Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Darwin, Charles: Insectenfressende Pflanzen. Übers. v. Julius Victor Carus. Stuttgart, 1876.

Bild:
<< vorherige Seite

Cap. 15. über die Droseraceen.
denn es wird angenommen, dasz sie ungefähr 100 Arten umfaszt7,
welche in der Alten Welt von den arctischen Gegenden bis nach dem
südlichen Indien, nach dem Vorgebirge der Guten Hoffnung, Mada-
gascar und Australien, und in der Neuen Welt von Canada bis zum
Feuerlande verbreitet sind. In dieser Beziehung bietet sie einen auf-
fallenden Gegensatz zu den fünf andern Gattungen dar, welche allem
Anscheine nach abnehmende Gruppen sind. Dionaea enthält nur eine
einzige Species, welche auf einen Bezirk in Carolina beschränkt ist.
Die drei Varietäten oder nahe verwandte Arten von Aldrovanda haben
wie so viele Wasserpflanzen eine weitere Verbreitung von Central-
Europa bis nach Bengalen und Australien. Drosophyllum hat nur
eine Species, welche auf Portugal und Marocco beschränkt ist. Rori-
dula
und Byblis haben jede (wie ich von Prof. Oliver höre) zwei
Species, die der ersten Gattung auf die westlichen Theile des Vor-
gebirgs der Guten Hoffnung, die der letztern auf Australien beschränkt.
Es ist eine befremdende Thatsache, dasz Dionaea, welche eine der am
wundervollsten angepaszten Pflanzen im ganzen Pflanzenreiche ist,
allem Anscheine nach auf dem Wege zum Erlöschen ist. Dies ist
um so befremdender, als die Organe der Dionaea höher differenzirt
sind als diejenigen der Drosera; ihre Filamente dienen ausschlieszlich
als Gefühlsorgane, die Lappen zum Fangen von Insecten, und die
Drüsen, wenn sie gereizt werden, zur Absonderung ebensowohl wie
zur Aufsaugung, während bei Drosera die Drüsen allen diesen
Zwecken dienen und absondern, ohne gereizt zu sein.

Wenn man die Structur der Blätter, den Grad ihrer Complica-
tion und ihre rudimentäre Theile in den sechs Gattungen mit ein-
ander vergleicht, so wird man zu der Schluszfolgerung geführt, dasz
ihre gemeinsame elterliche Form an Characteren von Drosophyllum,
Roridula
und Byblis Theil hatte. Die Blätter dieser alten Form
waren beinahe sicher linear, vielleicht getheilt, und trugen an ihren
oberen und unteren Flächen Drüsen, welche die Fähigkeit der Abson-
derung und Aufsaugung hatten. Einige dieser Drüsen waren auf
Stiele gestellt, andere waren beinahe sitzend, die letzteren sonderten
nur ab, wenn sie durch die Absorption von stickstoffhaltiger Substanz
gereizt wurden. Bei Byblis bestehn die Drüsen aus einer einzigen

7 Bentham and Hooker, Genera Plantarum. Australien ist der Mittel-
punkt der Gattung, indem, wie mir Prof. Oliver mittheilt, einundvierzig Arten
von dort beschrieben sind.
21 *

Cap. 15. über die Droseraceen.
denn es wird angenommen, dasz sie ungefähr 100 Arten umfaszt7,
welche in der Alten Welt von den arctischen Gegenden bis nach dem
südlichen Indien, nach dem Vorgebirge der Guten Hoffnung, Mada-
gascar und Australien, und in der Neuen Welt von Canada bis zum
Feuerlande verbreitet sind. In dieser Beziehung bietet sie einen auf-
fallenden Gegensatz zu den fünf andern Gattungen dar, welche allem
Anscheine nach abnehmende Gruppen sind. Dionaea enthält nur eine
einzige Species, welche auf einen Bezirk in Carolina beschränkt ist.
Die drei Varietäten oder nahe verwandte Arten von Aldrovanda haben
wie so viele Wasserpflanzen eine weitere Verbreitung von Central-
Europa bis nach Bengalen und Australien. Drosophyllum hat nur
eine Species, welche auf Portugal und Marocco beschränkt ist. Rori-
dula
und Byblis haben jede (wie ich von Prof. Oliver höre) zwei
Species, die der ersten Gattung auf die westlichen Theile des Vor-
gebirgs der Guten Hoffnung, die der letztern auf Australien beschränkt.
Es ist eine befremdende Thatsache, dasz Dionaea, welche eine der am
wundervollsten angepaszten Pflanzen im ganzen Pflanzenreiche ist,
allem Anscheine nach auf dem Wege zum Erlöschen ist. Dies ist
um so befremdender, als die Organe der Dionaea höher differenzirt
sind als diejenigen der Drosera; ihre Filamente dienen ausschlieszlich
als Gefühlsorgane, die Lappen zum Fangen von Insecten, und die
Drüsen, wenn sie gereizt werden, zur Absonderung ebensowohl wie
zur Aufsaugung, während bei Drosera die Drüsen allen diesen
Zwecken dienen und absondern, ohne gereizt zu sein.

Wenn man die Structur der Blätter, den Grad ihrer Complica-
tion und ihre rudimentäre Theile in den sechs Gattungen mit ein-
ander vergleicht, so wird man zu der Schluszfolgerung geführt, dasz
ihre gemeinsame elterliche Form an Characteren von Drosophyllum,
Roridula
und Byblis Theil hatte. Die Blätter dieser alten Form
waren beinahe sicher linear, vielleicht getheilt, und trugen an ihren
oberen und unteren Flächen Drüsen, welche die Fähigkeit der Abson-
derung und Aufsaugung hatten. Einige dieser Drüsen waren auf
Stiele gestellt, andere waren beinahe sitzend, die letzteren sonderten
nur ab, wenn sie durch die Absorption von stickstoffhaltiger Substanz
gereizt wurden. Bei Byblis bestehn die Drüsen aus einer einzigen

7 Bentham and Hooker, Genera Plantarum. Australien ist der Mittel-
punkt der Gattung, indem, wie mir Prof. Oliver mittheilt, einundvierzig Arten
von dort beschrieben sind.
21 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0337" n="323"/><fw place="top" type="header">Cap. 15. über die Droseraceen.</fw><lb/>
denn es wird angenommen, dasz sie ungefähr 100 Arten umfaszt<note place="foot" n="7"><hi rendition="#g">Bentham</hi> and <hi rendition="#g">Hooker,</hi> Genera Plantarum. Australien ist der Mittel-<lb/>
punkt der Gattung, indem, wie mir Prof. <hi rendition="#g">Oliver</hi> mittheilt, einundvierzig Arten<lb/>
von dort beschrieben sind.</note>,<lb/>
welche in der Alten Welt von den arctischen Gegenden bis nach dem<lb/>
südlichen Indien, nach dem Vorgebirge der Guten Hoffnung, Mada-<lb/>
gascar und Australien, und in der Neuen Welt von Canada bis zum<lb/>
Feuerlande verbreitet sind. In dieser Beziehung bietet sie einen auf-<lb/>
fallenden Gegensatz zu den fünf andern Gattungen dar, welche allem<lb/>
Anscheine nach abnehmende Gruppen sind. <hi rendition="#i">Dionaea</hi> enthält nur eine<lb/>
einzige Species, welche auf einen Bezirk in Carolina beschränkt ist.<lb/>
Die drei Varietäten oder nahe verwandte Arten von <hi rendition="#i">Aldrovanda</hi> haben<lb/>
wie so viele Wasserpflanzen eine weitere Verbreitung von Central-<lb/>
Europa bis nach Bengalen und Australien. <hi rendition="#i">Drosophyllum</hi> hat nur<lb/>
eine Species, welche auf Portugal und Marocco beschränkt ist. <hi rendition="#i">Rori-<lb/>
dula</hi> und <hi rendition="#i">Byblis</hi> haben jede (wie ich von Prof. <hi rendition="#k">Oliver</hi> höre) zwei<lb/>
Species, die der ersten Gattung auf die westlichen Theile des Vor-<lb/>
gebirgs der Guten Hoffnung, die der letztern auf Australien beschränkt.<lb/>
Es ist eine befremdende Thatsache, dasz <hi rendition="#i">Dionaea,</hi> welche eine der am<lb/>
wundervollsten angepaszten Pflanzen im ganzen Pflanzenreiche ist,<lb/>
allem Anscheine nach auf dem Wege zum Erlöschen ist. Dies ist<lb/>
um so befremdender, als die Organe der <hi rendition="#i">Dionaea</hi> höher differenzirt<lb/>
sind als diejenigen der <hi rendition="#i">Drosera;</hi> ihre Filamente dienen ausschlieszlich<lb/>
als Gefühlsorgane, die Lappen zum Fangen von Insecten, und die<lb/>
Drüsen, wenn sie gereizt werden, zur Absonderung ebensowohl wie<lb/>
zur Aufsaugung, während bei <hi rendition="#i">Drosera</hi> die Drüsen allen diesen<lb/>
Zwecken dienen und absondern, ohne gereizt zu sein.</p><lb/>
          <p>Wenn man die Structur der Blätter, den Grad ihrer Complica-<lb/>
tion und ihre rudimentäre Theile in den sechs Gattungen mit ein-<lb/>
ander vergleicht, so wird man zu der Schluszfolgerung geführt, dasz<lb/>
ihre gemeinsame elterliche Form an Characteren von <hi rendition="#i">Drosophyllum,<lb/>
Roridula</hi> und <hi rendition="#i">Byblis</hi> Theil hatte. Die Blätter dieser alten Form<lb/>
waren beinahe sicher linear, vielleicht getheilt, und trugen an ihren<lb/>
oberen und unteren Flächen Drüsen, welche die Fähigkeit der Abson-<lb/>
derung und Aufsaugung hatten. Einige dieser Drüsen waren auf<lb/>
Stiele gestellt, andere waren beinahe sitzend, die letzteren sonderten<lb/>
nur ab, wenn sie durch die Absorption von stickstoffhaltiger Substanz<lb/>
gereizt wurden. Bei <hi rendition="#i">Byblis</hi> bestehn die Drüsen aus einer einzigen<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">21 *</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[323/0337] Cap. 15. über die Droseraceen. denn es wird angenommen, dasz sie ungefähr 100 Arten umfaszt 7, welche in der Alten Welt von den arctischen Gegenden bis nach dem südlichen Indien, nach dem Vorgebirge der Guten Hoffnung, Mada- gascar und Australien, und in der Neuen Welt von Canada bis zum Feuerlande verbreitet sind. In dieser Beziehung bietet sie einen auf- fallenden Gegensatz zu den fünf andern Gattungen dar, welche allem Anscheine nach abnehmende Gruppen sind. Dionaea enthält nur eine einzige Species, welche auf einen Bezirk in Carolina beschränkt ist. Die drei Varietäten oder nahe verwandte Arten von Aldrovanda haben wie so viele Wasserpflanzen eine weitere Verbreitung von Central- Europa bis nach Bengalen und Australien. Drosophyllum hat nur eine Species, welche auf Portugal und Marocco beschränkt ist. Rori- dula und Byblis haben jede (wie ich von Prof. Oliver höre) zwei Species, die der ersten Gattung auf die westlichen Theile des Vor- gebirgs der Guten Hoffnung, die der letztern auf Australien beschränkt. Es ist eine befremdende Thatsache, dasz Dionaea, welche eine der am wundervollsten angepaszten Pflanzen im ganzen Pflanzenreiche ist, allem Anscheine nach auf dem Wege zum Erlöschen ist. Dies ist um so befremdender, als die Organe der Dionaea höher differenzirt sind als diejenigen der Drosera; ihre Filamente dienen ausschlieszlich als Gefühlsorgane, die Lappen zum Fangen von Insecten, und die Drüsen, wenn sie gereizt werden, zur Absonderung ebensowohl wie zur Aufsaugung, während bei Drosera die Drüsen allen diesen Zwecken dienen und absondern, ohne gereizt zu sein. Wenn man die Structur der Blätter, den Grad ihrer Complica- tion und ihre rudimentäre Theile in den sechs Gattungen mit ein- ander vergleicht, so wird man zu der Schluszfolgerung geführt, dasz ihre gemeinsame elterliche Form an Characteren von Drosophyllum, Roridula und Byblis Theil hatte. Die Blätter dieser alten Form waren beinahe sicher linear, vielleicht getheilt, und trugen an ihren oberen und unteren Flächen Drüsen, welche die Fähigkeit der Abson- derung und Aufsaugung hatten. Einige dieser Drüsen waren auf Stiele gestellt, andere waren beinahe sitzend, die letzteren sonderten nur ab, wenn sie durch die Absorption von stickstoffhaltiger Substanz gereizt wurden. Bei Byblis bestehn die Drüsen aus einer einzigen 7 Bentham and Hooker, Genera Plantarum. Australien ist der Mittel- punkt der Gattung, indem, wie mir Prof. Oliver mittheilt, einundvierzig Arten von dort beschrieben sind. 21 *

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/darwin_pflanzen_1876
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/darwin_pflanzen_1876/337
Zitationshilfe: Darwin, Charles: Insectenfressende Pflanzen. Übers. v. Julius Victor Carus. Stuttgart, 1876, S. 323. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/darwin_pflanzen_1876/337>, abgerufen am 27.11.2024.