm gefolgt ist. Beide bezeichnen die kürzeren Formen als
Instrumentale, die längeren als Locative. Dergleichen An-
nahmen von wesentlicher Bedeutungsveränderung und Ver-
mischung ursprünglich durchaus verschiedener Sprachformen
sind jetzt sehr beliebt. Den Sprachen wird in Bezug auf
Lautveränderung sehr wenig, in Bezug auf Bedeutungsver-
schiebung sehr viel zugestanden. Ein gewichtiger Einwand
gegen die Scheidung der erwähnten kürzeren Formen von
den längeren kann, glaube ich, ihrer Statistik bei Homer ent-
nommen werden. Man wusste längst, dass hier die kürzeren
unendlich viel seltner seien als die längeren, aber Nauck hat
in den Mél. gréco - rom. IV, 244 ff. im Anschluss an frühere
Homeriker und unter bedingter Zustimmung Christ's (Homeri
Iliadis carmina I p. 141) es wahrscheinlich gemacht, dass bei
Homer die kürzeren Formen vor Vocalen ursprünglich allein
ihren Sitz hatten, also durch Elision des ι entstanden sind *),
von wo sie sich erst allmählich weiter verbreiteten. Die
längeren Formen haben sich im Ionischen durchweg, im Alt-

*) Ich freue mich, dass Joh. Schmidt Ztschr. XXY 39 an dem Abfall
eines ι keinen Anstoss nimmt, indem er ἀγκάς als eine Verkürzung von
*ἀγκάσι betrachtet.
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[24/0032] mit diesen, wie ich glaube, wenig beachteten Betrachtungen wollen wir uns einige solcher Fälle, besonders aus dem Grie- chischen und Lateinischen, vorführen. 1) Im Auslaut bietet sich für die Griechen infolge ihres consonantischen Auslautsgesetzes bekanntlich nur nach ς, ν und ρ die unmittelbare Gelegenheit nach einem Consonanten einen Endvocal zu unterdrücken. Allgemein nahm man bis vor wenigen Jahren an, dass die Ausgänge des Dativ Pluralis auf -oις, -αις und -ῃς aus -οισι, -αισι und -ῃσι entstanden seien. Jetzt hat Osthoff in den „Morpholog. Untersuchungen" II, 1 ff. die kürzeren Formen von den längeren vollständig zu scheiden gesucht, worin G. Meyer S. 309 seiner Grammatik ihm gefolgt ist. Beide bezeichnen die kürzeren Formen als Instrumentale, die längeren als Locative. Dergleichen An- nahmen von wesentlicher Bedeutungsveränderung und Ver- mischung ursprünglich durchaus verschiedener Sprachformen sind jetzt sehr beliebt. Den Sprachen wird in Bezug auf Lautveränderung sehr wenig, in Bezug auf Bedeutungsver- schiebung sehr viel zugestanden. Ein gewichtiger Einwand gegen die Scheidung der erwähnten kürzeren Formen von den längeren kann, glaube ich, ihrer Statistik bei Homer ent- nommen werden. Man wusste längst, dass hier die kürzeren unendlich viel seltner seien als die längeren, aber Nauck hat in den Mél. gréco - rom. IV, 244 ff. im Anschluss an frühere Homeriker und unter bedingter Zustimmung Christ's (Homeri Iliadis carmina I p. 141) es wahrscheinlich gemacht, dass bei Homer die kürzeren Formen vor Vocalen ursprünglich allein ihren Sitz hatten, also durch Elision des ι entstanden sind *), von wo sie sich erst allmählich weiter verbreiteten. Die längeren Formen haben sich im Ionischen durchweg, im Alt- *) Ich freue mich, dass Joh. Schmidt Ztschr. XXY 39 an dem Abfall eines ι keinen Anstoss nimmt, indem er ἀγκάς als eine Verkürzung von *ἀγκάσι betrachtet.

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Zitationshilfe: Curtius, Georg: Zur Kritik der neuesten Sprachforschung. Leipzig, 1885, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_sprachforschung_1885/32>, abgerufen am 24.11.2024.