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Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914.

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Das Verhältnis d. geschichtlichen z. d. kunstgeschichtlichen Studien
schritte der Technik, Hilfsmittel in den Dienst der Kunst zu
stellen, wie keine andere Zeit sie besessen hat: öffentliche Samm-
lungen, periodische Ausstellungen, eine im Sinne der Massen-
produktion beispiellose Vervollkommnung der Vervielfältigungs-
methoden usw. Man hat sich dieser und anderer Errungenschaften
aufrichtig zu freuen, aber man täusche sich nicht darüber, daß
die Nation nur allmählich dieser Schätze wieder innerlich Herr
werden kann. Das Organ der Volksseele, um das es sich hier fragt,
ist durch anhaltenden Nichtgebrauch träge und stumpf geworden;
es bedarf langer Übung und Pflege, bis es zu normaler Leistungs-
fähigkeit wieder herangewöhnt sein wird. Wir fassen die Kunst-
pflege noch viel zu einseitig als Förderung der künstlerischen
Produktion; was nützt diese, wenn nicht gleichzeitig die
Genußfähigkeit des Publikums gesteigert und veredelt, das Auge
der Betrachter sehtüchtiger gemacht wird? Es ist ein Problem
der allgemeinen Volkserziehung, das der Lösung
wartet, und dieses muß an möglichst vielen Stellen zugleich erfaßt
werden.

Die steigende Welle der öffentlichen Gunst hat der Kunst-
wissenschaft nun auch an unseren Universitäten, -- an einigen,
noch nicht vielen -- Einlaß verschafft. (Im Deutschen Reich sind
fünf ordentliche Professuren vorhanden, davon drei in Preußen;
in Bayern, selbst in München (!) keine). Sie ist nicht gerufen
worden, sie hat um Einlaß gebeten. Und es fehlt viel, daß die Bahn
schon frei und eben vor ihr läge.

Zum ersten fehlt ihr, das ist der Grundschaden, der Unterbau,
den nur die Elementar- und Mittelschule legen kann. Die Frage,
die ich hiermit berühre, ist eine zu weit ausgreifende, als daß ich
an dieser Stelle ihr nachgehen dürfte. Nur um nicht am Ende
ganz mißverstanden zu werden, möchte ich in aller Kürze meine
Meinung vorlegen. Ich denke nicht -- wovon in der Tat schon die
Rede gewesen ist -- an Einrichtung eines besonderen kunstge-
schichtlichen Unterrichts auf dem Gymnasium. Zwar würde es
gewiß keine der vielbeschrieenen "Überbürdungen", vielmehr Er-
frischung und Belebung des Geschichtsunterrichtes sein, wenn
der Lehrer einiges aus der Kunstgeschichte miteinfließen ließe, --

Dehio, Kunsthistorische Aufsätze 16

Das Verhältnis d. geschichtlichen z. d. kunstgeschichtlichen Studien
schritte der Technik, Hilfsmittel in den Dienst der Kunst zu
stellen, wie keine andere Zeit sie besessen hat: öffentliche Samm-
lungen, periodische Ausstellungen, eine im Sinne der Massen-
produktion beispiellose Vervollkommnung der Vervielfältigungs-
methoden usw. Man hat sich dieser und anderer Errungenschaften
aufrichtig zu freuen, aber man täusche sich nicht darüber, daß
die Nation nur allmählich dieser Schätze wieder innerlich Herr
werden kann. Das Organ der Volksseele, um das es sich hier fragt,
ist durch anhaltenden Nichtgebrauch träge und stumpf geworden;
es bedarf langer Übung und Pflege, bis es zu normaler Leistungs-
fähigkeit wieder herangewöhnt sein wird. Wir fassen die Kunst-
pflege noch viel zu einseitig als Förderung der künstlerischen
Produktion; was nützt diese, wenn nicht gleichzeitig die
Genußfähigkeit des Publikums gesteigert und veredelt, das Auge
der Betrachter sehtüchtiger gemacht wird? Es ist ein Problem
der allgemeinen Volkserziehung, das der Lösung
wartet, und dieses muß an möglichst vielen Stellen zugleich erfaßt
werden.

Die steigende Welle der öffentlichen Gunst hat der Kunst-
wissenschaft nun auch an unseren Universitäten, — an einigen,
noch nicht vielen — Einlaß verschafft. (Im Deutschen Reich sind
fünf ordentliche Professuren vorhanden, davon drei in Preußen;
in Bayern, selbst in München (!) keine). Sie ist nicht gerufen
worden, sie hat um Einlaß gebeten. Und es fehlt viel, daß die Bahn
schon frei und eben vor ihr läge.

Zum ersten fehlt ihr, das ist der Grundschaden, der Unterbau,
den nur die Elementar- und Mittelschule legen kann. Die Frage,
die ich hiermit berühre, ist eine zu weit ausgreifende, als daß ich
an dieser Stelle ihr nachgehen dürfte. Nur um nicht am Ende
ganz mißverstanden zu werden, möchte ich in aller Kürze meine
Meinung vorlegen. Ich denke nicht — wovon in der Tat schon die
Rede gewesen ist — an Einrichtung eines besonderen kunstge-
schichtlichen Unterrichts auf dem Gymnasium. Zwar würde es
gewiß keine der vielbeschrieenen »Überbürdungen«, vielmehr Er-
frischung und Belebung des Geschichtsunterrichtes sein, wenn
der Lehrer einiges aus der Kunstgeschichte miteinfließen ließe, —

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[241/0303] Das Verhältnis d. geschichtlichen z. d. kunstgeschichtlichen Studien schritte der Technik, Hilfsmittel in den Dienst der Kunst zu stellen, wie keine andere Zeit sie besessen hat: öffentliche Samm- lungen, periodische Ausstellungen, eine im Sinne der Massen- produktion beispiellose Vervollkommnung der Vervielfältigungs- methoden usw. Man hat sich dieser und anderer Errungenschaften aufrichtig zu freuen, aber man täusche sich nicht darüber, daß die Nation nur allmählich dieser Schätze wieder innerlich Herr werden kann. Das Organ der Volksseele, um das es sich hier fragt, ist durch anhaltenden Nichtgebrauch träge und stumpf geworden; es bedarf langer Übung und Pflege, bis es zu normaler Leistungs- fähigkeit wieder herangewöhnt sein wird. Wir fassen die Kunst- pflege noch viel zu einseitig als Förderung der künstlerischen Produktion; was nützt diese, wenn nicht gleichzeitig die Genußfähigkeit des Publikums gesteigert und veredelt, das Auge der Betrachter sehtüchtiger gemacht wird? Es ist ein Problem der allgemeinen Volkserziehung, das der Lösung wartet, und dieses muß an möglichst vielen Stellen zugleich erfaßt werden. Die steigende Welle der öffentlichen Gunst hat der Kunst- wissenschaft nun auch an unseren Universitäten, — an einigen, noch nicht vielen — Einlaß verschafft. (Im Deutschen Reich sind fünf ordentliche Professuren vorhanden, davon drei in Preußen; in Bayern, selbst in München (!) keine). Sie ist nicht gerufen worden, sie hat um Einlaß gebeten. Und es fehlt viel, daß die Bahn schon frei und eben vor ihr läge. Zum ersten fehlt ihr, das ist der Grundschaden, der Unterbau, den nur die Elementar- und Mittelschule legen kann. Die Frage, die ich hiermit berühre, ist eine zu weit ausgreifende, als daß ich an dieser Stelle ihr nachgehen dürfte. Nur um nicht am Ende ganz mißverstanden zu werden, möchte ich in aller Kürze meine Meinung vorlegen. Ich denke nicht — wovon in der Tat schon die Rede gewesen ist — an Einrichtung eines besonderen kunstge- schichtlichen Unterrichts auf dem Gymnasium. Zwar würde es gewiß keine der vielbeschrieenen »Überbürdungen«, vielmehr Er- frischung und Belebung des Geschichtsunterrichtes sein, wenn der Lehrer einiges aus der Kunstgeschichte miteinfließen ließe, — Dehio, Kunsthistorische Aufsätze 16

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Zitationshilfe: Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914, S. 241. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dehio_aufsaetze_1914/303>, abgerufen am 24.11.2024.