Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835.Sechzehntes Capitel. gen, Nordamerika für sich anführen; wer die Geschichtebeachtet hat und das Leben, wird mit dem Wunsche für Ja, sich für Nein entscheiden, Nordamerika nicht gelten lassen, indeß sich um so ernstlicher bemühen der Staatsein- wirkung Gränzen zu stecken. In solcher Art trafen bei dieser Streitfrage zwei bedeutende Deutsche Männer un- srer Zeit, Justus Möser und Rehberg zusammen, in der Berliner Monatschrift der Jahre 1787. 1788 u. 1789. Möser, nach seiner schönen Art Wahrheiten, die das Leben in Anspruch nehmen, in Beispielen lebendig zu gestalten, versetzt uns nach Virginien in eine Colonie; Deist und Atheist, Christ und Unchrist leben friedfertig mit einander, da leugnet Einer dem Andern, einem Kaufmanne, eine Schuld ab; der Kaufmann soll seine Bücher beschwören; der Widerpart wendet ein, das sey hier nicht zulässig; der Kaufmann habe sich als Atheist ausgesprochen. So stoßt man im Recht auf die Religion. Der verlegene Richter ruft die Colonie zusammen, man meint nicht länger mit den Atheisten zu gleichem Recht leben zu können, faßt den Schluß, jeder Einwohner soll sein Glaubensbekenntniß ein- reichen. Mit vieler Mühe unter vielen Abänderungen bringt man sie zu Protokoll, stellt daraus gewisse Artikel zusam- men, in welchen man mehr oder weniger übereinstimmt, doch mit Übereinkunft Aller werden die Atheisten sogleich aus der Zahl ehrenhafter Bürger gestrichen. Also eines Gottes mindestens bedarf der Staat, kann sich gegen das öffentliche Bekenntniß des Atheismus nicht neutral verhal- ten. Als man nun aber, unvermögend die verschiedenen Glaubensbekenntnisse auf die Dauer zusammenzuhalten, je- dem Bekenner, insofern er sich nur zu Gott bekannte, freien Lauf ließ, zeigte sich bald, daß auch damit noch viel zu wenig gethan sey. Denn die Einen erkennen in Allem Sechzehntes Capitel. gen, Nordamerika fuͤr ſich anfuͤhren; wer die Geſchichtebeachtet hat und das Leben, wird mit dem Wunſche fuͤr Ja, ſich fuͤr Nein entſcheiden, Nordamerika nicht gelten laſſen, indeß ſich um ſo ernſtlicher bemuͤhen der Staatsein- wirkung Graͤnzen zu ſtecken. In ſolcher Art trafen bei dieſer Streitfrage zwei bedeutende Deutſche Maͤnner un- ſrer Zeit, Juſtus Moͤſer und Rehberg zuſammen, in der Berliner Monatſchrift der Jahre 1787. 1788 u. 1789. Moͤſer, nach ſeiner ſchoͤnen Art Wahrheiten, die das Leben in Anſpruch nehmen, in Beiſpielen lebendig zu geſtalten, verſetzt uns nach Virginien in eine Colonie; Deiſt und Atheiſt, Chriſt und Unchriſt leben friedfertig mit einander, da leugnet Einer dem Andern, einem Kaufmanne, eine Schuld ab; der Kaufmann ſoll ſeine Buͤcher beſchwoͤren; der Widerpart wendet ein, das ſey hier nicht zulaͤſſig; der Kaufmann habe ſich als Atheiſt ausgeſprochen. So ſtoßt man im Recht auf die Religion. Der verlegene Richter ruft die Colonie zuſammen, man meint nicht laͤnger mit den Atheiſten zu gleichem Recht leben zu koͤnnen, faßt den Schluß, jeder Einwohner ſoll ſein Glaubensbekenntniß ein- reichen. Mit vieler Muͤhe unter vielen Abaͤnderungen bringt man ſie zu Protokoll, ſtellt daraus gewiſſe Artikel zuſam- men, in welchen man mehr oder weniger uͤbereinſtimmt, doch mit Übereinkunft Aller werden die Atheiſten ſogleich aus der Zahl ehrenhafter Buͤrger geſtrichen. Alſo eines Gottes mindeſtens bedarf der Staat, kann ſich gegen das oͤffentliche Bekenntniß des Atheismus nicht neutral verhal- ten. Als man nun aber, unvermoͤgend die verſchiedenen Glaubensbekenntniſſe auf die Dauer zuſammenzuhalten, je- dem Bekenner, inſofern er ſich nur zu Gott bekannte, freien Lauf ließ, zeigte ſich bald, daß auch damit noch viel zu wenig gethan ſey. Denn die Einen erkennen in Allem <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <p><pb facs="#f0328" n="316"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Sechzehntes Capitel</hi>.</fw><lb/> gen, Nordamerika fuͤr ſich anfuͤhren; wer die Geſchichte<lb/> beachtet hat und das Leben, wird mit dem Wunſche fuͤr<lb/> Ja, ſich fuͤr Nein entſcheiden, Nordamerika nicht gelten<lb/> laſſen, indeß ſich um ſo ernſtlicher bemuͤhen der Staatsein-<lb/> wirkung Graͤnzen zu ſtecken. 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Sechzehntes Capitel.
gen, Nordamerika fuͤr ſich anfuͤhren; wer die Geſchichte
beachtet hat und das Leben, wird mit dem Wunſche fuͤr
Ja, ſich fuͤr Nein entſcheiden, Nordamerika nicht gelten
laſſen, indeß ſich um ſo ernſtlicher bemuͤhen der Staatsein-
wirkung Graͤnzen zu ſtecken. In ſolcher Art trafen bei
dieſer Streitfrage zwei bedeutende Deutſche Maͤnner un-
ſrer Zeit, Juſtus Moͤſer und Rehberg zuſammen, in der
Berliner Monatſchrift der Jahre 1787. 1788 u. 1789.
Moͤſer, nach ſeiner ſchoͤnen Art Wahrheiten, die das Leben
in Anſpruch nehmen, in Beiſpielen lebendig zu geſtalten,
verſetzt uns nach Virginien in eine Colonie; Deiſt und
Atheiſt, Chriſt und Unchriſt leben friedfertig mit einander,
da leugnet Einer dem Andern, einem Kaufmanne, eine
Schuld ab; der Kaufmann ſoll ſeine Buͤcher beſchwoͤren;
der Widerpart wendet ein, das ſey hier nicht zulaͤſſig; der
Kaufmann habe ſich als Atheiſt ausgeſprochen. So ſtoßt
man im Recht auf die Religion. Der verlegene Richter
ruft die Colonie zuſammen, man meint nicht laͤnger mit
den Atheiſten zu gleichem Recht leben zu koͤnnen, faßt den
Schluß, jeder Einwohner ſoll ſein Glaubensbekenntniß ein-
reichen. Mit vieler Muͤhe unter vielen Abaͤnderungen bringt
man ſie zu Protokoll, ſtellt daraus gewiſſe Artikel zuſam-
men, in welchen man mehr oder weniger uͤbereinſtimmt,
doch mit Übereinkunft Aller werden die Atheiſten ſogleich
aus der Zahl ehrenhafter Buͤrger geſtrichen. Alſo eines
Gottes mindeſtens bedarf der Staat, kann ſich gegen das
oͤffentliche Bekenntniß des Atheismus nicht neutral verhal-
ten. Als man nun aber, unvermoͤgend die verſchiedenen
Glaubensbekenntniſſe auf die Dauer zuſammenzuhalten, je-
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Lauf ließ, zeigte ſich bald, daß auch damit noch viel zu
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