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Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914.

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Alt-Italienische Gemälde als Quelle zum Faust
(586--589) "Eckzähne klaffen; dem Gewölb des Schlundes
Entquillt der Feuerstrom in Wut,
Und in dem Siedequalm des Hintergrundes
Seh' ich die Flammenstadt in ew'ger Glut".

Weiter fällt sein Blick auf den infernalischen Teich, der mit
Verdammten angefüllt ist, welche ans Ufer wollen, aber Satans
Badeknechte stoßen sie immer zurück:
(591--593) "Verdammte, Rettung hoffend, schwimmen an,
Doch kolossal zerknirscht sie die Hyäne,
Und sie erneuen ängstlich heiße Bahn".

Jetzt hinweg über das Gedränge unendlicher Marterszenen
und zum Höllenfürsten selbst. Ein Ungeheuer mit dreifachem
Haupt, zwischen jedem Kinnbackenpaare einen der drei Erz-
verräter -- Judas, Brutus, Cassius -- zermalmend, wie man es
von Dante her kennt; weiter unten im Leibe des Scheusals, in
einer von Dante unabhängigen Auffassung, die Verbrecher der
Völlerei und Wollust. Gerade diese letztere Erfindung in ihrer
verwegenen Bizarrerie hat auf Goethe Eindruck gemacht, und
er kann sich nicht enthalten, das Unsagbare wenigstens anzu-
deuten:
(606--611) Paßt auf die niedern Regionen,
Ihr Schläuche, das ist eure Pflicht;
Ob's ihr [der Seele] beliebte, da zu wohnen,
So akkurat weiß man das nicht.
Im Nabel ist sie gern zu Haus;
Nehmt es in acht, sie wischt euch dort heraus.

Wäre es nur diese eine Stelle, sie allein schon gäbe den
Beweis.

Nach dieser Höllenfahrt kehrt Goethe, gerade wie Dante
einst es getan, zur Oberwelt, d. i. zum Schauplatz des "Trionfo
della Morte", zurück, und indem er hier, auf der bewaldeten, von
tiefen Schluchten umgrenzten mittlern Stufe des Gebirges, von
den infernalen Schrecknissen sich gleichsam erholt, empfängt ihn
eine wunderbare Inspiration. Er ist hier in der Wüste der Thebais
bei den heiligen Einsiedlern, die, während draußen der Tod dräut
und wütet, in ihrem Herzen den Tod überwunden haben, Natur-
frieden um sich, Gottesfrieden in sich. Es gibt in der Kunst aller
Zeiten weniges, was an Kraft und Tiefe der Poesie mit dieser

Alt-Italienische Gemälde als Quelle zum Faust
(586—589) »Eckzähne klaffen; dem Gewölb des Schlundes
Entquillt der Feuerstrom in Wut,
Und in dem Siedequalm des Hintergrundes
Seh' ich die Flammenstadt in ew'ger Glut«.

Weiter fällt sein Blick auf den infernalischen Teich, der mit
Verdammten angefüllt ist, welche ans Ufer wollen, aber Satans
Badeknechte stoßen sie immer zurück:
(591—593) »Verdammte, Rettung hoffend, schwimmen an,
Doch kolossal zerknirscht sie die Hyäne,
Und sie erneuen ängstlich heiße Bahn«.

Jetzt hinweg über das Gedränge unendlicher Marterszenen
und zum Höllenfürsten selbst. Ein Ungeheuer mit dreifachem
Haupt, zwischen jedem Kinnbackenpaare einen der drei Erz-
verräter — Judas, Brutus, Cassius — zermalmend, wie man es
von Dante her kennt; weiter unten im Leibe des Scheusals, in
einer von Dante unabhängigen Auffassung, die Verbrecher der
Völlerei und Wollust. Gerade diese letztere Erfindung in ihrer
verwegenen Bizarrerie hat auf Goethe Eindruck gemacht, und
er kann sich nicht enthalten, das Unsagbare wenigstens anzu-
deuten:
(606—611) Paßt auf die niedern Regionen,
Ihr Schläuche, das ist eure Pflicht;
Ob's ihr [der Seele] beliebte, da zu wohnen,
So akkurat weiß man das nicht.
Im Nabel ist sie gern zu Haus;
Nehmt es in acht, sie wischt euch dort heraus.

Wäre es nur diese eine Stelle, sie allein schon gäbe den
Beweis.

Nach dieser Höllenfahrt kehrt Goethe, gerade wie Dante
einst es getan, zur Oberwelt, d. i. zum Schauplatz des »Trionfo
della Morte«, zurück, und indem er hier, auf der bewaldeten, von
tiefen Schluchten umgrenzten mittlern Stufe des Gebirges, von
den infernalen Schrecknissen sich gleichsam erholt, empfängt ihn
eine wunderbare Inspiration. Er ist hier in der Wüste der Thebais
bei den heiligen Einsiedlern, die, während draußen der Tod dräut
und wütet, in ihrem Herzen den Tod überwunden haben, Natur-
frieden um sich, Gottesfrieden in sich. Es gibt in der Kunst aller
Zeiten weniges, was an Kraft und Tiefe der Poesie mit dieser

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[229/0285] Alt-Italienische Gemälde als Quelle zum Faust (586—589) »Eckzähne klaffen; dem Gewölb des Schlundes Entquillt der Feuerstrom in Wut, Und in dem Siedequalm des Hintergrundes Seh' ich die Flammenstadt in ew'ger Glut«. Weiter fällt sein Blick auf den infernalischen Teich, der mit Verdammten angefüllt ist, welche ans Ufer wollen, aber Satans Badeknechte stoßen sie immer zurück: (591—593) »Verdammte, Rettung hoffend, schwimmen an, Doch kolossal zerknirscht sie die Hyäne, Und sie erneuen ängstlich heiße Bahn«. Jetzt hinweg über das Gedränge unendlicher Marterszenen und zum Höllenfürsten selbst. Ein Ungeheuer mit dreifachem Haupt, zwischen jedem Kinnbackenpaare einen der drei Erz- verräter — Judas, Brutus, Cassius — zermalmend, wie man es von Dante her kennt; weiter unten im Leibe des Scheusals, in einer von Dante unabhängigen Auffassung, die Verbrecher der Völlerei und Wollust. Gerade diese letztere Erfindung in ihrer verwegenen Bizarrerie hat auf Goethe Eindruck gemacht, und er kann sich nicht enthalten, das Unsagbare wenigstens anzu- deuten: (606—611) Paßt auf die niedern Regionen, Ihr Schläuche, das ist eure Pflicht; Ob's ihr [der Seele] beliebte, da zu wohnen, So akkurat weiß man das nicht. Im Nabel ist sie gern zu Haus; Nehmt es in acht, sie wischt euch dort heraus. Wäre es nur diese eine Stelle, sie allein schon gäbe den Beweis. Nach dieser Höllenfahrt kehrt Goethe, gerade wie Dante einst es getan, zur Oberwelt, d. i. zum Schauplatz des »Trionfo della Morte«, zurück, und indem er hier, auf der bewaldeten, von tiefen Schluchten umgrenzten mittlern Stufe des Gebirges, von den infernalen Schrecknissen sich gleichsam erholt, empfängt ihn eine wunderbare Inspiration. Er ist hier in der Wüste der Thebais bei den heiligen Einsiedlern, die, während draußen der Tod dräut und wütet, in ihrem Herzen den Tod überwunden haben, Natur- frieden um sich, Gottesfrieden in sich. Es gibt in der Kunst aller Zeiten weniges, was an Kraft und Tiefe der Poesie mit dieser

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Zitationshilfe: Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914, S. 229. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dehio_aufsaetze_1914/285>, abgerufen am 24.11.2024.