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Daumer, Georg Friedrich: Die dreifache Krone Rom's. Münster, 1859.

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wahrhaft menschlicher Charakter, sein religiöser Sinn und
seine Humanität gaben dem Ganzen ein eigenes, hervor-
stechendes Gepräge. Ohne den wesentlichen Geist des
stoischen Systemes aufzuopfern und den strengen moralischen
Grundsätzen Etwas zu vergeben, verbindet er damit in der
Anwendung mehr Milde und Toleranz in Beurtheilung
der nicht nach denselben Grundsätzen lebenden Menschen,
mehr Nachsicht mit den Fehlenden, mehr Liebe und Ach-
tung für die Menschheit in jedem Individuum des Men-
schengeschlechts. Die theoretischen Behauptungen des Syste-
mes von einem vernünftigen Geiste, welcher die Seele des
Weltalls ist, braucht er nur zur Befestigung moralischer
Grundsätze und zur Belebung der allgemeinen Menschen-
liebe. Der Mensch soll sich als das Glied eines Ganzen,
welches von einer höchst weisen Intelligenz regiert wird,
sich mit anderen Menschen als Kind eines gerechten und
liebevollen Vaters, alle seine Schicksale als weise Fügungen
des obersten Gesetzgebers der Natur betrachten und seinen
Privatwillen dem unveränderlichen Willen des Einen höchst
weisen Wesens unterwerfen. Diese religiöse Ansicht der
Welt und des Menschen liegt zwar in dem stoischen Sy-
steme überhaupt; sie ist aber doch durch die eigene Denkart
Antonin's mehr hervorgehoben, und hat dadurch etwas
ungemein Herzliches erhalten. Eine Folge davon ist auch
diese, daß er, so wie Epiktet, weit weniger dem Selbst-
morde das Wort redet. Beide verlangen nur eine der
Vernunft angemessene ruhige Ergebung in den Willen Got-
tes, eine furchtlose Erwartung des Todes und ein fleißiges
Andenken an ihn, als moralisches Uebungs- und Stär-
kungsmittel." Selbst die Terminologie der Stoiker nähert
sich der christlichen, so z. B. was den Ausdruck sarx,
caro, Fleisch, betrifft. Non est summa felicitatis nostrae
in carne ponenda,
sagt Seneca epist. 74. Nunquam

wahrhaft menſchlicher Charakter, ſein religiöſer Sinn und
ſeine Humanität gaben dem Ganzen ein eigenes, hervor-
ſtechendes Gepräge. Ohne den weſentlichen Geiſt des
ſtoiſchen Syſtemes aufzuopfern und den ſtrengen moraliſchen
Grundſätzen Etwas zu vergeben, verbindet er damit in der
Anwendung mehr Milde und Toleranz in Beurtheilung
der nicht nach denſelben Grundſätzen lebenden Menſchen,
mehr Nachſicht mit den Fehlenden, mehr Liebe und Ach-
tung für die Menſchheit in jedem Individuum des Men-
ſchengeſchlechts. Die theoretiſchen Behauptungen des Syſte-
mes von einem vernünftigen Geiſte, welcher die Seele des
Weltalls iſt, braucht er nur zur Befeſtigung moraliſcher
Grundſätze und zur Belebung der allgemeinen Menſchen-
liebe. Der Menſch ſoll ſich als das Glied eines Ganzen,
welches von einer höchſt weiſen Intelligenz regiert wird,
ſich mit anderen Menſchen als Kind eines gerechten und
liebevollen Vaters, alle ſeine Schickſale als weiſe Fügungen
des oberſten Geſetzgebers der Natur betrachten und ſeinen
Privatwillen dem unveränderlichen Willen des Einen höchſt
weiſen Weſens unterwerfen. Dieſe religiöſe Anſicht der
Welt und des Menſchen liegt zwar in dem ſtoiſchen Sy-
ſteme überhaupt; ſie iſt aber doch durch die eigene Denkart
Antonin’s mehr hervorgehoben, und hat dadurch etwas
ungemein Herzliches erhalten. Eine Folge davon iſt auch
dieſe, daß er, ſo wie Epiktet, weit weniger dem Selbſt-
morde das Wort redet. Beide verlangen nur eine der
Vernunft angemeſſene ruhige Ergebung in den Willen Got-
tes, eine furchtloſe Erwartung des Todes und ein fleißiges
Andenken an ihn, als moraliſches Uebungs- und Stär-
kungsmittel.“ Selbſt die Terminologie der Stoiker nähert
ſich der chriſtlichen, ſo z. B. was den Ausdruck σαρξ,
caro, Fleiſch, betrifft. Non est summa felicitatis nostrae
in carne ponenda,
ſagt Seneca epist. 74. Nunquam

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[80/0102] wahrhaft menſchlicher Charakter, ſein religiöſer Sinn und ſeine Humanität gaben dem Ganzen ein eigenes, hervor- ſtechendes Gepräge. Ohne den weſentlichen Geiſt des ſtoiſchen Syſtemes aufzuopfern und den ſtrengen moraliſchen Grundſätzen Etwas zu vergeben, verbindet er damit in der Anwendung mehr Milde und Toleranz in Beurtheilung der nicht nach denſelben Grundſätzen lebenden Menſchen, mehr Nachſicht mit den Fehlenden, mehr Liebe und Ach- tung für die Menſchheit in jedem Individuum des Men- ſchengeſchlechts. Die theoretiſchen Behauptungen des Syſte- mes von einem vernünftigen Geiſte, welcher die Seele des Weltalls iſt, braucht er nur zur Befeſtigung moraliſcher Grundſätze und zur Belebung der allgemeinen Menſchen- liebe. Der Menſch ſoll ſich als das Glied eines Ganzen, welches von einer höchſt weiſen Intelligenz regiert wird, ſich mit anderen Menſchen als Kind eines gerechten und liebevollen Vaters, alle ſeine Schickſale als weiſe Fügungen des oberſten Geſetzgebers der Natur betrachten und ſeinen Privatwillen dem unveränderlichen Willen des Einen höchſt weiſen Weſens unterwerfen. Dieſe religiöſe Anſicht der Welt und des Menſchen liegt zwar in dem ſtoiſchen Sy- ſteme überhaupt; ſie iſt aber doch durch die eigene Denkart Antonin’s mehr hervorgehoben, und hat dadurch etwas ungemein Herzliches erhalten. Eine Folge davon iſt auch dieſe, daß er, ſo wie Epiktet, weit weniger dem Selbſt- morde das Wort redet. Beide verlangen nur eine der Vernunft angemeſſene ruhige Ergebung in den Willen Got- tes, eine furchtloſe Erwartung des Todes und ein fleißiges Andenken an ihn, als moraliſches Uebungs- und Stär- kungsmittel.“ Selbſt die Terminologie der Stoiker nähert ſich der chriſtlichen, ſo z. B. was den Ausdruck σαρξ, caro, Fleiſch, betrifft. Non est summa felicitatis nostrae in carne ponenda, ſagt Seneca epist. 74. Nunquam

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Zitationshilfe: Daumer, Georg Friedrich: Die dreifache Krone Rom's. Münster, 1859, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/daumer_krone_1859/102>, abgerufen am 21.11.2024.