Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Dahlmann, Friedrich Christoph: Geschichte der französischen Revolution bis auf die Stiftung der Republik. Leipzig, 1845.

Bild:
<< vorherige Seite

die Hauptstadt erwählt hätte, entschieden) die Reichs-
stände zusammentraten, ward erst vierzehn Tage später fer-Mai 19.
tig. Damals aber war bereits Alles so aufgeregt, daß die
pariser Wähler des dritten Standes beschlossen sich über-
haupt nicht aufzulösen, sondern von Zeit zu Zeit Ver-
sammlungen zu halten, um ihre zwanzig Abgeordneten
beobachten und deren Zweifel lösen zu können. Der Ein-
spruch der königlichen Commissarien für das Wahlgeschäft
blieb unbeachtet. Man besaß somit neben den 1200
Reichsständen in Versailles eine berathschlagende Bürger-
versammlung von drei bis vierhundert Mitgliedern in der
Hauptstadt. Und was hinderte die Wähler in den Pro-
vinzen es eben so zu machen?

Zu gleicher Zeit verbreitete sich die Nachricht daß gar
keine Edelleute aus der Bretagne kämen. Der Adel dort
hatte beschlossen den Reichstag nicht zu beschicken und der
hohe Klerus machte gemeinschaftliche Sache mit ihm. Um
so trotziger traten die 42 Abgeordneten seines dritten
Standes auf; manches drohende Wort von ihnen wies
auf Entwürfe hin, wie sie doch nur in wenigen Cahiers
vorgekommen waren, als: überhaupt keinen Adel mehr,
oder nur persönlichen, oder er mag mit den Familien, die
ihn gegenwärtig besitzen, aussterben. Aus den Verbin-
dungen, welche diese Bretagner knüpften, ist späterhin
der Jacobinerclub hervorgegangen.

Jetzt konnte man schon einen Überschlag machen, der
die Physiognomie der Versammlung andeutete. Der Adel

11*

die Hauptſtadt erwählt hätte, entſchieden) die Reichs-
ſtände zuſammentraten, ward erſt vierzehn Tage ſpäter fer-Mai 19.
tig. Damals aber war bereits Alles ſo aufgeregt, daß die
pariſer Wähler des dritten Standes beſchloſſen ſich über-
haupt nicht aufzulöſen, ſondern von Zeit zu Zeit Ver-
ſammlungen zu halten, um ihre zwanzig Abgeordneten
beobachten und deren Zweifel löſen zu können. Der Ein-
ſpruch der königlichen Commiſſarien für das Wahlgeſchäft
blieb unbeachtet. Man beſaß ſomit neben den 1200
Reichsſtänden in Verſailles eine berathſchlagende Bürger-
verſammlung von drei bis vierhundert Mitgliedern in der
Hauptſtadt. Und was hinderte die Wähler in den Pro-
vinzen es eben ſo zu machen?

Zu gleicher Zeit verbreitete ſich die Nachricht daß gar
keine Edelleute aus der Bretagne kämen. Der Adel dort
hatte beſchloſſen den Reichstag nicht zu beſchicken und der
hohe Klerus machte gemeinſchaftliche Sache mit ihm. Um
ſo trotziger traten die 42 Abgeordneten ſeines dritten
Standes auf; manches drohende Wort von ihnen wies
auf Entwürfe hin, wie ſie doch nur in wenigen Cahiers
vorgekommen waren, als: überhaupt keinen Adel mehr,
oder nur perſönlichen, oder er mag mit den Familien, die
ihn gegenwärtig beſitzen, ausſterben. Aus den Verbin-
dungen, welche dieſe Bretagner knüpften, iſt ſpäterhin
der Jacobinerclub hervorgegangen.

Jetzt konnte man ſchon einen Überſchlag machen, der
die Phyſiognomie der Verſammlung andeutete. Der Adel

11*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0173" n="163"/>
die Haupt&#x017F;tadt erwählt hätte, ent&#x017F;chieden) die Reichs-<lb/>
&#x017F;tände zu&#x017F;ammentraten, ward er&#x017F;t vierzehn Tage &#x017F;päter fer-<note place="right">Mai 19.</note><lb/>
tig. Damals aber war bereits Alles &#x017F;o aufgeregt, daß die<lb/>
pari&#x017F;er Wähler des dritten Standes be&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ich über-<lb/>
haupt nicht aufzulö&#x017F;en, &#x017F;ondern von Zeit zu Zeit Ver-<lb/>
&#x017F;ammlungen zu halten, um ihre zwanzig Abgeordneten<lb/>
beobachten und deren Zweifel lö&#x017F;en zu können. Der Ein-<lb/>
&#x017F;pruch der königlichen Commi&#x017F;&#x017F;arien für das Wahlge&#x017F;chäft<lb/>
blieb unbeachtet. Man be&#x017F;&#x017F;omit neben den 1200<lb/>
Reichs&#x017F;tänden in Ver&#x017F;ailles eine berath&#x017F;chlagende Bürger-<lb/>
ver&#x017F;ammlung von drei bis vierhundert Mitgliedern in der<lb/>
Haupt&#x017F;tadt. Und was hinderte die Wähler in den Pro-<lb/>
vinzen es eben &#x017F;o zu machen?</p><lb/>
          <p>Zu gleicher Zeit verbreitete &#x017F;ich die Nachricht daß gar<lb/>
keine Edelleute aus der Bretagne kämen. Der Adel dort<lb/>
hatte be&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en den Reichstag nicht zu be&#x017F;chicken und der<lb/>
hohe Klerus machte gemein&#x017F;chaftliche Sache mit ihm. Um<lb/>
&#x017F;o trotziger traten die 42 Abgeordneten &#x017F;eines dritten<lb/>
Standes auf; manches drohende Wort von ihnen wies<lb/>
auf Entwürfe hin, wie &#x017F;ie doch nur in wenigen Cahiers<lb/>
vorgekommen waren, als: überhaupt keinen Adel mehr,<lb/>
oder nur per&#x017F;önlichen, oder er mag mit den Familien, die<lb/>
ihn gegenwärtig be&#x017F;itzen, aus&#x017F;terben. Aus den Verbin-<lb/>
dungen, welche die&#x017F;e Bretagner knüpften, i&#x017F;t &#x017F;päterhin<lb/>
der Jacobinerclub hervorgegangen.</p><lb/>
          <p>Jetzt konnte man &#x017F;chon einen Über&#x017F;chlag machen, der<lb/>
die Phy&#x017F;iognomie der Ver&#x017F;ammlung andeutete. Der Adel<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">11*</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[163/0173] die Hauptſtadt erwählt hätte, entſchieden) die Reichs- ſtände zuſammentraten, ward erſt vierzehn Tage ſpäter fer- tig. Damals aber war bereits Alles ſo aufgeregt, daß die pariſer Wähler des dritten Standes beſchloſſen ſich über- haupt nicht aufzulöſen, ſondern von Zeit zu Zeit Ver- ſammlungen zu halten, um ihre zwanzig Abgeordneten beobachten und deren Zweifel löſen zu können. Der Ein- ſpruch der königlichen Commiſſarien für das Wahlgeſchäft blieb unbeachtet. Man beſaß ſomit neben den 1200 Reichsſtänden in Verſailles eine berathſchlagende Bürger- verſammlung von drei bis vierhundert Mitgliedern in der Hauptſtadt. Und was hinderte die Wähler in den Pro- vinzen es eben ſo zu machen? Mai 19. Zu gleicher Zeit verbreitete ſich die Nachricht daß gar keine Edelleute aus der Bretagne kämen. Der Adel dort hatte beſchloſſen den Reichstag nicht zu beſchicken und der hohe Klerus machte gemeinſchaftliche Sache mit ihm. Um ſo trotziger traten die 42 Abgeordneten ſeines dritten Standes auf; manches drohende Wort von ihnen wies auf Entwürfe hin, wie ſie doch nur in wenigen Cahiers vorgekommen waren, als: überhaupt keinen Adel mehr, oder nur perſönlichen, oder er mag mit den Familien, die ihn gegenwärtig beſitzen, ausſterben. Aus den Verbin- dungen, welche dieſe Bretagner knüpften, iſt ſpäterhin der Jacobinerclub hervorgegangen. Jetzt konnte man ſchon einen Überſchlag machen, der die Phyſiognomie der Verſammlung andeutete. Der Adel 11*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_geschichte_1845
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_geschichte_1845/173
Zitationshilfe: Dahlmann, Friedrich Christoph: Geschichte der französischen Revolution bis auf die Stiftung der Republik. Leipzig, 1845, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_geschichte_1845/173>, abgerufen am 23.11.2024.