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Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914.

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Der Meister des Gemmingendenkmals im Mainzer Dom
Im dortigen Dome steht die stolzeste Reihe von Grabdenkmälern,
vom XIII. Jahrhundert ab, die Deutschland besitzt. Drei von ihnen
könnten nach ihrer Zeitstellung für Backofen in Frage kommen:
das Denkmal Bertholds von Henneberg (gest. 1504) (Taf. 12), das
Jakobs von Liebenstein (gest. 1508) (Taf. 13), das Uriels von
Gemmingen (gest. 1514) (Taf. 14). Zunächst mag uns das letztere
allein beschäftigen, da es zeitlich in der Mitte zwischen den
großen Kreuzigungen liegt und etwaige Berührungspunkte am
deutlichsten erkennen lassen müßte.

Fragen wir, was uns am Gemmingendenkmal, gemessen an
dem Gleichzeitigen und unmittelbar Vorangehenden in der deut-
schen Plastik, als besonders bezeichnend erscheint, so werden wir
sagen: die intensive malerische Empfindungsweise. Sie ist in der
deutschen Plastik dieser Zeit nicht neu überhaupt. Denken wir
unter verwandten Aufgaben etwa an Riemenschneiders Bischofs-
gräber im Dom zu Würzburg oder an Päuerleins Hohenzollern-
denkmal in Augsburg und sein Reichenaudenkmal in Eichstätt,
so sind auch diese gewiß malerisch zu nennen. Aber um wieviel
geht darin das Mainzer Denkmal über sie hinaus in der Einheit-
lichkeit wie in der Kraft der Ausdrucksmittel! Was malerischer
Stil in der Plastik sei, brauche ich hier nicht weitläufig zu erörtern.
Er kann verschiedenes bedeuten. Unter anderem ist er eines der
wirksamsten Mittel, um den Eindruck des Bewegten hervorzu-
rufen. Sofort fällt, unter diesem Gesichtspunkte betrachtet, die
tiefe innere Verwandtschaft des Gemmingendenkmals mit den
Kreuzigungsgruppen ins Auge. Bei den letzteren ist schon die Ge-
samtkomposition in ihrem Figurenreichtum aus einer entschiedenst
malerischen Tendenz hervorgegangen. Man hatte wohl schon früher
die drei Kreuze nebeneinandergestellt oder aber Maria Magdalena
zu den althergebrachten Gestalten der Mutter und des Jüngers
hinzugesellt; aber beide Motive vereinigt nur in Reliefs oder Altar-
schreinsgruppen. Indem Backofen diese Anordnung auf die Frei-
gruppe übertrug, gewann er die Möglichkeit zu einer für die Plastik
neuen Steigerung der Affekte. Im Vergleich zu der Darstellungs-
weise des XIII. und XIV. Jahrhunderts sind dabei die Rollen um-
gekehrt. Dort der Gekreuzigte in gliederverrenkender Todes-

Der Meister des Gemmingendenkmals im Mainzer Dom
Im dortigen Dome steht die stolzeste Reihe von Grabdenkmälern,
vom XIII. Jahrhundert ab, die Deutschland besitzt. Drei von ihnen
könnten nach ihrer Zeitstellung für Backofen in Frage kommen:
das Denkmal Bertholds von Henneberg (gest. 1504) (Taf. 12), das
Jakobs von Liebenstein (gest. 1508) (Taf. 13), das Uriels von
Gemmingen (gest. 1514) (Taf. 14). Zunächst mag uns das letztere
allein beschäftigen, da es zeitlich in der Mitte zwischen den
großen Kreuzigungen liegt und etwaige Berührungspunkte am
deutlichsten erkennen lassen müßte.

Fragen wir, was uns am Gemmingendenkmal, gemessen an
dem Gleichzeitigen und unmittelbar Vorangehenden in der deut-
schen Plastik, als besonders bezeichnend erscheint, so werden wir
sagen: die intensive malerische Empfindungsweise. Sie ist in der
deutschen Plastik dieser Zeit nicht neu überhaupt. Denken wir
unter verwandten Aufgaben etwa an Riemenschneiders Bischofs-
gräber im Dom zu Würzburg oder an Päuerleins Hohenzollern-
denkmal in Augsburg und sein Reichenaudenkmal in Eichstätt,
so sind auch diese gewiß malerisch zu nennen. Aber um wieviel
geht darin das Mainzer Denkmal über sie hinaus in der Einheit-
lichkeit wie in der Kraft der Ausdrucksmittel! Was malerischer
Stil in der Plastik sei, brauche ich hier nicht weitläufig zu erörtern.
Er kann verschiedenes bedeuten. Unter anderem ist er eines der
wirksamsten Mittel, um den Eindruck des Bewegten hervorzu-
rufen. Sofort fällt, unter diesem Gesichtspunkte betrachtet, die
tiefe innere Verwandtschaft des Gemmingendenkmals mit den
Kreuzigungsgruppen ins Auge. Bei den letzteren ist schon die Ge-
samtkomposition in ihrem Figurenreichtum aus einer entschiedenst
malerischen Tendenz hervorgegangen. Man hatte wohl schon früher
die drei Kreuze nebeneinandergestellt oder aber Maria Magdalena
zu den althergebrachten Gestalten der Mutter und des Jüngers
hinzugesellt; aber beide Motive vereinigt nur in Reliefs oder Altar-
schreinsgruppen. Indem Backofen diese Anordnung auf die Frei-
gruppe übertrug, gewann er die Möglichkeit zu einer für die Plastik
neuen Steigerung der Affekte. Im Vergleich zu der Darstellungs-
weise des XIII. und XIV. Jahrhunderts sind dabei die Rollen um-
gekehrt. Dort der Gekreuzigte in gliederverrenkender Todes-

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[134/0166] Der Meister des Gemmingendenkmals im Mainzer Dom Im dortigen Dome steht die stolzeste Reihe von Grabdenkmälern, vom XIII. Jahrhundert ab, die Deutschland besitzt. Drei von ihnen könnten nach ihrer Zeitstellung für Backofen in Frage kommen: das Denkmal Bertholds von Henneberg (gest. 1504) (Taf. 12), das Jakobs von Liebenstein (gest. 1508) (Taf. 13), das Uriels von Gemmingen (gest. 1514) (Taf. 14). Zunächst mag uns das letztere allein beschäftigen, da es zeitlich in der Mitte zwischen den großen Kreuzigungen liegt und etwaige Berührungspunkte am deutlichsten erkennen lassen müßte. Fragen wir, was uns am Gemmingendenkmal, gemessen an dem Gleichzeitigen und unmittelbar Vorangehenden in der deut- schen Plastik, als besonders bezeichnend erscheint, so werden wir sagen: die intensive malerische Empfindungsweise. Sie ist in der deutschen Plastik dieser Zeit nicht neu überhaupt. Denken wir unter verwandten Aufgaben etwa an Riemenschneiders Bischofs- gräber im Dom zu Würzburg oder an Päuerleins Hohenzollern- denkmal in Augsburg und sein Reichenaudenkmal in Eichstätt, so sind auch diese gewiß malerisch zu nennen. Aber um wieviel geht darin das Mainzer Denkmal über sie hinaus in der Einheit- lichkeit wie in der Kraft der Ausdrucksmittel! Was malerischer Stil in der Plastik sei, brauche ich hier nicht weitläufig zu erörtern. Er kann verschiedenes bedeuten. Unter anderem ist er eines der wirksamsten Mittel, um den Eindruck des Bewegten hervorzu- rufen. Sofort fällt, unter diesem Gesichtspunkte betrachtet, die tiefe innere Verwandtschaft des Gemmingendenkmals mit den Kreuzigungsgruppen ins Auge. Bei den letzteren ist schon die Ge- samtkomposition in ihrem Figurenreichtum aus einer entschiedenst malerischen Tendenz hervorgegangen. Man hatte wohl schon früher die drei Kreuze nebeneinandergestellt oder aber Maria Magdalena zu den althergebrachten Gestalten der Mutter und des Jüngers hinzugesellt; aber beide Motive vereinigt nur in Reliefs oder Altar- schreinsgruppen. Indem Backofen diese Anordnung auf die Frei- gruppe übertrug, gewann er die Möglichkeit zu einer für die Plastik neuen Steigerung der Affekte. Im Vergleich zu der Darstellungs- weise des XIII. und XIV. Jahrhunderts sind dabei die Rollen um- gekehrt. Dort der Gekreuzigte in gliederverrenkender Todes-

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Zitationshilfe: Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914, S. 134. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dehio_aufsaetze_1914/166>, abgerufen am 30.11.2024.