In denselben Tagen da der Kampf zwischen der Re- gierung und der Nationalversammlung begann, nahmen die Verfassungsarbeiten ihren Anfang. Man wollte dem Vaterlande zeigen, daß man weit mehr mit seiner Pflicht als mit seiner Gefahr beschäftigt sey. Von dieser Ver- sammlung, in welcher ein mächtiges Genie und viele Ta- lente, viele Männer von edler und bewährter Gesinnung saßen, erwartete der bei Weitem größte Theil der Bevöl- kerung Frankreichs seine politische Wiedergeburt, und man durfte hoch gespannte Erwartungen nicht übertrieben schelten. Die Kurzsichtigkeit der Regierung, welche weder die Grundlinien der künftigen Staatsverfassung bezeich- nete, noch einen Verfassungsentwurf zur Berathung vor- legte, hätte zwar einen üblen Ausgang von Anfang her voraussehen lassen müssen, allein bei der kläglichen Un- wissenheit über Staatssachen, welche bei unumschränkt regierten Völkern zu Hause ist, freute man sich in und außer der Versammlung der freien Hand, welche ihr ge-
5. Die Schoͤpfungen der Nationalver- ſammlung.
In denſelben Tagen da der Kampf zwiſchen der Re- gierung und der Nationalverſammlung begann, nahmen die Verfaſſungsarbeiten ihren Anfang. Man wollte dem Vaterlande zeigen, daß man weit mehr mit ſeiner Pflicht als mit ſeiner Gefahr beſchäftigt ſey. Von dieſer Ver- ſammlung, in welcher ein mächtiges Genie und viele Ta- lente, viele Männer von edler und bewährter Geſinnung ſaßen, erwartete der bei Weitem größte Theil der Bevöl- kerung Frankreichs ſeine politiſche Wiedergeburt, und man durfte hoch geſpannte Erwartungen nicht übertrieben ſchelten. Die Kurzſichtigkeit der Regierung, welche weder die Grundlinien der künftigen Staatsverfaſſung bezeich- nete, noch einen Verfaſſungsentwurf zur Berathung vor- legte, hätte zwar einen üblen Ausgang von Anfang her vorausſehen laſſen müſſen, allein bei der kläglichen Un- wiſſenheit über Staatsſachen, welche bei unumſchränkt regierten Völkern zu Hauſe iſt, freute man ſich in und außer der Verſammlung der freien Hand, welche ihr ge-
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5. Die Schoͤpfungen der Nationalver-
ſammlung.
In denſelben Tagen da der Kampf zwiſchen der Re-
gierung und der Nationalverſammlung begann, nahmen
die Verfaſſungsarbeiten ihren Anfang. Man wollte dem
Vaterlande zeigen, daß man weit mehr mit ſeiner Pflicht
als mit ſeiner Gefahr beſchäftigt ſey. Von dieſer Ver-
ſammlung, in welcher ein mächtiges Genie und viele Ta-
lente, viele Männer von edler und bewährter Geſinnung
ſaßen, erwartete der bei Weitem größte Theil der Bevöl-
kerung Frankreichs ſeine politiſche Wiedergeburt, und
man durfte hoch geſpannte Erwartungen nicht übertrieben
ſchelten. Die Kurzſichtigkeit der Regierung, welche weder
die Grundlinien der künftigen Staatsverfaſſung bezeich-
nete, noch einen Verfaſſungsentwurf zur Berathung vor-
legte, hätte zwar einen üblen Ausgang von Anfang her
vorausſehen laſſen müſſen, allein bei der kläglichen Un-
wiſſenheit über Staatsſachen, welche bei unumſchränkt
regierten Völkern zu Hauſe iſt, freute man ſich in und
außer der Verſammlung der freien Hand, welche ihr ge-
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Dahlmann, Friedrich Christoph: Geschichte der französischen Revolution bis auf die Stiftung der Republik. Leipzig, 1845, S. [239]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_geschichte_1845/249>, abgerufen am 24.11.2024.
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