Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

Siebentes Capitel.
nicht im öffentlichen Recht hervortreten lassen. Das for-
dert seine Selbsterhaltung. Es muß daher sich durch die
politische Wendung der Zeit wesentlich belästigt fühlen und
könnte es noch mehr werden, wenn es die Erfahrung
machen sollte, daß sich der Kunstfleiß mit seinen neuen
Mitteln nicht befördern läßt, ohne einen gewaltigen Um-
schwung in der Sinnesart der schwerarbeitenden Classe
hervorzubringen, die aus allen erblichen Gewohnheiten
gerückt und in die Berufswahl hineingedrängt wird.
Der Unbedacht derer, die das übersehen, wie wenig Öster-
reichs Stellung zu den politischen Strebungen der Gegen-
wart eine Sache der freien Wahl sey, ist bloß der Un-
weisheit derer zu vergleichen, die darum weil dem so ist,
alles Land auf den Österreichischen Fuß gebracht haben
möchten. Vielmehr ist das A. E. J. O. U. Kaiser Fried-
richs III. eben aus diesem Grunde unanwendbarer als je
zuvor geworden.

199. Der Deutsche Bund bildet drei große politische
Massen: Österreich, welches keine allgemeine Reichsstände
mit gesetzgebender Gewalt haben kann, Preußen, welches
diese haben kann, aber nicht hat, und das, wenn man
will, constitutionelle Deutschland, dessen Einwohner Ver-
fassungsrechte besitzen. Auf alle drei Ländermassen muß
das Bundesverhältniß bestimmend einwirken, am meisten
aber auf die dritte, als aus minder mächtigen Staaten
und mehrentheils aus solchen bestehend, welche vollständig
im Bunde enthalten sind, keinen Schwerpunkt auch außer
dem Bunde haben. Jeder Bund verlangt Opfer, von denen
aber die meisten, die ihn am wenigsten entbehren können.

Ein Staat begiebt sich freiwillig in einen ewigen Staa-
tenbund, wenn er entweder sich nicht Macht genug zu-

Siebentes Capitel.
nicht im oͤffentlichen Recht hervortreten laſſen. Das for-
dert ſeine Selbſterhaltung. Es muß daher ſich durch die
politiſche Wendung der Zeit weſentlich belaͤſtigt fuͤhlen und
koͤnnte es noch mehr werden, wenn es die Erfahrung
machen ſollte, daß ſich der Kunſtfleiß mit ſeinen neuen
Mitteln nicht befoͤrdern laͤßt, ohne einen gewaltigen Um-
ſchwung in der Sinnesart der ſchwerarbeitenden Claſſe
hervorzubringen, die aus allen erblichen Gewohnheiten
geruͤckt und in die Berufswahl hineingedraͤngt wird.
Der Unbedacht derer, die das uͤberſehen, wie wenig Öſter-
reichs Stellung zu den politiſchen Strebungen der Gegen-
wart eine Sache der freien Wahl ſey, iſt bloß der Un-
weisheit derer zu vergleichen, die darum weil dem ſo iſt,
alles Land auf den Öſterreichiſchen Fuß gebracht haben
moͤchten. Vielmehr iſt das A. E. J. O. U. Kaiſer Fried-
richs III. eben aus dieſem Grunde unanwendbarer als je
zuvor geworden.

199. Der Deutſche Bund bildet drei große politiſche
Maſſen: Öſterreich, welches keine allgemeine Reichsſtaͤnde
mit geſetzgebender Gewalt haben kann, Preußen, welches
dieſe haben kann, aber nicht hat, und das, wenn man
will, conſtitutionelle Deutſchland, deſſen Einwohner Ver-
faſſungsrechte beſitzen. Auf alle drei Laͤndermaſſen muß
das Bundesverhaͤltniß beſtimmend einwirken, am meiſten
aber auf die dritte, als aus minder maͤchtigen Staaten
und mehrentheils aus ſolchen beſtehend, welche vollſtaͤndig
im Bunde enthalten ſind, keinen Schwerpunkt auch außer
dem Bunde haben. Jeder Bund verlangt Opfer, von denen
aber die meiſten, die ihn am wenigſten entbehren koͤnnen.

Ein Staat begiebt ſich freiwillig in einen ewigen Staa-
tenbund, wenn er entweder ſich nicht Macht genug zu-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0180" n="168"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Siebentes Capitel</hi>.</fw><lb/>
nicht im o&#x0364;ffentlichen Recht hervortreten la&#x017F;&#x017F;en. Das for-<lb/>
dert &#x017F;eine Selb&#x017F;terhaltung. Es muß daher &#x017F;ich durch die<lb/>
politi&#x017F;che Wendung der Zeit we&#x017F;entlich bela&#x0364;&#x017F;tigt fu&#x0364;hlen und<lb/>
ko&#x0364;nnte es noch mehr werden, wenn es die Erfahrung<lb/>
machen &#x017F;ollte, daß &#x017F;ich der Kun&#x017F;tfleiß mit &#x017F;einen neuen<lb/>
Mitteln nicht befo&#x0364;rdern la&#x0364;ßt, ohne einen gewaltigen Um-<lb/>
&#x017F;chwung in der Sinnesart der &#x017F;chwerarbeitenden Cla&#x017F;&#x017F;e<lb/>
hervorzubringen, die aus allen erblichen Gewohnheiten<lb/>
geru&#x0364;ckt und in die Berufswahl hineingedra&#x0364;ngt wird.<lb/>
Der Unbedacht derer, die das u&#x0364;ber&#x017F;ehen, wie wenig Ö&#x017F;ter-<lb/>
reichs Stellung zu den politi&#x017F;chen Strebungen der Gegen-<lb/>
wart eine Sache der freien Wahl &#x017F;ey, i&#x017F;t bloß der Un-<lb/>
weisheit derer zu vergleichen, die darum weil dem &#x017F;o i&#x017F;t,<lb/>
alles Land auf den Ö&#x017F;terreichi&#x017F;chen Fuß gebracht haben<lb/>
mo&#x0364;chten. Vielmehr i&#x017F;t das A. E. J. O. U. Kai&#x017F;er Fried-<lb/>
richs <hi rendition="#aq">III.</hi> eben aus die&#x017F;em Grunde unanwendbarer als je<lb/>
zuvor geworden.</p><lb/>
            <p>199. Der Deut&#x017F;che Bund bildet drei große politi&#x017F;che<lb/>
Ma&#x017F;&#x017F;en: Ö&#x017F;terreich, welches keine allgemeine Reichs&#x017F;ta&#x0364;nde<lb/>
mit ge&#x017F;etzgebender Gewalt haben kann, Preußen, welches<lb/>
die&#x017F;e haben kann, aber nicht hat, und das, wenn man<lb/>
will, con&#x017F;titutionelle Deut&#x017F;chland, de&#x017F;&#x017F;en Einwohner Ver-<lb/>
fa&#x017F;&#x017F;ungsrechte be&#x017F;itzen. Auf alle drei La&#x0364;nderma&#x017F;&#x017F;en muß<lb/>
das Bundesverha&#x0364;ltniß be&#x017F;timmend einwirken, am mei&#x017F;ten<lb/>
aber auf die dritte, als aus minder ma&#x0364;chtigen Staaten<lb/>
und mehrentheils aus &#x017F;olchen be&#x017F;tehend, welche voll&#x017F;ta&#x0364;ndig<lb/>
im Bunde enthalten &#x017F;ind, keinen Schwerpunkt auch außer<lb/>
dem Bunde haben. Jeder Bund verlangt Opfer, von denen<lb/>
aber die mei&#x017F;ten, die ihn am wenig&#x017F;ten entbehren ko&#x0364;nnen.</p><lb/>
            <p>Ein Staat begiebt &#x017F;ich freiwillig in einen ewigen Staa-<lb/>
tenbund, wenn er entweder &#x017F;ich nicht Macht genug zu-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[168/0180] Siebentes Capitel. nicht im oͤffentlichen Recht hervortreten laſſen. Das for- dert ſeine Selbſterhaltung. Es muß daher ſich durch die politiſche Wendung der Zeit weſentlich belaͤſtigt fuͤhlen und koͤnnte es noch mehr werden, wenn es die Erfahrung machen ſollte, daß ſich der Kunſtfleiß mit ſeinen neuen Mitteln nicht befoͤrdern laͤßt, ohne einen gewaltigen Um- ſchwung in der Sinnesart der ſchwerarbeitenden Claſſe hervorzubringen, die aus allen erblichen Gewohnheiten geruͤckt und in die Berufswahl hineingedraͤngt wird. Der Unbedacht derer, die das uͤberſehen, wie wenig Öſter- reichs Stellung zu den politiſchen Strebungen der Gegen- wart eine Sache der freien Wahl ſey, iſt bloß der Un- weisheit derer zu vergleichen, die darum weil dem ſo iſt, alles Land auf den Öſterreichiſchen Fuß gebracht haben moͤchten. Vielmehr iſt das A. E. J. O. U. Kaiſer Fried- richs III. eben aus dieſem Grunde unanwendbarer als je zuvor geworden. 199. Der Deutſche Bund bildet drei große politiſche Maſſen: Öſterreich, welches keine allgemeine Reichsſtaͤnde mit geſetzgebender Gewalt haben kann, Preußen, welches dieſe haben kann, aber nicht hat, und das, wenn man will, conſtitutionelle Deutſchland, deſſen Einwohner Ver- faſſungsrechte beſitzen. Auf alle drei Laͤndermaſſen muß das Bundesverhaͤltniß beſtimmend einwirken, am meiſten aber auf die dritte, als aus minder maͤchtigen Staaten und mehrentheils aus ſolchen beſtehend, welche vollſtaͤndig im Bunde enthalten ſind, keinen Schwerpunkt auch außer dem Bunde haben. Jeder Bund verlangt Opfer, von denen aber die meiſten, die ihn am wenigſten entbehren koͤnnen. Ein Staat begiebt ſich freiwillig in einen ewigen Staa- tenbund, wenn er entweder ſich nicht Macht genug zu-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835/180
Zitationshilfe: Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835, S. 168. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835/180>, abgerufen am 24.11.2024.