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Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914.

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Die Kunst des Mittelalters
Gefahr, durch Blitzschlag, Brandlegung in Kriegszeiten u. dgl.,
sie lag in der Einrichtung des Kirchengebäudes selbst, dessen
kleine, lichtarme, im Winter verschlossene Fenster zu ausgedehnter
Anwendung von Kerzen- und Lampenlicht hinführten. Von
der gewölbten Decke erwartete man praktisch größere Sicherheit,
ästhetisch den Eindruck größerer Monumentalität. Eine gewisse
Kenntnis der Wölbetechnik hatte sich erhalten, an den Halb-
kuppeln der Apsiden, in Krypten, Emporen, Kapellen wurde sie
überall geübt; zuweilen überrascht das Zustandekommen auch
größerer Gewölbebauten, die dann aber immer zentral disponiert
sind (wie z. B. S. Benigne in Dijon, Ottmarsheim, beabsichtigt
in der Kapitolskirche in Köln, alles Bauten aus der ersten Hälfte
und Mitte des 11. Jahrhunderts). Die Schwierigkeit lag nicht
im Wölben an sich, sondern darin, daß die den Römern geläufig
gewesenen Gewölbeformen, an die man hätte anknüpfen können,
unvereinbar waren mit der Raumform der Basilika, die nun ein-
mal die historisch tief eingewurzelte, liturgisch wie künstlerisch
durch große Vorzüge gestützte Kirchenform war; denn die über
Pfeilern und Bögen schwebenden, oberwärts freiliegenden Hoch-
wände, wie sollten sie Gewölbe tragen, ohne durch deren Schub
seitlich auseinander geworfen zu werden?

So stand man vor dem Dilemma: das Gewölbe annehmen
und die Basilikenform fallen lassen -- oder der Basilika treu-
bleiben und auf die Gewölbe verzichten. Verschiedene Schulen
haben sich hierin verschieden verhalten, lange Zeit ist mit wech-
selnden Versuchen hingegangen, die befriedigende Lösung brachte
erst das gotische System.

Das Auftauchen des Gewölbeproblems hatte aber noch eine
andere Folge, die eines Wandels im ganzen Baubetrieb. Wo sich
nicht, wie in Italien und vielleicht auch im südlichen Gallien,
alte Gewerkschaften erhalten hatten, da hatte die Geistlichkeit
die Leitung übernommen. Diese dilettantische Betriebsart ist in
den Folgen kenntlich genug; indessen unter den einfachen Be-
dingungen der Frühzeit genügte sie. Aber es kam die Zeit, wo mehr
verlangt werden mußte. Umsichtig regierte Klöster, wie Cluny
und Hirsau nebst ihren Anverwandten sahen sich schon genötigt,

Die Kunst des Mittelalters
Gefahr, durch Blitzschlag, Brandlegung in Kriegszeiten u. dgl.,
sie lag in der Einrichtung des Kirchengebäudes selbst, dessen
kleine, lichtarme, im Winter verschlossene Fenster zu ausgedehnter
Anwendung von Kerzen- und Lampenlicht hinführten. Von
der gewölbten Decke erwartete man praktisch größere Sicherheit,
ästhetisch den Eindruck größerer Monumentalität. Eine gewisse
Kenntnis der Wölbetechnik hatte sich erhalten, an den Halb-
kuppeln der Apsiden, in Krypten, Emporen, Kapellen wurde sie
überall geübt; zuweilen überrascht das Zustandekommen auch
größerer Gewölbebauten, die dann aber immer zentral disponiert
sind (wie z. B. S. Bénigne in Dijon, Ottmarsheim, beabsichtigt
in der Kapitolskirche in Köln, alles Bauten aus der ersten Hälfte
und Mitte des 11. Jahrhunderts). Die Schwierigkeit lag nicht
im Wölben an sich, sondern darin, daß die den Römern geläufig
gewesenen Gewölbeformen, an die man hätte anknüpfen können,
unvereinbar waren mit der Raumform der Basilika, die nun ein-
mal die historisch tief eingewurzelte, liturgisch wie künstlerisch
durch große Vorzüge gestützte Kirchenform war; denn die über
Pfeilern und Bögen schwebenden, oberwärts freiliegenden Hoch-
wände, wie sollten sie Gewölbe tragen, ohne durch deren Schub
seitlich auseinander geworfen zu werden?

So stand man vor dem Dilemma: das Gewölbe annehmen
und die Basilikenform fallen lassen — oder der Basilika treu-
bleiben und auf die Gewölbe verzichten. Verschiedene Schulen
haben sich hierin verschieden verhalten, lange Zeit ist mit wech-
selnden Versuchen hingegangen, die befriedigende Lösung brachte
erst das gotische System.

Das Auftauchen des Gewölbeproblems hatte aber noch eine
andere Folge, die eines Wandels im ganzen Baubetrieb. Wo sich
nicht, wie in Italien und vielleicht auch im südlichen Gallien,
alte Gewerkschaften erhalten hatten, da hatte die Geistlichkeit
die Leitung übernommen. Diese dilettantische Betriebsart ist in
den Folgen kenntlich genug; indessen unter den einfachen Be-
dingungen der Frühzeit genügte sie. Aber es kam die Zeit, wo mehr
verlangt werden mußte. Umsichtig regierte Klöster, wie Cluny
und Hirsau nebst ihren Anverwandten sahen sich schon genötigt,

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[13/0027] Die Kunst des Mittelalters Gefahr, durch Blitzschlag, Brandlegung in Kriegszeiten u. dgl., sie lag in der Einrichtung des Kirchengebäudes selbst, dessen kleine, lichtarme, im Winter verschlossene Fenster zu ausgedehnter Anwendung von Kerzen- und Lampenlicht hinführten. Von der gewölbten Decke erwartete man praktisch größere Sicherheit, ästhetisch den Eindruck größerer Monumentalität. Eine gewisse Kenntnis der Wölbetechnik hatte sich erhalten, an den Halb- kuppeln der Apsiden, in Krypten, Emporen, Kapellen wurde sie überall geübt; zuweilen überrascht das Zustandekommen auch größerer Gewölbebauten, die dann aber immer zentral disponiert sind (wie z. B. S. Bénigne in Dijon, Ottmarsheim, beabsichtigt in der Kapitolskirche in Köln, alles Bauten aus der ersten Hälfte und Mitte des 11. Jahrhunderts). Die Schwierigkeit lag nicht im Wölben an sich, sondern darin, daß die den Römern geläufig gewesenen Gewölbeformen, an die man hätte anknüpfen können, unvereinbar waren mit der Raumform der Basilika, die nun ein- mal die historisch tief eingewurzelte, liturgisch wie künstlerisch durch große Vorzüge gestützte Kirchenform war; denn die über Pfeilern und Bögen schwebenden, oberwärts freiliegenden Hoch- wände, wie sollten sie Gewölbe tragen, ohne durch deren Schub seitlich auseinander geworfen zu werden? So stand man vor dem Dilemma: das Gewölbe annehmen und die Basilikenform fallen lassen — oder der Basilika treu- bleiben und auf die Gewölbe verzichten. Verschiedene Schulen haben sich hierin verschieden verhalten, lange Zeit ist mit wech- selnden Versuchen hingegangen, die befriedigende Lösung brachte erst das gotische System. Das Auftauchen des Gewölbeproblems hatte aber noch eine andere Folge, die eines Wandels im ganzen Baubetrieb. Wo sich nicht, wie in Italien und vielleicht auch im südlichen Gallien, alte Gewerkschaften erhalten hatten, da hatte die Geistlichkeit die Leitung übernommen. Diese dilettantische Betriebsart ist in den Folgen kenntlich genug; indessen unter den einfachen Be- dingungen der Frühzeit genügte sie. Aber es kam die Zeit, wo mehr verlangt werden mußte. Umsichtig regierte Klöster, wie Cluny und Hirsau nebst ihren Anverwandten sahen sich schon genötigt,

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Zitationshilfe: Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dehio_aufsaetze_1914/27>, abgerufen am 21.11.2024.