Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914.

Bild:
<< vorherige Seite

Historische Betrachtungen über die Kunst im Elsaß
Geschenke. Das erste kam 1890 aus dem Privatbesitz des Kaisers.
Was die elsässische Kunst damals war, wird uns fast deutlicher
als im eigenen Lande, auf der Nachbarseite des Rheins. Im älteren
Mittelalter, in der Zeit der Klosterkunst, ist von Beziehungen
zum Elsaß nichts zu bemerken; aber je mehr der Kunstbetrieb
sich in die Städte zog, um so mehr begab sich das städtearme
badische Land in die Klientel des Elsaß. Von Baden-Baden und
Lichtental bis Offenburg und Gengenbach ist alles, was uns von
guter Kunstarbeit in dieser Zeit begegnet, aus Straßburger Werk-
stätten hervorgegangen. Selbst in Freiburg wurde für das Haupt-
werk dieser Zeit, den Hochaltar des Münsters, Hans Baldung berufen.

Baldung lebte bis gegen die Mitte des 16. Jahrhunderts.
In seiner Zeit zerfließen die provinziellen Schulgrenzen mehr und
mehr. Er selbst war Schüler Dürers, wie Dürer einst in seinen Wan-
derjahren in eine Straßburger Werkstatt eingetreten war. Als
Gäste erschienen ferner der ältere Holbein und Matthäus Grüne-
wald. Und hätte Holbeins des Jüngeren Aufenthalt in Basel
längere Dauer gehabt, so wäre er ohne Zweifel ein starker Faktor
auch im elsässischen Kunstleben geworden.

In der Baukunst und im Kunstgewerbe begann der Kampf
zwischen der Renaissance und der indigenen nordischen Tradition,
die mit dem Namen Spätgotik unvollkommen genug bezeichnet
wird. Es ist auffallend, wie wenig Anziehungskraft für die El-
sässer das welsche Wesen hatte. Kaum in einer anderen deutschen
Landschaft hat die Renaissance so zögernde Aufnahme gefunden.
Und nicht minder merkwürdig ist, daß, als es schließlich geschah,
die französische Renaissance gänzlich aus dem Spiele blieb.
In der Spätgotik war eine Komponente enthalten, die in ihrer
Weiterentwicklung immer deutlicher als Anfang zum Barock sich
zu erkennen gab. Erst als diese mit der Renaissance zusammen-
schmolz, wurde die Renaissance im Elsaß lebendig. Am Ende des
16. und Anfang des 17. Jahrhunderts, während München und
Augsburg in tieferem Eingehen in die Gesetze der italienischen
Kunst ihr Heil suchten, war Straßburg in Süddeutschland der
wichtigste Sammelpunkt für das deutsche Frühbarock. Hier
lebte Wendes Dietterlin, aus Schaffhausen gebürtig, der Meister

Historische Betrachtungen über die Kunst im Elsaß
Geschenke. Das erste kam 1890 aus dem Privatbesitz des Kaisers.
Was die elsässische Kunst damals war, wird uns fast deutlicher
als im eigenen Lande, auf der Nachbarseite des Rheins. Im älteren
Mittelalter, in der Zeit der Klosterkunst, ist von Beziehungen
zum Elsaß nichts zu bemerken; aber je mehr der Kunstbetrieb
sich in die Städte zog, um so mehr begab sich das städtearme
badische Land in die Klientel des Elsaß. Von Baden-Baden und
Lichtental bis Offenburg und Gengenbach ist alles, was uns von
guter Kunstarbeit in dieser Zeit begegnet, aus Straßburger Werk-
stätten hervorgegangen. Selbst in Freiburg wurde für das Haupt-
werk dieser Zeit, den Hochaltar des Münsters, Hans Baldung berufen.

Baldung lebte bis gegen die Mitte des 16. Jahrhunderts.
In seiner Zeit zerfließen die provinziellen Schulgrenzen mehr und
mehr. Er selbst war Schüler Dürers, wie Dürer einst in seinen Wan-
derjahren in eine Straßburger Werkstatt eingetreten war. Als
Gäste erschienen ferner der ältere Holbein und Matthäus Grüne-
wald. Und hätte Holbeins des Jüngeren Aufenthalt in Basel
längere Dauer gehabt, so wäre er ohne Zweifel ein starker Faktor
auch im elsässischen Kunstleben geworden.

In der Baukunst und im Kunstgewerbe begann der Kampf
zwischen der Renaissance und der indigenen nordischen Tradition,
die mit dem Namen Spätgotik unvollkommen genug bezeichnet
wird. Es ist auffallend, wie wenig Anziehungskraft für die El-
sässer das welsche Wesen hatte. Kaum in einer anderen deutschen
Landschaft hat die Renaissance so zögernde Aufnahme gefunden.
Und nicht minder merkwürdig ist, daß, als es schließlich geschah,
die französische Renaissance gänzlich aus dem Spiele blieb.
In der Spätgotik war eine Komponente enthalten, die in ihrer
Weiterentwicklung immer deutlicher als Anfang zum Barock sich
zu erkennen gab. Erst als diese mit der Renaissance zusammen-
schmolz, wurde die Renaissance im Elsaß lebendig. Am Ende des
16. und Anfang des 17. Jahrhunderts, während München und
Augsburg in tieferem Eingehen in die Gesetze der italienischen
Kunst ihr Heil suchten, war Straßburg in Süddeutschland der
wichtigste Sammelpunkt für das deutsche Frühbarock. Hier
lebte Wendes Dietterlin, aus Schaffhausen gebürtig, der Meister

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0101" n="87"/><fw place="top" type="header">Historische Betrachtungen über die Kunst im Elsaß</fw><lb/>
Geschenke. Das erste kam 1890 aus dem Privatbesitz des Kaisers.<lb/>
Was die elsässische Kunst damals war, wird uns fast deutlicher<lb/>
als im eigenen Lande, auf der Nachbarseite des Rheins. Im älteren<lb/>
Mittelalter, in der Zeit der Klosterkunst, ist von Beziehungen<lb/>
zum Elsaß nichts zu bemerken; aber je mehr der Kunstbetrieb<lb/>
sich in die Städte zog, um so mehr begab sich das städtearme<lb/>
badische Land in die Klientel des Elsaß. Von Baden-Baden und<lb/>
Lichtental bis Offenburg und Gengenbach ist alles, was uns von<lb/>
guter Kunstarbeit in dieser Zeit begegnet, aus Straßburger Werk-<lb/>
stätten hervorgegangen. Selbst in Freiburg wurde für das Haupt-<lb/>
werk dieser Zeit, den Hochaltar des Münsters, Hans Baldung berufen.</p><lb/>
        <p>Baldung lebte bis gegen die Mitte des 16. Jahrhunderts.<lb/>
In seiner Zeit zerfließen die provinziellen Schulgrenzen mehr und<lb/>
mehr. Er selbst war Schüler Dürers, wie Dürer einst in seinen Wan-<lb/>
derjahren in eine Straßburger Werkstatt eingetreten war. Als<lb/>
Gäste erschienen ferner der ältere Holbein und Matthäus Grüne-<lb/>
wald. Und hätte Holbeins des Jüngeren Aufenthalt in Basel<lb/>
längere Dauer gehabt, so wäre er ohne Zweifel ein starker Faktor<lb/>
auch im elsässischen Kunstleben geworden.</p><lb/>
        <p>In der Baukunst und im Kunstgewerbe begann der Kampf<lb/>
zwischen der Renaissance und der indigenen nordischen Tradition,<lb/>
die mit dem Namen Spätgotik unvollkommen genug bezeichnet<lb/>
wird. Es ist auffallend, wie wenig Anziehungskraft für die El-<lb/>
sässer das welsche Wesen hatte. Kaum in einer anderen deutschen<lb/>
Landschaft hat die Renaissance so zögernde Aufnahme gefunden.<lb/>
Und nicht minder merkwürdig ist, daß, als es schließlich geschah,<lb/>
die <hi rendition="#g">französische</hi> Renaissance gänzlich aus dem Spiele blieb.<lb/>
In der Spätgotik war eine Komponente enthalten, die in ihrer<lb/>
Weiterentwicklung immer deutlicher als Anfang zum Barock sich<lb/>
zu erkennen gab. Erst als diese mit der Renaissance zusammen-<lb/>
schmolz, wurde die Renaissance im Elsaß lebendig. Am Ende des<lb/>
16. und Anfang des 17. Jahrhunderts, während München und<lb/>
Augsburg in tieferem Eingehen in die Gesetze der italienischen<lb/>
Kunst ihr Heil suchten, war Straßburg in Süddeutschland der<lb/>
wichtigste Sammelpunkt für das deutsche Frühbarock. Hier<lb/>
lebte Wendes Dietterlin, aus Schaffhausen gebürtig, der Meister<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[87/0101] Historische Betrachtungen über die Kunst im Elsaß Geschenke. Das erste kam 1890 aus dem Privatbesitz des Kaisers. Was die elsässische Kunst damals war, wird uns fast deutlicher als im eigenen Lande, auf der Nachbarseite des Rheins. Im älteren Mittelalter, in der Zeit der Klosterkunst, ist von Beziehungen zum Elsaß nichts zu bemerken; aber je mehr der Kunstbetrieb sich in die Städte zog, um so mehr begab sich das städtearme badische Land in die Klientel des Elsaß. Von Baden-Baden und Lichtental bis Offenburg und Gengenbach ist alles, was uns von guter Kunstarbeit in dieser Zeit begegnet, aus Straßburger Werk- stätten hervorgegangen. Selbst in Freiburg wurde für das Haupt- werk dieser Zeit, den Hochaltar des Münsters, Hans Baldung berufen. Baldung lebte bis gegen die Mitte des 16. Jahrhunderts. In seiner Zeit zerfließen die provinziellen Schulgrenzen mehr und mehr. Er selbst war Schüler Dürers, wie Dürer einst in seinen Wan- derjahren in eine Straßburger Werkstatt eingetreten war. Als Gäste erschienen ferner der ältere Holbein und Matthäus Grüne- wald. Und hätte Holbeins des Jüngeren Aufenthalt in Basel längere Dauer gehabt, so wäre er ohne Zweifel ein starker Faktor auch im elsässischen Kunstleben geworden. In der Baukunst und im Kunstgewerbe begann der Kampf zwischen der Renaissance und der indigenen nordischen Tradition, die mit dem Namen Spätgotik unvollkommen genug bezeichnet wird. Es ist auffallend, wie wenig Anziehungskraft für die El- sässer das welsche Wesen hatte. Kaum in einer anderen deutschen Landschaft hat die Renaissance so zögernde Aufnahme gefunden. Und nicht minder merkwürdig ist, daß, als es schließlich geschah, die französische Renaissance gänzlich aus dem Spiele blieb. In der Spätgotik war eine Komponente enthalten, die in ihrer Weiterentwicklung immer deutlicher als Anfang zum Barock sich zu erkennen gab. Erst als diese mit der Renaissance zusammen- schmolz, wurde die Renaissance im Elsaß lebendig. Am Ende des 16. und Anfang des 17. Jahrhunderts, während München und Augsburg in tieferem Eingehen in die Gesetze der italienischen Kunst ihr Heil suchten, war Straßburg in Süddeutschland der wichtigste Sammelpunkt für das deutsche Frühbarock. Hier lebte Wendes Dietterlin, aus Schaffhausen gebürtig, der Meister

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Schulz, Dienstleister (Muttersprachler): Bereitstellung der Texttranskription nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-02-21T10:17:23Z)
University of Toronto, Robarts Library of Humanities & Social Sciences: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-02-21T10:17:23Z)
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Akademiebibliothek: Bereitstellung der Bilddigitalisate für die Seiten 122 und 123 (2012-02-21T10:17:23Z)

Weitere Informationen:

  • Nach den Richtlinien des Deutschen Textarchivs (DTA) transkribiert und ausgezeichnet.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/dehio_aufsaetze_1914
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/dehio_aufsaetze_1914/101
Zitationshilfe: Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dehio_aufsaetze_1914/101>, abgerufen am 24.11.2024.