Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Darwin, Charles: Insectenfressende Pflanzen. Übers. v. Julius Victor Carus. Stuttgart, 1876.

Bild:
<< vorherige Seite

Cap. 1. Secret der Drüsen.
einer andern Art als die, welche in dem Gewebe der Blätter enthalten
ist. So lange die Tentakeln dicht zusammen gebogen bleiben, fahren
die Drüsen fort, abzusondern, und die Absonderung ist sauer, so dasz
sie, wenn sie durch kohlensaures Natron neutralisirt wird, nach weni-
gen Stunden wieder sauer wird. Ich habe beobachtet, dasz dasselbe
Blatt, mit den Tentakeln über ziemlich unverdauliche Substanzen, wie
chemisch präparirtes Casein, dicht eingebogen, acht aufeinander folgende
Tage lang saure Absonderung ergosz, und zehn aufeinander folgende
Tage lang über Stückchen Knochen.

Die Absonderung scheint, wie der Magensaft der höheren Thiere,
antiseptische Kraft zu besitzen. Ich brachte während sehr warmen
Wetters zwei gleich grosze Stückchen rohen Fleisches dicht neben
einander, eins auf ein Blatt der Drosera, das andere in feuchtes Moos
eingewickelt. Sie wurden 48 Stunden so gelassen und dann unter-
sucht. In dem Stück im Moos schwärmten zahllose Infusorien; es
war so verwest, dasz die queren Streifen der Muskelfasern nicht mehr
deutlich unterschieden werden konnten; während das Stück auf dem
Blatt, welches in die Absonderung eingetaucht war, von Infusorien
frei war und seine Querstreifen in dem mittleren unverdautem Theil
völlig deutlich erkennen liesz. In gleicher Weise wurden kleine würfel-
förmige Stückchen Eiweisz und Käse in feuchtem Moos von Schimmel-
fäden überzogen, und ihre Oberfläche wurde leicht entfärbt und zer-
setzt, während die auf den Blättern der Drosera rein blieben, wobei
gleichzeitig das Eiweisz in durchsichtige Flüssigkeit verwandelt wurde.

Sobald Tentakeln, welche mehrere Tage über einem Gegenstand
dicht eingebogen gewesen sind, anfangen, sich wieder auszustrecken,
sondern ihre Drüsen weniger reichlich ab, oder hören ganz auf, abzu-
sondern und bleiben trocken: in diesem Stadium werden sie von einem
Häutchen von weiszlicher halbfasriger Substanz überzogen, welches
durch die Absonderung in Auflösung erhalten worden war. Das Trock-
nen der Drüsen während des Actes des Ausstreckens ist von einem
kleinen Nutzen für die Pflanze; denn ich habe oft beobachtet, dasz
Gegenstände, die an den Blättern klebten, dann mit einem Luftzug
fortgeblasen werden konnten; auf diese Weise bleiben die Blätter un-
belästigt und frei für künftige Functionirung. Demohngeachtet ge-
schieht es oft, dasz sämmtliche Drüsen nicht vollständig trocken wer-
den und in diesem Falle werden oft zarte Gegenstände, wie zerbrech-
liche Insecten, durch das Ausstrecken der Tentakeln in Stückchen zer-

Cap. 1. Secret der Drüsen.
einer andern Art als die, welche in dem Gewebe der Blätter enthalten
ist. So lange die Tentakeln dicht zusammen gebogen bleiben, fahren
die Drüsen fort, abzusondern, und die Absonderung ist sauer, so dasz
sie, wenn sie durch kohlensaures Natron neutralisirt wird, nach weni-
gen Stunden wieder sauer wird. Ich habe beobachtet, dasz dasselbe
Blatt, mit den Tentakeln über ziemlich unverdauliche Substanzen, wie
chemisch präparirtes Casein, dicht eingebogen, acht aufeinander folgende
Tage lang saure Absonderung ergosz, und zehn aufeinander folgende
Tage lang über Stückchen Knochen.

Die Absonderung scheint, wie der Magensaft der höheren Thiere,
antiseptische Kraft zu besitzen. Ich brachte während sehr warmen
Wetters zwei gleich grosze Stückchen rohen Fleisches dicht neben
einander, eins auf ein Blatt der Drosera, das andere in feuchtes Moos
eingewickelt. Sie wurden 48 Stunden so gelassen und dann unter-
sucht. In dem Stück im Moos schwärmten zahllose Infusorien; es
war so verwest, dasz die queren Streifen der Muskelfasern nicht mehr
deutlich unterschieden werden konnten; während das Stück auf dem
Blatt, welches in die Absonderung eingetaucht war, von Infusorien
frei war und seine Querstreifen in dem mittleren unverdautem Theil
völlig deutlich erkennen liesz. In gleicher Weise wurden kleine würfel-
förmige Stückchen Eiweisz und Käse in feuchtem Moos von Schimmel-
fäden überzogen, und ihre Oberfläche wurde leicht entfärbt und zer-
setzt, während die auf den Blättern der Drosera rein blieben, wobei
gleichzeitig das Eiweisz in durchsichtige Flüssigkeit verwandelt wurde.

Sobald Tentakeln, welche mehrere Tage über einem Gegenstand
dicht eingebogen gewesen sind, anfangen, sich wieder auszustrecken,
sondern ihre Drüsen weniger reichlich ab, oder hören ganz auf, abzu-
sondern und bleiben trocken: in diesem Stadium werden sie von einem
Häutchen von weiszlicher halbfasriger Substanz überzogen, welches
durch die Absonderung in Auflösung erhalten worden war. Das Trock-
nen der Drüsen während des Actes des Ausstreckens ist von einem
kleinen Nutzen für die Pflanze; denn ich habe oft beobachtet, dasz
Gegenstände, die an den Blättern klebten, dann mit einem Luftzug
fortgeblasen werden konnten; auf diese Weise bleiben die Blätter un-
belästigt und frei für künftige Functionirung. Demohngeachtet ge-
schieht es oft, dasz sämmtliche Drüsen nicht vollständig trocken wer-
den und in diesem Falle werden oft zarte Gegenstände, wie zerbrech-
liche Insecten, durch das Ausstrecken der Tentakeln in Stückchen zer-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0027" n="13"/><fw place="top" type="header">Cap. 1. Secret der Drüsen.</fw><lb/>
einer andern Art als die, welche in dem Gewebe der Blätter enthalten<lb/>
ist. So lange die Tentakeln dicht zusammen gebogen bleiben, fahren<lb/>
die Drüsen fort, abzusondern, und die Absonderung ist sauer, so dasz<lb/>
sie, wenn sie durch kohlensaures Natron neutralisirt wird, nach weni-<lb/>
gen Stunden wieder sauer wird. Ich habe beobachtet, dasz dasselbe<lb/>
Blatt, mit den Tentakeln über ziemlich unverdauliche Substanzen, wie<lb/>
chemisch präparirtes Casein, dicht eingebogen, acht aufeinander folgende<lb/>
Tage lang saure Absonderung ergosz, und zehn aufeinander folgende<lb/>
Tage lang über Stückchen Knochen.</p><lb/>
          <p>Die Absonderung scheint, wie der Magensaft der höheren Thiere,<lb/>
antiseptische Kraft zu besitzen. Ich brachte während sehr warmen<lb/>
Wetters zwei gleich grosze Stückchen rohen Fleisches dicht neben<lb/>
einander, eins auf ein Blatt der <hi rendition="#i">Drosera,</hi> das andere in feuchtes Moos<lb/>
eingewickelt. Sie wurden 48 Stunden so gelassen und dann unter-<lb/>
sucht. In dem Stück im Moos schwärmten zahllose Infusorien; es<lb/>
war so verwest, dasz die queren Streifen der Muskelfasern nicht mehr<lb/>
deutlich unterschieden werden konnten; während das Stück auf dem<lb/>
Blatt, welches in die Absonderung eingetaucht war, von Infusorien<lb/>
frei war und seine Querstreifen in dem mittleren unverdautem Theil<lb/>
völlig deutlich erkennen liesz. In gleicher Weise wurden kleine würfel-<lb/>
förmige Stückchen Eiweisz und Käse in feuchtem Moos von Schimmel-<lb/>
fäden überzogen, und ihre Oberfläche wurde leicht entfärbt und zer-<lb/>
setzt, während die auf den Blättern der <hi rendition="#i">Drosera</hi> rein blieben, wobei<lb/>
gleichzeitig das Eiweisz in durchsichtige Flüssigkeit verwandelt wurde.</p><lb/>
          <p>Sobald Tentakeln, welche mehrere Tage über einem Gegenstand<lb/>
dicht eingebogen gewesen sind, anfangen, sich wieder auszustrecken,<lb/>
sondern ihre Drüsen weniger reichlich ab, oder hören ganz auf, abzu-<lb/>
sondern und bleiben trocken: in diesem Stadium werden sie von einem<lb/>
Häutchen von weiszlicher halbfasriger Substanz überzogen, welches<lb/>
durch die Absonderung in Auflösung erhalten worden war. Das Trock-<lb/>
nen der Drüsen während des Actes des Ausstreckens ist von einem<lb/>
kleinen Nutzen für die Pflanze; denn ich habe oft beobachtet, dasz<lb/>
Gegenstände, die an den Blättern klebten, dann mit einem Luftzug<lb/>
fortgeblasen werden konnten; auf diese Weise bleiben die Blätter un-<lb/>
belästigt und frei für künftige Functionirung. Demohngeachtet ge-<lb/>
schieht es oft, dasz sämmtliche Drüsen nicht vollständig trocken wer-<lb/>
den und in diesem Falle werden oft zarte Gegenstände, wie zerbrech-<lb/>
liche Insecten, durch das Ausstrecken der Tentakeln in Stückchen zer-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[13/0027] Cap. 1. Secret der Drüsen. einer andern Art als die, welche in dem Gewebe der Blätter enthalten ist. So lange die Tentakeln dicht zusammen gebogen bleiben, fahren die Drüsen fort, abzusondern, und die Absonderung ist sauer, so dasz sie, wenn sie durch kohlensaures Natron neutralisirt wird, nach weni- gen Stunden wieder sauer wird. Ich habe beobachtet, dasz dasselbe Blatt, mit den Tentakeln über ziemlich unverdauliche Substanzen, wie chemisch präparirtes Casein, dicht eingebogen, acht aufeinander folgende Tage lang saure Absonderung ergosz, und zehn aufeinander folgende Tage lang über Stückchen Knochen. Die Absonderung scheint, wie der Magensaft der höheren Thiere, antiseptische Kraft zu besitzen. Ich brachte während sehr warmen Wetters zwei gleich grosze Stückchen rohen Fleisches dicht neben einander, eins auf ein Blatt der Drosera, das andere in feuchtes Moos eingewickelt. Sie wurden 48 Stunden so gelassen und dann unter- sucht. In dem Stück im Moos schwärmten zahllose Infusorien; es war so verwest, dasz die queren Streifen der Muskelfasern nicht mehr deutlich unterschieden werden konnten; während das Stück auf dem Blatt, welches in die Absonderung eingetaucht war, von Infusorien frei war und seine Querstreifen in dem mittleren unverdautem Theil völlig deutlich erkennen liesz. In gleicher Weise wurden kleine würfel- förmige Stückchen Eiweisz und Käse in feuchtem Moos von Schimmel- fäden überzogen, und ihre Oberfläche wurde leicht entfärbt und zer- setzt, während die auf den Blättern der Drosera rein blieben, wobei gleichzeitig das Eiweisz in durchsichtige Flüssigkeit verwandelt wurde. Sobald Tentakeln, welche mehrere Tage über einem Gegenstand dicht eingebogen gewesen sind, anfangen, sich wieder auszustrecken, sondern ihre Drüsen weniger reichlich ab, oder hören ganz auf, abzu- sondern und bleiben trocken: in diesem Stadium werden sie von einem Häutchen von weiszlicher halbfasriger Substanz überzogen, welches durch die Absonderung in Auflösung erhalten worden war. Das Trock- nen der Drüsen während des Actes des Ausstreckens ist von einem kleinen Nutzen für die Pflanze; denn ich habe oft beobachtet, dasz Gegenstände, die an den Blättern klebten, dann mit einem Luftzug fortgeblasen werden konnten; auf diese Weise bleiben die Blätter un- belästigt und frei für künftige Functionirung. Demohngeachtet ge- schieht es oft, dasz sämmtliche Drüsen nicht vollständig trocken wer- den und in diesem Falle werden oft zarte Gegenstände, wie zerbrech- liche Insecten, durch das Ausstrecken der Tentakeln in Stückchen zer-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/darwin_pflanzen_1876
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/darwin_pflanzen_1876/27
Zitationshilfe: Darwin, Charles: Insectenfressende Pflanzen. Übers. v. Julius Victor Carus. Stuttgart, 1876, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/darwin_pflanzen_1876/27>, abgerufen am 21.11.2024.