Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Dahlmann, Friedrich Christoph: Geschichte der französischen Revolution bis auf die Stiftung der Republik. Leipzig, 1845.

Bild:
<< vorherige Seite
3. Die holden Jahre der Selbsttäuschung.

Frankreich führte mit krankem Blicke das Leben eines
Gesunden fort; man entschlug sich der Sorgen zu einer
Zeit, da der ewig junge Weltgeist seine Flügel prüfte, sich
dann aufschwang und bald von seinen Thaten zu reden
gab. In den letzten Jahren Ludwigs XV. verschlief das
Cabinet von Versailles das schlimme Wetter der Politik,
merkte nichts von der ersten Theilung von Polen bis sie
völlig zu Stande war; allein der Lärm, den jetzt Nord-
amerika im alten Welttheile machte, als es plötzlich auf
seine Füße gerichtet sich mitten unter die bejahrten eben-
bürtigen Häupter stellte, hätte Siebenschläfer wecken
müssen.

Turgot war noch am Ruder als diese Frage weltge-
schichtlich ward. Er sah den jungen kriegerischen Adel
Frankreichs brennend vor Lust am Kampfe theilzunehmen,
häßliche vaterländische Scharten auf Kosten Englands aus-
zuwetzen; niemand bewunderte dieses Volk unerschrockener
Republikaner aufrichtiger als Turgot; der lateinische Vers

3. Die holden Jahre der Selbſttaͤuſchung.

Frankreich führte mit krankem Blicke das Leben eines
Geſunden fort; man entſchlug ſich der Sorgen zu einer
Zeit, da der ewig junge Weltgeiſt ſeine Flügel prüfte, ſich
dann aufſchwang und bald von ſeinen Thaten zu reden
gab. In den letzten Jahren Ludwigs XV. verſchlief das
Cabinet von Verſailles das ſchlimme Wetter der Politik,
merkte nichts von der erſten Theilung von Polen bis ſie
völlig zu Stande war; allein der Lärm, den jetzt Nord-
amerika im alten Welttheile machte, als es plötzlich auf
ſeine Füße gerichtet ſich mitten unter die bejahrten eben-
bürtigen Häupter ſtellte, hätte Siebenſchläfer wecken
müſſen.

Turgot war noch am Ruder als dieſe Frage weltge-
ſchichtlich ward. Er ſah den jungen kriegeriſchen Adel
Frankreichs brennend vor Luſt am Kampfe theilzunehmen,
häßliche vaterländiſche Scharten auf Koſten Englands aus-
zuwetzen; niemand bewunderte dieſes Volk unerſchrockener
Republikaner aufrichtiger als Turgot; der lateiniſche Vers

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0073" n="[63]"/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#b">3. Die holden Jahre der Selb&#x017F;tta&#x0364;u&#x017F;chung.</hi> </head><lb/>
          <p>Frankreich führte mit krankem Blicke das Leben eines<lb/>
Ge&#x017F;unden fort; man ent&#x017F;chlug &#x017F;ich der Sorgen zu einer<lb/>
Zeit, da der ewig junge Weltgei&#x017F;t &#x017F;eine Flügel prüfte, &#x017F;ich<lb/>
dann auf&#x017F;chwang und bald von &#x017F;einen Thaten zu reden<lb/>
gab. In den letzten Jahren Ludwigs <hi rendition="#aq">XV.</hi> ver&#x017F;chlief das<lb/>
Cabinet von Ver&#x017F;ailles das &#x017F;chlimme Wetter der Politik,<lb/>
merkte nichts von der er&#x017F;ten Theilung von Polen bis &#x017F;ie<lb/>
völlig zu Stande war; allein der Lärm, den jetzt Nord-<lb/>
amerika im alten Welttheile machte, als es plötzlich auf<lb/>
&#x017F;eine Füße gerichtet &#x017F;ich mitten unter die bejahrten eben-<lb/>
bürtigen Häupter &#x017F;tellte, hätte Sieben&#x017F;chläfer wecken<lb/>&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
          <p>Turgot war noch am Ruder als die&#x017F;e Frage weltge-<lb/>
&#x017F;chichtlich ward. Er &#x017F;ah den jungen kriegeri&#x017F;chen Adel<lb/>
Frankreichs brennend vor Lu&#x017F;t am Kampfe theilzunehmen,<lb/>
häßliche vaterländi&#x017F;che Scharten auf Ko&#x017F;ten Englands aus-<lb/>
zuwetzen; niemand bewunderte die&#x017F;es Volk uner&#x017F;chrockener<lb/>
Republikaner aufrichtiger als Turgot; der lateini&#x017F;che Vers<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[[63]/0073] 3. Die holden Jahre der Selbſttaͤuſchung. Frankreich führte mit krankem Blicke das Leben eines Geſunden fort; man entſchlug ſich der Sorgen zu einer Zeit, da der ewig junge Weltgeiſt ſeine Flügel prüfte, ſich dann aufſchwang und bald von ſeinen Thaten zu reden gab. In den letzten Jahren Ludwigs XV. verſchlief das Cabinet von Verſailles das ſchlimme Wetter der Politik, merkte nichts von der erſten Theilung von Polen bis ſie völlig zu Stande war; allein der Lärm, den jetzt Nord- amerika im alten Welttheile machte, als es plötzlich auf ſeine Füße gerichtet ſich mitten unter die bejahrten eben- bürtigen Häupter ſtellte, hätte Siebenſchläfer wecken müſſen. Turgot war noch am Ruder als dieſe Frage weltge- ſchichtlich ward. Er ſah den jungen kriegeriſchen Adel Frankreichs brennend vor Luſt am Kampfe theilzunehmen, häßliche vaterländiſche Scharten auf Koſten Englands aus- zuwetzen; niemand bewunderte dieſes Volk unerſchrockener Republikaner aufrichtiger als Turgot; der lateiniſche Vers

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_geschichte_1845
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_geschichte_1845/73
Zitationshilfe: Dahlmann, Friedrich Christoph: Geschichte der französischen Revolution bis auf die Stiftung der Republik. Leipzig, 1845, S. [63]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_geschichte_1845/73>, abgerufen am 04.12.2024.