Mounier war gerade Präsident der Nationalversamm- lung, die durch diese Auszeichnung einem Verdienste hul- digte, welches sie neuerlich, als es Alles galt, im Stiche gelassen hatte; es war der 5te October, Morgens zwischen 11 und 12, als Mirabeau dem Präsidenten zuraunte: "40,000 Pariser rücken auf uns zu, heben Sie die Sitzung auf, gehen Sie in das Schloß, statten Sie Bericht ab." Mounier hat späterhin in dieser Mittheilung den Beweis einer strafbaren Mitwissenschaft von Seiten Mirabeau's erblickt, und nichts als Hinterlist in seinem Rathe: er spricht sich in einer Druckschrift darüber aus. Allein Mou- nier geht irre; der gewissenhafteste der französischen Ge- schichtschreiber der Revolution, Joseph Droz, tritt aus ent- scheidenden Gründen dem Urtheile der Nationalversamm- lung bei, welche nach angestellter gerichtlicher Untersuchung keinen Grund zur Anklage gegen Mirabeau fand. Zu der- selben Zeit, da Mirabeau warnte, verbreitete sich die Nach- richt von dem Anzuge in ganz Versailles, und es lag sehr nahe eine Aufhebung der Sitzung zu beschließen, um die Nationalversammlung vor einer Herabwürdigung durch aufgezwungene Deputationen und eindringende Pöbelmas- sen zu retten. Mounier wandte eine unnütze Standhaftig- keit statt der nöthigen Umsicht an, indem er fortfuhr Sitzung zu halten. In Paris aber stand es mit den Pla- nen und den Thaten also.
Die Freunde der Anarchie oder, wenn man will, der Republik beschlossen, die wieder erwachte Misstimmung
Mounier war gerade Präſident der Nationalverſamm- lung, die durch dieſe Auszeichnung einem Verdienſte hul- digte, welches ſie neuerlich, als es Alles galt, im Stiche gelaſſen hatte; es war der 5te October, Morgens zwiſchen 11 und 12, als Mirabeau dem Präſidenten zuraunte: „40,000 Pariſer rücken auf uns zu, heben Sie die Sitzung auf, gehen Sie in das Schloß, ſtatten Sie Bericht ab.“ Mounier hat ſpäterhin in dieſer Mittheilung den Beweis einer ſtrafbaren Mitwiſſenſchaft von Seiten Mirabeau’s erblickt, und nichts als Hinterliſt in ſeinem Rathe: er ſpricht ſich in einer Druckſchrift darüber aus. Allein Mou- nier geht irre; der gewiſſenhafteſte der franzöſiſchen Ge- ſchichtſchreiber der Revolution, Joſeph Droz, tritt aus ent- ſcheidenden Gründen dem Urtheile der Nationalverſamm- lung bei, welche nach angeſtellter gerichtlicher Unterſuchung keinen Grund zur Anklage gegen Mirabeau fand. Zu der- ſelben Zeit, da Mirabeau warnte, verbreitete ſich die Nach- richt von dem Anzuge in ganz Verſailles, und es lag ſehr nahe eine Aufhebung der Sitzung zu beſchließen, um die Nationalverſammlung vor einer Herabwürdigung durch aufgezwungene Deputationen und eindringende Pöbelmaſ- ſen zu retten. Mounier wandte eine unnütze Standhaftig- keit ſtatt der nöthigen Umſicht an, indem er fortfuhr Sitzung zu halten. In Paris aber ſtand es mit den Pla- nen und den Thaten alſo.
Die Freunde der Anarchie oder, wenn man will, der Republik beſchloſſen, die wieder erwachte Misſtimmung
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Mounier war gerade Präſident der Nationalverſamm-
lung, die durch dieſe Auszeichnung einem Verdienſte hul-
digte, welches ſie neuerlich, als es Alles galt, im Stiche
gelaſſen hatte; es war der 5te October, Morgens zwiſchen
11 und 12, als Mirabeau dem Präſidenten zuraunte:
„40,000 Pariſer rücken auf uns zu, heben Sie die Sitzung
auf, gehen Sie in das Schloß, ſtatten Sie Bericht ab.“
Mounier hat ſpäterhin in dieſer Mittheilung den Beweis
einer ſtrafbaren Mitwiſſenſchaft von Seiten Mirabeau’s
erblickt, und nichts als Hinterliſt in ſeinem Rathe: er
ſpricht ſich in einer Druckſchrift darüber aus. Allein Mou-
nier geht irre; der gewiſſenhafteſte der franzöſiſchen Ge-
ſchichtſchreiber der Revolution, Joſeph Droz, tritt aus ent-
ſcheidenden Gründen dem Urtheile der Nationalverſamm-
lung bei, welche nach angeſtellter gerichtlicher Unterſuchung
keinen Grund zur Anklage gegen Mirabeau fand. Zu der-
ſelben Zeit, da Mirabeau warnte, verbreitete ſich die Nach-
richt von dem Anzuge in ganz Verſailles, und es lag ſehr
nahe eine Aufhebung der Sitzung zu beſchließen, um die
Nationalverſammlung vor einer Herabwürdigung durch
aufgezwungene Deputationen und eindringende Pöbelmaſ-
ſen zu retten. Mounier wandte eine unnütze Standhaftig-
keit ſtatt der nöthigen Umſicht an, indem er fortfuhr
Sitzung zu halten. In Paris aber ſtand es mit den Pla-
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Dahlmann, Friedrich Christoph: Geschichte der französischen Revolution bis auf die Stiftung der Republik. Leipzig, 1845, S. 285. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_geschichte_1845/295>, abgerufen am 27.11.2024.
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