Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835.Fünftes Capitel. Mehrzahl des Volks bedarf zu allen Zeiten dieser verständ-lichsten gemüthvollsten aller Regierungsweisen, und un- zählige Mahle hat sich an die alte Treue für ein ange- stammtes Haus die Erhaltung des ganzen Staats geknüpft. Die gebildete Minderzahl bedarf aber ihrer vielleicht noch mehr, als einer unübersteiglichen Schranke für den persön- lichen Ehrgeiz, dieser Wucherpflanze der Bildung. Wer in diesem unter der Last so manches unabwendbaren Wech- sels fast erliegendem Welttheile noch die Monarchie ent- wurzeln möchte, der vergißt, daß zwar oftmals aus der Ordnung die Freiheit, niemahls aber aus der Freiheit die Ordnung hervorgegangen ist. Zwar auch die Fürsten selber haben den Glauben an die Monarchie vielfach erschüttert, indem sie Regierung als unumschränkte Regierung verstan- den, sich einer unermeßlichen Verantwortlichkeit bloß stel- lend, und andern Theils übersahen, daß die Erbmonarchie gerade in dem Verhältnisse dieses Fürstenhauses zu die- sem Volk seine natürliche Wurzel hat, keineswegs sich aber willkührlich sofort auf eingetauschte Seelen und ge- raubte Kronen überträgt. Es war ein beschränkter Glaube Kaiser Friedrichs III., und eine häßliche Vergötterung sei- nes Individuums, wenn er seinen im Alter abgenommenen Fuß unter die avulsa imperii rechnete, "ytzt ist dem Kai- ser und dem heiligen Reich der ain Fuß abgeschniedten" (Grünbeck, 41.), aber es war ein tiefes Gefühl der Wahr- heit, welches dem entthronten, auf die Wunder und den Wandel seiner Bahn zurückblickenden Napoleon die Worte eingab: "Wenn ich nur mein Enkel gewesen wäre!" Fuͤnftes Capitel. Mehrzahl des Volks bedarf zu allen Zeiten dieſer verſtaͤnd-lichſten gemuͤthvollſten aller Regierungsweiſen, und un- zaͤhlige Mahle hat ſich an die alte Treue fuͤr ein ange- ſtammtes Haus die Erhaltung des ganzen Staats geknuͤpft. Die gebildete Minderzahl bedarf aber ihrer vielleicht noch mehr, als einer unuͤberſteiglichen Schranke fuͤr den perſoͤn- lichen Ehrgeiz, dieſer Wucherpflanze der Bildung. Wer in dieſem unter der Laſt ſo manches unabwendbaren Wech- ſels faſt erliegendem Welttheile noch die Monarchie ent- wurzeln moͤchte, der vergißt, daß zwar oftmals aus der Ordnung die Freiheit, niemahls aber aus der Freiheit die Ordnung hervorgegangen iſt. Zwar auch die Fuͤrſten ſelber haben den Glauben an die Monarchie vielfach erſchuͤttert, indem ſie Regierung als unumſchraͤnkte Regierung verſtan- den, ſich einer unermeßlichen Verantwortlichkeit bloß ſtel- lend, und andern Theils uͤberſahen, daß die Erbmonarchie gerade in dem Verhaͤltniſſe dieſes Fuͤrſtenhauſes zu die- ſem Volk ſeine natuͤrliche Wurzel hat, keineswegs ſich aber willkuͤhrlich ſofort auf eingetauſchte Seelen und ge- raubte Kronen uͤbertraͤgt. Es war ein beſchraͤnkter Glaube Kaiſer Friedrichs III., und eine haͤßliche Vergoͤtterung ſei- nes Individuums, wenn er ſeinen im Alter abgenommenen Fuß unter die avulsa imperii rechnete, „ytzt iſt dem Kai- ſer und dem heiligen Reich der ain Fuß abgeſchniedten“ (Gruͤnbeck, 41.), aber es war ein tiefes Gefuͤhl der Wahr- heit, welches dem entthronten, auf die Wunder und den Wandel ſeiner Bahn zuruͤckblickenden Napoleon die Worte eingab: „Wenn ich nur mein Enkel geweſen waͤre!“ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0120" n="108"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Fuͤnftes Capitel</hi>.</fw><lb/> Mehrzahl des Volks bedarf zu allen Zeiten dieſer verſtaͤnd-<lb/> lichſten gemuͤthvollſten aller Regierungsweiſen, und un-<lb/> zaͤhlige Mahle hat ſich an die alte Treue fuͤr ein ange-<lb/> ſtammtes Haus die Erhaltung des ganzen Staats geknuͤpft.<lb/> Die gebildete Minderzahl bedarf aber ihrer vielleicht noch<lb/> mehr, als einer unuͤberſteiglichen Schranke fuͤr den perſoͤn-<lb/> lichen Ehrgeiz, dieſer Wucherpflanze der Bildung. 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Fuͤnftes Capitel.
Mehrzahl des Volks bedarf zu allen Zeiten dieſer verſtaͤnd-
lichſten gemuͤthvollſten aller Regierungsweiſen, und un-
zaͤhlige Mahle hat ſich an die alte Treue fuͤr ein ange-
ſtammtes Haus die Erhaltung des ganzen Staats geknuͤpft.
Die gebildete Minderzahl bedarf aber ihrer vielleicht noch
mehr, als einer unuͤberſteiglichen Schranke fuͤr den perſoͤn-
lichen Ehrgeiz, dieſer Wucherpflanze der Bildung. Wer
in dieſem unter der Laſt ſo manches unabwendbaren Wech-
ſels faſt erliegendem Welttheile noch die Monarchie ent-
wurzeln moͤchte, der vergißt, daß zwar oftmals aus der
Ordnung die Freiheit, niemahls aber aus der Freiheit die
Ordnung hervorgegangen iſt. Zwar auch die Fuͤrſten ſelber
haben den Glauben an die Monarchie vielfach erſchuͤttert,
indem ſie Regierung als unumſchraͤnkte Regierung verſtan-
den, ſich einer unermeßlichen Verantwortlichkeit bloß ſtel-
lend, und andern Theils uͤberſahen, daß die Erbmonarchie
gerade in dem Verhaͤltniſſe dieſes Fuͤrſtenhauſes zu die-
ſem Volk ſeine natuͤrliche Wurzel hat, keineswegs ſich
aber willkuͤhrlich ſofort auf eingetauſchte Seelen und ge-
raubte Kronen uͤbertraͤgt. Es war ein beſchraͤnkter Glaube
Kaiſer Friedrichs III., und eine haͤßliche Vergoͤtterung ſei-
nes Individuums, wenn er ſeinen im Alter abgenommenen
Fuß unter die avulsa imperii rechnete, „ytzt iſt dem Kai-
ſer und dem heiligen Reich der ain Fuß abgeſchniedten“
(Gruͤnbeck, 41.), aber es war ein tiefes Gefuͤhl der Wahr-
heit, welches dem entthronten, auf die Wunder und den
Wandel ſeiner Bahn zuruͤckblickenden Napoleon die Worte
eingab: „Wenn ich nur mein Enkel geweſen waͤre!“
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