bau hielt nicht mehr Stich, seit dem Könige durch das Veto wenn auch nur ein aufschiebender Antheil am Be- schlusse eingeräumt war. Als Mirabeau diesen Misgriff Barnave's bemerkte, sagte er zu seinem Nachbar und Freunde Frochot, demselben der in späteren Tagen auf Anlaß der Malletschen Verschwörung in Napoleons Un- gnade fiel: "Da hab' ich ihn fest!" lieh ihm seinen Blei- stift ab, schrieb ein Paar Worte auf, sprach: "Genug des Hörens, ich habe meine Entgegnung, gehen wir!" Beide spazierten nun in dem Garten der Tuillerien, und Mirabeau unterhielt sich dort auf das lebhafteste mit Neckers Tochter, der Frau von Stael.
Mirabeau's Rede, welche damals für eine Weltbege- benheit galt, von allen Gesandten, welche zahlreich der ganzen Verhandlung beiwohnten, an ihre Höfe verschickt ward, nahm diesen Gang:
"Ganz gewiß, es ist von großem Werthe für die An- näherung streitender Parteien, wenn man sich mit Auf- richtigkeit darüber aufklärt, worin man einig ist und wor- in man von einander abweicht. Zur Verständigung tragen freundliche Verhandlungen mehr bei als verläumderische Einflüsterungen, tolle Beschuldigungen, gehässige Eifer- süchteleien und die Umtriebe ränkesüchtiger Bosheit. Seit acht Tagen verbreitet man daß der Theil dieser Versamm- lung, welcher dem königlichen Willen einen Antheil an der Entscheidung über Krieg und Frieden sichern will, die öffentliche Freiheit meuchelmorde, verbreitet Gerüchte von
bau hielt nicht mehr Stich, ſeit dem Könige durch das Veto wenn auch nur ein aufſchiebender Antheil am Be- ſchluſſe eingeräumt war. Als Mirabeau dieſen Misgriff Barnave’s bemerkte, ſagte er zu ſeinem Nachbar und Freunde Frochot, demſelben der in ſpäteren Tagen auf Anlaß der Malletſchen Verſchwörung in Napoleons Un- gnade fiel: „Da hab’ ich ihn feſt!“ lieh ihm ſeinen Blei- ſtift ab, ſchrieb ein Paar Worte auf, ſprach: „Genug des Hörens, ich habe meine Entgegnung, gehen wir!“ Beide ſpazierten nun in dem Garten der Tuillerien, und Mirabeau unterhielt ſich dort auf das lebhafteſte mit Neckers Tochter, der Frau von Staël.
Mirabeau’s Rede, welche damals für eine Weltbege- benheit galt, von allen Geſandten, welche zahlreich der ganzen Verhandlung beiwohnten, an ihre Höfe verſchickt ward, nahm dieſen Gang:
„Ganz gewiß, es iſt von großem Werthe für die An- näherung ſtreitender Parteien, wenn man ſich mit Auf- richtigkeit darüber aufklärt, worin man einig iſt und wor- in man von einander abweicht. Zur Verſtändigung tragen freundliche Verhandlungen mehr bei als verläumderiſche Einflüſterungen, tolle Beſchuldigungen, gehäſſige Eifer- ſüchteleien und die Umtriebe ränkeſüchtiger Bosheit. Seit acht Tagen verbreitet man daß der Theil dieſer Verſamm- lung, welcher dem königlichen Willen einen Antheil an der Entſcheidung über Krieg und Frieden ſichern will, die öffentliche Freiheit meuchelmorde, verbreitet Gerüchte von
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bau hielt nicht mehr Stich, ſeit dem Könige durch das
Veto wenn auch nur ein aufſchiebender Antheil am Be-
ſchluſſe eingeräumt war. Als Mirabeau dieſen Misgriff
Barnave’s bemerkte, ſagte er zu ſeinem Nachbar und
Freunde Frochot, demſelben der in ſpäteren Tagen auf
Anlaß der Malletſchen Verſchwörung in Napoleons Un-
gnade fiel: „Da hab’ ich ihn feſt!“ lieh ihm ſeinen Blei-
ſtift ab, ſchrieb ein Paar Worte auf, ſprach: „Genug
des Hörens, ich habe meine Entgegnung, gehen wir!“
Beide ſpazierten nun in dem Garten der Tuillerien, und
Mirabeau unterhielt ſich dort auf das lebhafteſte mit
Neckers Tochter, der Frau von Staël.
Mirabeau’s Rede, welche damals für eine Weltbege-
benheit galt, von allen Geſandten, welche zahlreich der
ganzen Verhandlung beiwohnten, an ihre Höfe verſchickt
ward, nahm dieſen Gang:
„Ganz gewiß, es iſt von großem Werthe für die An-
näherung ſtreitender Parteien, wenn man ſich mit Auf-
richtigkeit darüber aufklärt, worin man einig iſt und wor-
in man von einander abweicht. Zur Verſtändigung tragen
freundliche Verhandlungen mehr bei als verläumderiſche
Einflüſterungen, tolle Beſchuldigungen, gehäſſige Eifer-
ſüchteleien und die Umtriebe ränkeſüchtiger Bosheit. Seit
acht Tagen verbreitet man daß der Theil dieſer Verſamm-
lung, welcher dem königlichen Willen einen Antheil an
der Entſcheidung über Krieg und Frieden ſichern will, die
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Dahlmann, Friedrich Christoph: Geschichte der französischen Revolution bis auf die Stiftung der Republik. Leipzig, 1845, S. 313. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_geschichte_1845/323>, abgerufen am 29.11.2024.
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