Es war ein Verdienst der Revolution, daß sie die Menschen über die Irrtümer der Weltanschauung, aus der sie hervorgegangen war, gründlich aufklärte. Der Glaube an die Aufklärungsideale schwand, das 19. Jahrhundert vertraute sich einem neuen Geiste an, dem historischen Geiste. Der trat mit völlig veränderten Maßstäben an die Wertung der Dinge heran. Er durchdrang alle Wissenschaften, ihm unterwarf sich auch die Kunst -- ich will hier nicht fragen, ob zu ihrem Glück. Herrliche Entdeckerfreuden hat unter seiner Führung das 19. Jahrhundert erlebt. Es ist nicht zu sagen, um wieviel das Weltbild an Tiefe der Perspektive gewann. Man war beglückt, wenn man im Gegenwärtigen ein fortlebendes Altes nachweisen konnte. Man forschte nach Altertümern der Sprache, nach Altertümern des Rechts, nach Altertümern der Sitte; wie sollten da nicht -- allen, freilich sehr fest gewurzelten, ästhetischen Vorurteilen zum Trotz -- auch die Altertümer der Kunst an die Reihe kommen, sie, die über wichtige Regionen der innersten Volksgeschichte Auskünfte zu geben hatten, wie sie in keiner anderen Quelle zu finden wären. Dies ist der Ursprung der Denkmalspflege. Ohne die Dichter der Romantik, die Gelehrten der historischen Schule wäre sie niemals möglich geworden, wie sie durch diese zur Notwendigkeit wurde. Im Laufe ihrer weiteren, sich abklärenden Entwicklung hat die Denkmalspflege Mühe genug gehabt, mehr noch als irgendeine andere der historischen Diszi- plinen, ihre Mitgift romantischer Illusionen wieder abzustoßen; ja sie ist bis auf den heutigen Tag noch nicht völlig von ihnen befreit; vergessen wollen wir nie, woher die Grundgesinnung stammt, mit der unsere Denkmalpflege steht und fällt.
Sie ist nach ihrem Wesen am leichtesten deutlich zu machen durch den Vergleich mit der Sammlertätigkeit früherer Zeiten. Die Sammler des 16., 17., 18. Jahrhunderts sammelten aus ästhetischen Motiven oder aus irgendeiner sonst begründeten Liebhaberei; sie kannten Kunstepochen, die sie bevorzugten, und andere, sehr viele meist, die sie verachteten; immer war der Maßstab der Wert- schätzung ein subjektiver. Die Denkmalpflege des 19. Jahrhunderts kennt grundsätzlich solche Unterscheidungen nicht. Ihr letzter Beweggrund ist die Achtung vor der historischen
Denkmalschutz und Denkmalpflege
Es war ein Verdienst der Revolution, daß sie die Menschen über die Irrtümer der Weltanschauung, aus der sie hervorgegangen war, gründlich aufklärte. Der Glaube an die Aufklärungsideale schwand, das 19. Jahrhundert vertraute sich einem neuen Geiste an, dem historischen Geiste. Der trat mit völlig veränderten Maßstäben an die Wertung der Dinge heran. Er durchdrang alle Wissenschaften, ihm unterwarf sich auch die Kunst — ich will hier nicht fragen, ob zu ihrem Glück. Herrliche Entdeckerfreuden hat unter seiner Führung das 19. Jahrhundert erlebt. Es ist nicht zu sagen, um wieviel das Weltbild an Tiefe der Perspektive gewann. Man war beglückt, wenn man im Gegenwärtigen ein fortlebendes Altes nachweisen konnte. Man forschte nach Altertümern der Sprache, nach Altertümern des Rechts, nach Altertümern der Sitte; wie sollten da nicht — allen, freilich sehr fest gewurzelten, ästhetischen Vorurteilen zum Trotz — auch die Altertümer der Kunst an die Reihe kommen, sie, die über wichtige Regionen der innersten Volksgeschichte Auskünfte zu geben hatten, wie sie in keiner anderen Quelle zu finden wären. Dies ist der Ursprung der Denkmalspflege. Ohne die Dichter der Romantik, die Gelehrten der historischen Schule wäre sie niemals möglich geworden, wie sie durch diese zur Notwendigkeit wurde. Im Laufe ihrer weiteren, sich abklärenden Entwicklung hat die Denkmalspflege Mühe genug gehabt, mehr noch als irgendeine andere der historischen Diszi- plinen, ihre Mitgift romantischer Illusionen wieder abzustoßen; ja sie ist bis auf den heutigen Tag noch nicht völlig von ihnen befreit; vergessen wollen wir nie, woher die Grundgesinnung stammt, mit der unsere Denkmalpflege steht und fällt.
Sie ist nach ihrem Wesen am leichtesten deutlich zu machen durch den Vergleich mit der Sammlertätigkeit früherer Zeiten. Die Sammler des 16., 17., 18. Jahrhunderts sammelten aus ästhetischen Motiven oder aus irgendeiner sonst begründeten Liebhaberei; sie kannten Kunstepochen, die sie bevorzugten, und andere, sehr viele meist, die sie verachteten; immer war der Maßstab der Wert- schätzung ein subjektiver. Die Denkmalpflege des 19. Jahrhunderts kennt grundsätzlich solche Unterscheidungen nicht. Ihr letzter Beweggrund ist die Achtung vor der historischen
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0329"n="267"/><fwplace="top"type="header">Denkmalschutz und Denkmalpflege</fw><lb/><p>Es war ein Verdienst der Revolution, daß sie die Menschen<lb/>
über die Irrtümer der Weltanschauung, aus der sie hervorgegangen<lb/>
war, gründlich aufklärte. Der Glaube an die Aufklärungsideale<lb/>
schwand, das 19. Jahrhundert vertraute sich einem neuen Geiste<lb/>
an, dem <hirendition="#g">historischen</hi> Geiste. Der trat mit völlig veränderten<lb/>
Maßstäben an die Wertung der Dinge heran. Er durchdrang alle<lb/>
Wissenschaften, ihm unterwarf sich auch die Kunst — ich will<lb/>
hier nicht fragen, ob zu ihrem Glück. Herrliche Entdeckerfreuden<lb/>
hat unter seiner Führung das 19. Jahrhundert erlebt. Es ist nicht<lb/>
zu sagen, um wieviel das Weltbild an Tiefe der Perspektive gewann.<lb/>
Man war beglückt, wenn man im Gegenwärtigen ein fortlebendes<lb/>
Altes nachweisen konnte. Man forschte nach Altertümern der<lb/>
Sprache, nach Altertümern des Rechts, nach Altertümern der<lb/>
Sitte; wie sollten da nicht — allen, freilich sehr fest gewurzelten,<lb/>
ästhetischen Vorurteilen zum Trotz — auch die Altertümer der<lb/>
Kunst an die Reihe kommen, sie, die über wichtige Regionen der<lb/>
innersten Volksgeschichte Auskünfte zu geben hatten, wie sie in<lb/>
keiner anderen Quelle zu finden wären. Dies ist der Ursprung der<lb/>
Denkmalspflege. Ohne die Dichter der Romantik, die Gelehrten<lb/>
der historischen Schule wäre sie niemals möglich geworden, wie sie<lb/>
durch diese zur Notwendigkeit wurde. Im Laufe ihrer weiteren,<lb/>
sich abklärenden Entwicklung hat die Denkmalspflege Mühe genug<lb/>
gehabt, mehr noch als irgendeine andere der historischen Diszi-<lb/>
plinen, ihre Mitgift romantischer Illusionen wieder abzustoßen; ja<lb/>
sie ist bis auf den heutigen Tag noch nicht völlig von ihnen befreit;<lb/>
vergessen wollen wir nie, woher die Grundgesinnung stammt, mit<lb/>
der unsere Denkmalpflege steht und fällt.</p><lb/><p>Sie ist nach ihrem Wesen am leichtesten deutlich zu machen<lb/>
durch den Vergleich mit der Sammlertätigkeit früherer Zeiten. Die<lb/>
Sammler des 16., 17., 18. Jahrhunderts sammelten aus ästhetischen<lb/>
Motiven oder aus irgendeiner sonst begründeten Liebhaberei; sie<lb/>
kannten Kunstepochen, die sie bevorzugten, und andere, sehr viele<lb/>
meist, die sie verachteten; immer war der Maßstab der Wert-<lb/>
schätzung ein subjektiver. Die Denkmalpflege des 19. Jahrhunderts<lb/>
kennt grundsätzlich solche Unterscheidungen nicht. Ihr letzter<lb/>
Beweggrund ist <hirendition="#g">die Achtung vor der historischen</hi><lb/></p></div></body></text></TEI>
[267/0329]
Denkmalschutz und Denkmalpflege
Es war ein Verdienst der Revolution, daß sie die Menschen
über die Irrtümer der Weltanschauung, aus der sie hervorgegangen
war, gründlich aufklärte. Der Glaube an die Aufklärungsideale
schwand, das 19. Jahrhundert vertraute sich einem neuen Geiste
an, dem historischen Geiste. Der trat mit völlig veränderten
Maßstäben an die Wertung der Dinge heran. Er durchdrang alle
Wissenschaften, ihm unterwarf sich auch die Kunst — ich will
hier nicht fragen, ob zu ihrem Glück. Herrliche Entdeckerfreuden
hat unter seiner Führung das 19. Jahrhundert erlebt. Es ist nicht
zu sagen, um wieviel das Weltbild an Tiefe der Perspektive gewann.
Man war beglückt, wenn man im Gegenwärtigen ein fortlebendes
Altes nachweisen konnte. Man forschte nach Altertümern der
Sprache, nach Altertümern des Rechts, nach Altertümern der
Sitte; wie sollten da nicht — allen, freilich sehr fest gewurzelten,
ästhetischen Vorurteilen zum Trotz — auch die Altertümer der
Kunst an die Reihe kommen, sie, die über wichtige Regionen der
innersten Volksgeschichte Auskünfte zu geben hatten, wie sie in
keiner anderen Quelle zu finden wären. Dies ist der Ursprung der
Denkmalspflege. Ohne die Dichter der Romantik, die Gelehrten
der historischen Schule wäre sie niemals möglich geworden, wie sie
durch diese zur Notwendigkeit wurde. Im Laufe ihrer weiteren,
sich abklärenden Entwicklung hat die Denkmalspflege Mühe genug
gehabt, mehr noch als irgendeine andere der historischen Diszi-
plinen, ihre Mitgift romantischer Illusionen wieder abzustoßen; ja
sie ist bis auf den heutigen Tag noch nicht völlig von ihnen befreit;
vergessen wollen wir nie, woher die Grundgesinnung stammt, mit
der unsere Denkmalpflege steht und fällt.
Sie ist nach ihrem Wesen am leichtesten deutlich zu machen
durch den Vergleich mit der Sammlertätigkeit früherer Zeiten. Die
Sammler des 16., 17., 18. Jahrhunderts sammelten aus ästhetischen
Motiven oder aus irgendeiner sonst begründeten Liebhaberei; sie
kannten Kunstepochen, die sie bevorzugten, und andere, sehr viele
meist, die sie verachteten; immer war der Maßstab der Wert-
schätzung ein subjektiver. Die Denkmalpflege des 19. Jahrhunderts
kennt grundsätzlich solche Unterscheidungen nicht. Ihr letzter
Beweggrund ist die Achtung vor der historischen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Akademiebibliothek: Bereitstellung der Bilddigitalisate für die Seiten 122 und 123
(2012-02-21T10:17:23Z)
Weitere Informationen:
Nach den Richtlinien des Deutschen Textarchivs (DTA) transkribiert und ausgezeichnet.
Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914, S. 267. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dehio_aufsaetze_1914/329>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.