Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914.Was wird aus dem Heidelberger Schloß werden? Wir haben bis dahin das Gebäude für sich allein betrachtet. Verlust und Gewinn im Falle fortgesetzter Verschäferung des Zwischen diesen beiden wird man sich zu entscheiden haben. Wir haben Grund zu hoffen, daß die "schicksalskundige Burg" Was wird aus dem Heidelberger Schloß werden? Wir haben bis dahin das Gebäude für sich allein betrachtet. Verlust und Gewinn im Falle fortgesetzter Verschäferung des Zwischen diesen beiden wird man sich zu entscheiden haben. Wir haben Grund zu hoffen, daß die »schicksalskundige Burg« <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0320" n="258"/> <fw place="top" type="header">Was wird aus dem Heidelberger Schloß werden?</fw><lb/> <p>Wir haben bis dahin das Gebäude für sich allein betrachtet.<lb/> Nun aber denke man sich, welchen Eindruck der funkelnagelneue<lb/> Schäfersche Ersatz-Otto-Heinrichsbau im ganzen der Schloßruine<lb/> machen wird! Er wird als eine schreiende Dissonanz dastehen. Er<lb/> und die ihn umgebenden <hi rendition="#g">Ruinen</hi> werden sich wechselseitig un-<lb/> möglich machen. Es wäre dasselbe, wie wenn man auf der Akro-<lb/> polis von Athen einen einzelnen Tempel wiederaufbauen und alles<lb/> übrige liegen lassen wollte, wie es ist. Wer hier höhnisch von »Senti-<lb/> mentalität« und »Romantik« spricht, beweist nur seinen gänzlichen<lb/> Mangel an ästhetischem Takt. Daß Altes auch alt erscheinen soll<lb/> mit allen Spuren des Erlebten, und wären es Runzeln, Risse und<lb/> Wunden, ist ein psychologisch tief begründetes Verlangen. Der<lb/> ästhetische Wert des Heidelberger Schlosses liegt nicht in erster<lb/> Linie in dieser oder jener Einzelheit, er liegt in dem unvergleich-<lb/> lichen, über alles, was man mit <hi rendition="#g">bloß architektonischen</hi><lb/> Mitteln erreichen könnte, weit hinausgehenden Stimmungsakkord<lb/> des Ganzen.</p><lb/> <p>Verlust und Gewinn im Falle fortgesetzter Verschäferung des<lb/> Schlosses lassen sich deutlich übersehen. Verlieren würden wir das<lb/> Echte und gewinnen die Imitation; verlieren das historisch Ge-<lb/> wordene und gewinnen das zeitlos Willkürliche; verlieren die Ruine,<lb/> die altersgraue und doch so lebendig zu uns sprechende, und ge-<lb/> winnen ein Ding, das weder alt noch neu ist, eine tote akademische<lb/> Abstraktion.</p><lb/> <p>Zwischen diesen beiden wird man sich zu entscheiden haben.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p>Wir haben Grund zu hoffen, daß die »schicksalskundige Burg«<lb/> auch diese neueste, seltsamste Gefahr noch überstehen wird. Wer<lb/> dies Blatt in die Hand bekommt, soll sich aber klar machen, daß<lb/> die Gefahr keine vereinzelte ist. Möchte doch das vertrauensvolle<lb/> Publikum es endlich bemerken, daß der Sache nach Ähnliches, mag<lb/> es auch in kleinerem Maßstabe sein, fortwährend bei uns geschieht.<lb/> Das bedrohte Heidelberg liegt <hi rendition="#g">überall</hi>.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [258/0320]
Was wird aus dem Heidelberger Schloß werden?
Wir haben bis dahin das Gebäude für sich allein betrachtet.
Nun aber denke man sich, welchen Eindruck der funkelnagelneue
Schäfersche Ersatz-Otto-Heinrichsbau im ganzen der Schloßruine
machen wird! Er wird als eine schreiende Dissonanz dastehen. Er
und die ihn umgebenden Ruinen werden sich wechselseitig un-
möglich machen. Es wäre dasselbe, wie wenn man auf der Akro-
polis von Athen einen einzelnen Tempel wiederaufbauen und alles
übrige liegen lassen wollte, wie es ist. Wer hier höhnisch von »Senti-
mentalität« und »Romantik« spricht, beweist nur seinen gänzlichen
Mangel an ästhetischem Takt. Daß Altes auch alt erscheinen soll
mit allen Spuren des Erlebten, und wären es Runzeln, Risse und
Wunden, ist ein psychologisch tief begründetes Verlangen. Der
ästhetische Wert des Heidelberger Schlosses liegt nicht in erster
Linie in dieser oder jener Einzelheit, er liegt in dem unvergleich-
lichen, über alles, was man mit bloß architektonischen
Mitteln erreichen könnte, weit hinausgehenden Stimmungsakkord
des Ganzen.
Verlust und Gewinn im Falle fortgesetzter Verschäferung des
Schlosses lassen sich deutlich übersehen. Verlieren würden wir das
Echte und gewinnen die Imitation; verlieren das historisch Ge-
wordene und gewinnen das zeitlos Willkürliche; verlieren die Ruine,
die altersgraue und doch so lebendig zu uns sprechende, und ge-
winnen ein Ding, das weder alt noch neu ist, eine tote akademische
Abstraktion.
Zwischen diesen beiden wird man sich zu entscheiden haben.
Wir haben Grund zu hoffen, daß die »schicksalskundige Burg«
auch diese neueste, seltsamste Gefahr noch überstehen wird. Wer
dies Blatt in die Hand bekommt, soll sich aber klar machen, daß
die Gefahr keine vereinzelte ist. Möchte doch das vertrauensvolle
Publikum es endlich bemerken, daß der Sache nach Ähnliches, mag
es auch in kleinerem Maßstabe sein, fortwährend bei uns geschieht.
Das bedrohte Heidelberg liegt überall.
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