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Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914.

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Die Kunst Unteritaliens in der Zeit Kaiser Friedrichs II.
ihrem starken Sinn sowohl für das Rationelle als für das Monu-
mentale durchaus ein Vorbote der Renaissance. Die ihm wohl-
verwandten Geister heißen Brunelleschi und Alberti. Man ver-
gleiche damit, wie schon vor 50 Jahren Jakob Burckhardt (der
seine Bauten nicht kannte) ihn "den ersten modernen Menschen
auf dem Throne" genannt hat.

Friedrich II. hat sich der Renaissance aber noch auf anderem
Wege genähert. Wir sind heute einig darüber, daß die Renaissance
wesentlich Schöpfung und Ausdruck des modernen Geistes ist;
zugleich aber auch darüber, daß der erwachende moderne Geist
nach bestimmten Richtungen hin der griechisch-römischen Kultur
und Kunst sich näher verwandt fühlte als dem christlichen Mittel-
alter, das er zu überwinden trachtete. Mehr als einmal sind schon
im Mittelalter selbst Regungen der Auflehnung gegen das herr-
schende System mit Hinneigung zur Antike zusammengetroffen.
Im Lande der südfranzösischen Ketzer hatte es eine volle blühende
Protorenaissancearchitektur gegeben. Jetzt wurde in Süditalien
der Freidenker Friedrich Anreger und Protektor einer antiki-
sierenden Bildhauerschule. Sie hat gerade so wie die
friderizianische Architekturschule nur eine kurze Dauer gehabt,
und ihre Leistung ist uns nur in dürftigen Bruchstücken erhalten:
was sie uns sagt, spricht eine vollkommen deutliche Sprache.
Für Friedrich war die Wiederbelebung der Erinnerung an das
klassische Altertum, das er sich wesentlich als das kaiserliche Rom
dachte, wohl in erster Linie ein politischer Gedanke. Aber er war
ersichtlich auch noch mehr als das. In irgendeinem Maße verband
sich damit eine ästhetische Sympathie. In seinem Schloß zu
Lucera befand sich die sicherlich erste Antikensammlung
der neueren Jahrhunderte, Marmor- und Bronze-Skulpturen, die
er zum Teil aus nicht geringer Entfernung "mit großer Vorsicht,
auf den Rücken von Lastträgern hatte herbeischaffen lassen".
An seine berühmten Augustalen braucht nur erinnert zu werden.
Viel wichtiger ist noch, daß er lebende Bildhauer fand, die seine
Bauten mit Statuen schmückten, in denen mit Erfolg die Antike
nachgeahmt wurde. Innerhalb unserer Kenntnis ist das Haupt-
beispiel das Brückentor von Capua. Es war ein sehr reich mit

Die Kunst Unteritaliens in der Zeit Kaiser Friedrichs II.
ihrem starken Sinn sowohl für das Rationelle als für das Monu-
mentale durchaus ein Vorbote der Renaissance. Die ihm wohl-
verwandten Geister heißen Brunelleschi und Alberti. Man ver-
gleiche damit, wie schon vor 50 Jahren Jakob Burckhardt (der
seine Bauten nicht kannte) ihn »den ersten modernen Menschen
auf dem Throne« genannt hat.

Friedrich II. hat sich der Renaissance aber noch auf anderem
Wege genähert. Wir sind heute einig darüber, daß die Renaissance
wesentlich Schöpfung und Ausdruck des modernen Geistes ist;
zugleich aber auch darüber, daß der erwachende moderne Geist
nach bestimmten Richtungen hin der griechisch-römischen Kultur
und Kunst sich näher verwandt fühlte als dem christlichen Mittel-
alter, das er zu überwinden trachtete. Mehr als einmal sind schon
im Mittelalter selbst Regungen der Auflehnung gegen das herr-
schende System mit Hinneigung zur Antike zusammengetroffen.
Im Lande der südfranzösischen Ketzer hatte es eine volle blühende
Protorenaissancearchitektur gegeben. Jetzt wurde in Süditalien
der Freidenker Friedrich Anreger und Protektor einer antiki-
sierenden Bildhauerschule. Sie hat gerade so wie die
friderizianische Architekturschule nur eine kurze Dauer gehabt,
und ihre Leistung ist uns nur in dürftigen Bruchstücken erhalten:
was sie uns sagt, spricht eine vollkommen deutliche Sprache.
Für Friedrich war die Wiederbelebung der Erinnerung an das
klassische Altertum, das er sich wesentlich als das kaiserliche Rom
dachte, wohl in erster Linie ein politischer Gedanke. Aber er war
ersichtlich auch noch mehr als das. In irgendeinem Maße verband
sich damit eine ästhetische Sympathie. In seinem Schloß zu
Lucera befand sich die sicherlich erste Antikensammlung
der neueren Jahrhunderte, Marmor- und Bronze-Skulpturen, die
er zum Teil aus nicht geringer Entfernung »mit großer Vorsicht,
auf den Rücken von Lastträgern hatte herbeischaffen lassen«.
An seine berühmten Augustalen braucht nur erinnert zu werden.
Viel wichtiger ist noch, daß er lebende Bildhauer fand, die seine
Bauten mit Statuen schmückten, in denen mit Erfolg die Antike
nachgeahmt wurde. Innerhalb unserer Kenntnis ist das Haupt-
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[112/0130] Die Kunst Unteritaliens in der Zeit Kaiser Friedrichs II. ihrem starken Sinn sowohl für das Rationelle als für das Monu- mentale durchaus ein Vorbote der Renaissance. Die ihm wohl- verwandten Geister heißen Brunelleschi und Alberti. Man ver- gleiche damit, wie schon vor 50 Jahren Jakob Burckhardt (der seine Bauten nicht kannte) ihn »den ersten modernen Menschen auf dem Throne« genannt hat. Friedrich II. hat sich der Renaissance aber noch auf anderem Wege genähert. Wir sind heute einig darüber, daß die Renaissance wesentlich Schöpfung und Ausdruck des modernen Geistes ist; zugleich aber auch darüber, daß der erwachende moderne Geist nach bestimmten Richtungen hin der griechisch-römischen Kultur und Kunst sich näher verwandt fühlte als dem christlichen Mittel- alter, das er zu überwinden trachtete. Mehr als einmal sind schon im Mittelalter selbst Regungen der Auflehnung gegen das herr- schende System mit Hinneigung zur Antike zusammengetroffen. Im Lande der südfranzösischen Ketzer hatte es eine volle blühende Protorenaissancearchitektur gegeben. Jetzt wurde in Süditalien der Freidenker Friedrich Anreger und Protektor einer antiki- sierenden Bildhauerschule. Sie hat gerade so wie die friderizianische Architekturschule nur eine kurze Dauer gehabt, und ihre Leistung ist uns nur in dürftigen Bruchstücken erhalten: was sie uns sagt, spricht eine vollkommen deutliche Sprache. Für Friedrich war die Wiederbelebung der Erinnerung an das klassische Altertum, das er sich wesentlich als das kaiserliche Rom dachte, wohl in erster Linie ein politischer Gedanke. Aber er war ersichtlich auch noch mehr als das. In irgendeinem Maße verband sich damit eine ästhetische Sympathie. In seinem Schloß zu Lucera befand sich die sicherlich erste Antikensammlung der neueren Jahrhunderte, Marmor- und Bronze-Skulpturen, die er zum Teil aus nicht geringer Entfernung »mit großer Vorsicht, auf den Rücken von Lastträgern hatte herbeischaffen lassen«. An seine berühmten Augustalen braucht nur erinnert zu werden. Viel wichtiger ist noch, daß er lebende Bildhauer fand, die seine Bauten mit Statuen schmückten, in denen mit Erfolg die Antike nachgeahmt wurde. Innerhalb unserer Kenntnis ist das Haupt- beispiel das Brückentor von Capua. Es war ein sehr reich mit

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Zitationshilfe: Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dehio_aufsaetze_1914/130>, abgerufen am 26.11.2024.