Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835.Zehntes Capitel. was sie ist und hat anerkannt sey. Hiemit gewinnt sie zu-gleich den Charakter einer ihren Mitgliedern überlegenen höher gestellten Persönlichkeit, gegen deren Fortbestand kein Beschluß der Einzelnen, welche die Activa etwa auftheilen und davongehn möchten, entscheiden kann; das Gemeinde- vermögen gehört Gemeindezwecken an, und nur über die Früchte, nicht über den Stamm des Baums dürfen die jetzt Lebenden verfügen. Dergestalt schützt der Staat die unsterbliche Gemeinde, indem er die vergänglich lebende be- schränkt. Die innere Einrichtung aber geht nothwendig vom Unterschiede der Land- und der Stadt-Gemeinden, des einfachen und des zusammengesetzten Daseyns aus. Denn die Städte sind die Augen und Ohren des Staats- gebietes, ihre dichte Bevölkerung, in den mannigfachsten Berufsweisen verkörpert, deren Innungen nicht bloß über die Stadt, auch über den Staat hinausgehen können, giebt, zufrieden oder unzufrieden, den Ausschlag; hier wenn irgendwo ist öffentliche Meinung; sie sind als Resi- denzen die Sitze der höchsten Macht, sie die Mittelpunkte des kriegerischen Widerstandes, der Wissenschaft, des kunst- fleißigen Verkehrs, welcher das Vermögen der ländlichen Betriebsamkeit zum Reichthum steigert. Hier kommt es auf die Stellung der Stadt zum Staate, noch mehr aber auf die Vertheilung der Gemeinderechte unter den Mit- gliedern der städtischen Gemeinde an. Städte können wie in Ungern große Reichstags-Freiheiten haben und doch die einzelnen Bürger für nichts geachtet seyn. Wenn Ma- gistrats-Rechte Stadtrechte wären, so wäre es mit den meisten Städten von England wohl bestellt, allein die Bür- gerschaft nimmt wenigen oder gar keinen Theil an der Verwaltung; daher die alte Klage, und jetzt die Arbeit an ihrer Beseitigung. Zehntes Capitel. was ſie iſt und hat anerkannt ſey. Hiemit gewinnt ſie zu-gleich den Charakter einer ihren Mitgliedern uͤberlegenen hoͤher geſtellten Perſoͤnlichkeit, gegen deren Fortbeſtand kein Beſchluß der Einzelnen, welche die Activa etwa auftheilen und davongehn moͤchten, entſcheiden kann; das Gemeinde- vermoͤgen gehoͤrt Gemeindezwecken an, und nur uͤber die Fruͤchte, nicht uͤber den Stamm des Baums duͤrfen die jetzt Lebenden verfuͤgen. Dergeſtalt ſchuͤtzt der Staat die unſterbliche Gemeinde, indem er die vergaͤnglich lebende be- ſchraͤnkt. Die innere Einrichtung aber geht nothwendig vom Unterſchiede der Land- und der Stadt-Gemeinden, des einfachen und des zuſammengeſetzten Daſeyns aus. Denn die Staͤdte ſind die Augen und Ohren des Staats- gebietes, ihre dichte Bevoͤlkerung, in den mannigfachſten Berufsweiſen verkoͤrpert, deren Innungen nicht bloß uͤber die Stadt, auch uͤber den Staat hinausgehen koͤnnen, giebt, zufrieden oder unzufrieden, den Ausſchlag; hier wenn irgendwo iſt oͤffentliche Meinung; ſie ſind als Reſi- denzen die Sitze der hoͤchſten Macht, ſie die Mittelpunkte des kriegeriſchen Widerſtandes, der Wiſſenſchaft, des kunſt- fleißigen Verkehrs, welcher das Vermoͤgen der laͤndlichen Betriebſamkeit zum Reichthum ſteigert. Hier kommt es auf die Stellung der Stadt zum Staate, noch mehr aber auf die Vertheilung der Gemeinderechte unter den Mit- gliedern der ſtaͤdtiſchen Gemeinde an. Staͤdte koͤnnen wie in Ungern große Reichstags-Freiheiten haben und doch die einzelnen Buͤrger fuͤr nichts geachtet ſeyn. Wenn Ma- giſtrats-Rechte Stadtrechte waͤren, ſo waͤre es mit den meiſten Staͤdten von England wohl beſtellt, allein die Buͤr- gerſchaft nimmt wenigen oder gar keinen Theil an der Verwaltung; daher die alte Klage, und jetzt die Arbeit an ihrer Beſeitigung. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0230" n="218"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Zehntes Capitel</hi>.</fw><lb/> was ſie iſt und hat anerkannt ſey. Hiemit gewinnt ſie zu-<lb/> gleich den Charakter einer ihren Mitgliedern uͤberlegenen<lb/> hoͤher geſtellten Perſoͤnlichkeit, gegen deren Fortbeſtand kein<lb/> Beſchluß der Einzelnen, welche die Activa etwa auftheilen<lb/> und davongehn moͤchten, entſcheiden kann; das Gemeinde-<lb/> vermoͤgen gehoͤrt Gemeindezwecken an, und nur uͤber die<lb/> Fruͤchte, nicht uͤber den Stamm des Baums duͤrfen die<lb/> jetzt Lebenden verfuͤgen. 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Zehntes Capitel.
was ſie iſt und hat anerkannt ſey. Hiemit gewinnt ſie zu-
gleich den Charakter einer ihren Mitgliedern uͤberlegenen
hoͤher geſtellten Perſoͤnlichkeit, gegen deren Fortbeſtand kein
Beſchluß der Einzelnen, welche die Activa etwa auftheilen
und davongehn moͤchten, entſcheiden kann; das Gemeinde-
vermoͤgen gehoͤrt Gemeindezwecken an, und nur uͤber die
Fruͤchte, nicht uͤber den Stamm des Baums duͤrfen die
jetzt Lebenden verfuͤgen. Dergeſtalt ſchuͤtzt der Staat die
unſterbliche Gemeinde, indem er die vergaͤnglich lebende be-
ſchraͤnkt. Die innere Einrichtung aber geht nothwendig
vom Unterſchiede der Land- und der Stadt-Gemeinden,
des einfachen und des zuſammengeſetzten Daſeyns aus.
Denn die Staͤdte ſind die Augen und Ohren des Staats-
gebietes, ihre dichte Bevoͤlkerung, in den mannigfachſten
Berufsweiſen verkoͤrpert, deren Innungen nicht bloß uͤber
die Stadt, auch uͤber den Staat hinausgehen koͤnnen,
giebt, zufrieden oder unzufrieden, den Ausſchlag; hier
wenn irgendwo iſt oͤffentliche Meinung; ſie ſind als Reſi-
denzen die Sitze der hoͤchſten Macht, ſie die Mittelpunkte
des kriegeriſchen Widerſtandes, der Wiſſenſchaft, des kunſt-
fleißigen Verkehrs, welcher das Vermoͤgen der laͤndlichen
Betriebſamkeit zum Reichthum ſteigert. Hier kommt es
auf die Stellung der Stadt zum Staate, noch mehr aber
auf die Vertheilung der Gemeinderechte unter den Mit-
gliedern der ſtaͤdtiſchen Gemeinde an. Staͤdte koͤnnen wie
in Ungern große Reichstags-Freiheiten haben und doch
die einzelnen Buͤrger fuͤr nichts geachtet ſeyn. Wenn Ma-
giſtrats-Rechte Stadtrechte waͤren, ſo waͤre es mit den
meiſten Staͤdten von England wohl beſtellt, allein die Buͤr-
gerſchaft nimmt wenigen oder gar keinen Theil an der
Verwaltung; daher die alte Klage, und jetzt die Arbeit
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