So lange die unumschränkte Herrschaft dauert ist der Staat ein mythologisches Wesen; Alles kommt darauf an den Mythus festzuhalten daß Macht und Weisheit, un- auflöslich verschlungen, auf demselben Throne sitzen, ohne sich einander zu verdrängen. Sobald aber regelmäßig wie- derkehrende Ständeversammlungen berufen werden, nimmt das Wissen vom Staate seinen Anfang. Es ist nun von Oben her anerkannt daß der Inhaber der Macht ungenü- gend berathen seyn könne. Eine Lücke im Staatswesen ist zugestanden, welche durch Einsicht aus dem Volke her er- gänzt werden soll. Aber jede Einsicht ist Macht, aus Vie- len und Erlesenen redend große Macht. Darum werden Reichsstände, wie man sich auch stelle, immer eine ent- scheidende Stimme führen, und beharrt eine Staatsregie- rung dabei sie als bloß rathgebend zu behandeln, so ver- tieft sie sich in einen Wortstreit, bei welchem sie nothwen- dig den Kürzeren ziehen muß. Besonders entscheidend mußten die Generalstaaten Ludwigs XVI. auftreten, und
1. Die Form der Reichsſtaͤnde.
So lange die unumſchränkte Herrſchaft dauert iſt der Staat ein mythologiſches Weſen; Alles kommt darauf an den Mythus feſtzuhalten daß Macht und Weisheit, un- auflöslich verſchlungen, auf demſelben Throne ſitzen, ohne ſich einander zu verdrängen. Sobald aber regelmäßig wie- derkehrende Ständeverſammlungen berufen werden, nimmt das Wiſſen vom Staate ſeinen Anfang. Es iſt nun von Oben her anerkannt daß der Inhaber der Macht ungenü- gend berathen ſeyn könne. Eine Lücke im Staatsweſen iſt zugeſtanden, welche durch Einſicht aus dem Volke her er- gänzt werden ſoll. Aber jede Einſicht iſt Macht, aus Vie- len und Erleſenen redend große Macht. Darum werden Reichsſtände, wie man ſich auch ſtelle, immer eine ent- ſcheidende Stimme führen, und beharrt eine Staatsregie- rung dabei ſie als bloß rathgebend zu behandeln, ſo ver- tieft ſie ſich in einen Wortſtreit, bei welchem ſie nothwen- dig den Kürzeren ziehen muß. Beſonders entſcheidend mußten die Generalſtaaten Ludwigs XVI. auftreten, und
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[[141]/0151]
1. Die Form der Reichsſtaͤnde.
So lange die unumſchränkte Herrſchaft dauert iſt der
Staat ein mythologiſches Weſen; Alles kommt darauf
an den Mythus feſtzuhalten daß Macht und Weisheit, un-
auflöslich verſchlungen, auf demſelben Throne ſitzen, ohne
ſich einander zu verdrängen. Sobald aber regelmäßig wie-
derkehrende Ständeverſammlungen berufen werden, nimmt
das Wiſſen vom Staate ſeinen Anfang. Es iſt nun von
Oben her anerkannt daß der Inhaber der Macht ungenü-
gend berathen ſeyn könne. Eine Lücke im Staatsweſen iſt
zugeſtanden, welche durch Einſicht aus dem Volke her er-
gänzt werden ſoll. Aber jede Einſicht iſt Macht, aus Vie-
len und Erleſenen redend große Macht. Darum werden
Reichsſtände, wie man ſich auch ſtelle, immer eine ent-
ſcheidende Stimme führen, und beharrt eine Staatsregie-
rung dabei ſie als bloß rathgebend zu behandeln, ſo ver-
tieft ſie ſich in einen Wortſtreit, bei welchem ſie nothwen-
dig den Kürzeren ziehen muß. Beſonders entſcheidend
mußten die Generalſtaaten Ludwigs XVI. auftreten, und
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Dahlmann, Friedrich Christoph: Geschichte der französischen Revolution bis auf die Stiftung der Republik. Leipzig, 1845, S. [141]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_geschichte_1845/151>, abgerufen am 27.11.2024.
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