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Darwin, Charles: Insectenfressende Pflanzen. Übers. v. Julius Victor Carus. Stuttgart, 1876.

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Dionaea muscipula. Cap. 13.
mögen etwas beschränkt; und sicher ist es, dasz Blätter über einem
Insect immer viele Tage lang eingeschlagen bleiben und ihre Fähig-
keit, sich von neuem zu schlieszen, nicht vor Ablauf vieler folgender
Tage wieder erhalten. In dieser Beziehung weicht Dionaea von
Drosera ab, welche viele Insecten nach kürzeren Zeitintervallen fängt
und verdaut.

Wir sind nun vorbereitet, den Nutzen der randständigen Spitzen
zu verstehen, welche einen so auffallenden Zug in der äuszeren Er-
scheinung der Pflanzen bilden (s. Fig. 12, p. 260) und welche mir in
meiner Unkenntnis auf den ersten Blick nutzlose Anhänge zu sein
schienen. In Folge der Einwärtskrümmung der sich einander nähern-
den Lappen kreuzen sich zuerst die Spitzen der randständigen Speichen
und schlieszlich auch ihre Basen. Bis die Ränder der Lappen in Be-
rührung kommen, bleiben längliche Räume zwischen den Speichen,
in der Breite von bis zu Zoll (1,693 bis 2,54 Mm.) schwan-
kend, je nach der Grösze des Blattes, offen. Es kann daher ein In-
sect, wenn sein Körper nicht dicker ist als die angegebenen Masze,
leicht zwischen den gekreuzten Speichen hindurch entweichen, wenn
es durch die sich schlieszenden Lappen und die zunehmende Dunkel-
heit beunruhigt wird; und einer meiner Söhne hat factisch ein kleines
Insect auf diese Weise entweichen sehen. Wenn andererseits ein
mäszig groszes Insect versucht, zwischen den Riegeln durch zu ent-
kommen, so wird es sicherlich durch die sich schlieszenden Wände
in sein schauerliches Gefängnis zurückgetrieben werden, denn die
Speichen fahren fort, sich immer mehr und mehr zu kreuzen, bis die
Ränder der Lappen selbst in Berührung kommen. Ein sehr starkes
Insect indessen würde wohl im Stande sein, sich zu befreien; und
Mrs. Treat sah einen Rosenkäfer der Vereinigten Staaten (Macro-
dactylus subspinosus)
dies wirklich ausführen. Es würde nun offen-
bar ein groszer Nachtheil für die Pflanze sein, viele Tage dadurch
zu verlieren, dasz sie über einem minutiösen Insecte geschlossen bliebe
und dann später noch mehrere weitere Tage oder Wochen brauchte,
ihre Empfindlichkeit wieder zu erlangen, insofern ja ein sehr kleines
Insect nur wenig Nahrung darbieten würde. Es würde für die Pflanze
viel besser sein, eine Zeit lang zu warten, bis ein mäszig groszes In-
sect gefangen wäre, und die kleinen lieber entschlüpfen zu lassen;
und dieser Vortheil ist der Pflanze durch die sich langsam kreuzen-
den randständigen Speichen gesichert worden, welche wie die groszen

Dionaea muscipula. Cap. 13.
mögen etwas beschränkt; und sicher ist es, dasz Blätter über einem
Insect immer viele Tage lang eingeschlagen bleiben und ihre Fähig-
keit, sich von neuem zu schlieszen, nicht vor Ablauf vieler folgender
Tage wieder erhalten. In dieser Beziehung weicht Dionaea von
Drosera ab, welche viele Insecten nach kürzeren Zeitintervallen fängt
und verdaut.

Wir sind nun vorbereitet, den Nutzen der randständigen Spitzen
zu verstehen, welche einen so auffallenden Zug in der äuszeren Er-
scheinung der Pflanzen bilden (s. Fig. 12, p. 260) und welche mir in
meiner Unkenntnis auf den ersten Blick nutzlose Anhänge zu sein
schienen. In Folge der Einwärtskrümmung der sich einander nähern-
den Lappen kreuzen sich zuerst die Spitzen der randständigen Speichen
und schlieszlich auch ihre Basen. Bis die Ränder der Lappen in Be-
rührung kommen, bleiben längliche Räume zwischen den Speichen,
in der Breite von bis zu ⅒ Zoll (1,693 bis 2,54 Mm.) schwan-
kend, je nach der Grösze des Blattes, offen. Es kann daher ein In-
sect, wenn sein Körper nicht dicker ist als die angegebenen Masze,
leicht zwischen den gekreuzten Speichen hindurch entweichen, wenn
es durch die sich schlieszenden Lappen und die zunehmende Dunkel-
heit beunruhigt wird; und einer meiner Söhne hat factisch ein kleines
Insect auf diese Weise entweichen sehen. Wenn andererseits ein
mäszig groszes Insect versucht, zwischen den Riegeln durch zu ent-
kommen, so wird es sicherlich durch die sich schlieszenden Wände
in sein schauerliches Gefängnis zurückgetrieben werden, denn die
Speichen fahren fort, sich immer mehr und mehr zu kreuzen, bis die
Ränder der Lappen selbst in Berührung kommen. Ein sehr starkes
Insect indessen würde wohl im Stande sein, sich zu befreien; und
Mrs. Treat sah einen Rosenkäfer der Vereinigten Staaten (Macro-
dactylus subspinosus)
dies wirklich ausführen. Es würde nun offen-
bar ein groszer Nachtheil für die Pflanze sein, viele Tage dadurch
zu verlieren, dasz sie über einem minutiösen Insecte geschlossen bliebe
und dann später noch mehrere weitere Tage oder Wochen brauchte,
ihre Empfindlichkeit wieder zu erlangen, insofern ja ein sehr kleines
Insect nur wenig Nahrung darbieten würde. Es würde für die Pflanze
viel besser sein, eine Zeit lang zu warten, bis ein mäszig groszes In-
sect gefangen wäre, und die kleinen lieber entschlüpfen zu lassen;
und dieser Vortheil ist der Pflanze durch die sich langsam kreuzen-
den randständigen Speichen gesichert worden, welche wie die groszen

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[282/0296] Dionaea muscipula. Cap. 13. mögen etwas beschränkt; und sicher ist es, dasz Blätter über einem Insect immer viele Tage lang eingeschlagen bleiben und ihre Fähig- keit, sich von neuem zu schlieszen, nicht vor Ablauf vieler folgender Tage wieder erhalten. In dieser Beziehung weicht Dionaea von Drosera ab, welche viele Insecten nach kürzeren Zeitintervallen fängt und verdaut. Wir sind nun vorbereitet, den Nutzen der randständigen Spitzen zu verstehen, welche einen so auffallenden Zug in der äuszeren Er- scheinung der Pflanzen bilden (s. Fig. 12, p. 260) und welche mir in meiner Unkenntnis auf den ersten Blick nutzlose Anhänge zu sein schienen. In Folge der Einwärtskrümmung der sich einander nähern- den Lappen kreuzen sich zuerst die Spitzen der randständigen Speichen und schlieszlich auch ihre Basen. Bis die Ränder der Lappen in Be- rührung kommen, bleiben längliche Räume zwischen den Speichen, in der Breite von [FORMEL] bis zu ⅒ Zoll (1,693 bis 2,54 Mm.) schwan- kend, je nach der Grösze des Blattes, offen. Es kann daher ein In- sect, wenn sein Körper nicht dicker ist als die angegebenen Masze, leicht zwischen den gekreuzten Speichen hindurch entweichen, wenn es durch die sich schlieszenden Lappen und die zunehmende Dunkel- heit beunruhigt wird; und einer meiner Söhne hat factisch ein kleines Insect auf diese Weise entweichen sehen. Wenn andererseits ein mäszig groszes Insect versucht, zwischen den Riegeln durch zu ent- kommen, so wird es sicherlich durch die sich schlieszenden Wände in sein schauerliches Gefängnis zurückgetrieben werden, denn die Speichen fahren fort, sich immer mehr und mehr zu kreuzen, bis die Ränder der Lappen selbst in Berührung kommen. Ein sehr starkes Insect indessen würde wohl im Stande sein, sich zu befreien; und Mrs. Treat sah einen Rosenkäfer der Vereinigten Staaten (Macro- dactylus subspinosus) dies wirklich ausführen. Es würde nun offen- bar ein groszer Nachtheil für die Pflanze sein, viele Tage dadurch zu verlieren, dasz sie über einem minutiösen Insecte geschlossen bliebe und dann später noch mehrere weitere Tage oder Wochen brauchte, ihre Empfindlichkeit wieder zu erlangen, insofern ja ein sehr kleines Insect nur wenig Nahrung darbieten würde. Es würde für die Pflanze viel besser sein, eine Zeit lang zu warten, bis ein mäszig groszes In- sect gefangen wäre, und die kleinen lieber entschlüpfen zu lassen; und dieser Vortheil ist der Pflanze durch die sich langsam kreuzen- den randständigen Speichen gesichert worden, welche wie die groszen

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Zitationshilfe: Darwin, Charles: Insectenfressende Pflanzen. Übers. v. Julius Victor Carus. Stuttgart, 1876, S. 282. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/darwin_pflanzen_1876/296>, abgerufen am 27.11.2024.