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Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914.

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Denkmalschutz und Denkmalpflege
loge ist -- seine Künstlerschaft hat zu schweigen. Muß man
Dichter sein, um die Schätze alter Literatur zu hüten? Das Ver-
hältnis des Künstlers zu den Denkmälern ist kein anderes. Ist der-
selbe ein klarblickender, gewissenhafter Denkmalpfleger -- auch
unter Künstlern hat es immer solche gegeben -- so kommt dabei
eine zweite Begabung und Geistesrichtung an den Tag, die mit der
künstlerischen an sich nichts zu tun hat, ja von ihr hart bedrängt
wird. Der Künstler -- wenn er wirklich einer ist -- braucht die
Freiheit wie der Fisch das Wasser; wie könnte er durch eine Auf-
gabe geehrt sein, die als erstes die Hingabe seiner Freiheit verlangt?
Wenn Restauratoren, die Erfolg haben wollen, durch ihre Anhänger
ihre "Genialität" sich bescheinigen lassen, so kann ich nur sagen:
Gott bewahre die Denkmäler vor genialen Restauratoren! Offen-
bar besteht zwischen der Aufgabe der Denkmälererhaltung und der
natürlichen Anlage des Künstlers eine nie ganz zu hebende Span-
nung. Mag in der heutigen Architektengeneration das archäo-
logische Wissen sich gegen früher sehr vervollkommnet haben
dank der ausgezeichneten Vorbildung auf den technischen Hoch-
schulen; mögen es einzelne zu einer ganz erstaunlichen Detail-
kenntnis in diesem oder jenem historischen Stile gebracht haben:
trotzdem wird sich niemals ein künstlerischer Kopf in einen histo-
rischen Kopf verwandeln oder gar diese Wandlung beliebig von
Tag zu Tag wiederholen hin und her.

Dies sei genug, um verständlich zu machen, daß der alles
durchsäuernde historische Geist des 19. Jahrhunderts, als er die
Künstler ergriff und zu den Denkmälern hintrieb, doch auf sie
ganz anders wirken mußte, als auf die Gelehrten, die ihn ge-
rufen hatten. Es handelt sich um eine grundsätzliche, nie zu
überbrückende Verschiedenheit in der Auffassung vom Wesen
des Denkmals. Dem Künstler ist es immer Künstlerwerk, dem
Historiker ein Produkt aus Kunst und Geschichte; und der
Historiker fordert auch für diese umschaffenden Kräfte Achtung
als für eine Wirklichkeit.

Aus der Betrachtung des bisherigen Ganges der Dinge ziehe
ich den Schluß: Das Gebot "konservieren, nicht restaurieren" aus-
zuführen ist der Beruf nicht sowohl von Künstlern, als von künst-

Denkmalschutz und Denkmalpflege
loge ist — seine Künstlerschaft hat zu schweigen. Muß man
Dichter sein, um die Schätze alter Literatur zu hüten? Das Ver-
hältnis des Künstlers zu den Denkmälern ist kein anderes. Ist der-
selbe ein klarblickender, gewissenhafter Denkmalpfleger — auch
unter Künstlern hat es immer solche gegeben — so kommt dabei
eine zweite Begabung und Geistesrichtung an den Tag, die mit der
künstlerischen an sich nichts zu tun hat, ja von ihr hart bedrängt
wird. Der Künstler — wenn er wirklich einer ist — braucht die
Freiheit wie der Fisch das Wasser; wie könnte er durch eine Auf-
gabe geehrt sein, die als erstes die Hingabe seiner Freiheit verlangt?
Wenn Restauratoren, die Erfolg haben wollen, durch ihre Anhänger
ihre »Genialität« sich bescheinigen lassen, so kann ich nur sagen:
Gott bewahre die Denkmäler vor genialen Restauratoren! Offen-
bar besteht zwischen der Aufgabe der Denkmälererhaltung und der
natürlichen Anlage des Künstlers eine nie ganz zu hebende Span-
nung. Mag in der heutigen Architektengeneration das archäo-
logische Wissen sich gegen früher sehr vervollkommnet haben
dank der ausgezeichneten Vorbildung auf den technischen Hoch-
schulen; mögen es einzelne zu einer ganz erstaunlichen Detail-
kenntnis in diesem oder jenem historischen Stile gebracht haben:
trotzdem wird sich niemals ein künstlerischer Kopf in einen histo-
rischen Kopf verwandeln oder gar diese Wandlung beliebig von
Tag zu Tag wiederholen hin und her.

Dies sei genug, um verständlich zu machen, daß der alles
durchsäuernde historische Geist des 19. Jahrhunderts, als er die
Künstler ergriff und zu den Denkmälern hintrieb, doch auf sie
ganz anders wirken mußte, als auf die Gelehrten, die ihn ge-
rufen hatten. Es handelt sich um eine grundsätzliche, nie zu
überbrückende Verschiedenheit in der Auffassung vom Wesen
des Denkmals. Dem Künstler ist es immer Künstlerwerk, dem
Historiker ein Produkt aus Kunst und Geschichte; und der
Historiker fordert auch für diese umschaffenden Kräfte Achtung
als für eine Wirklichkeit.

Aus der Betrachtung des bisherigen Ganges der Dinge ziehe
ich den Schluß: Das Gebot »konservieren, nicht restaurieren« aus-
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[280/0342] Denkmalschutz und Denkmalpflege loge ist — seine Künstlerschaft hat zu schweigen. Muß man Dichter sein, um die Schätze alter Literatur zu hüten? Das Ver- hältnis des Künstlers zu den Denkmälern ist kein anderes. Ist der- selbe ein klarblickender, gewissenhafter Denkmalpfleger — auch unter Künstlern hat es immer solche gegeben — so kommt dabei eine zweite Begabung und Geistesrichtung an den Tag, die mit der künstlerischen an sich nichts zu tun hat, ja von ihr hart bedrängt wird. Der Künstler — wenn er wirklich einer ist — braucht die Freiheit wie der Fisch das Wasser; wie könnte er durch eine Auf- gabe geehrt sein, die als erstes die Hingabe seiner Freiheit verlangt? Wenn Restauratoren, die Erfolg haben wollen, durch ihre Anhänger ihre »Genialität« sich bescheinigen lassen, so kann ich nur sagen: Gott bewahre die Denkmäler vor genialen Restauratoren! Offen- bar besteht zwischen der Aufgabe der Denkmälererhaltung und der natürlichen Anlage des Künstlers eine nie ganz zu hebende Span- nung. Mag in der heutigen Architektengeneration das archäo- logische Wissen sich gegen früher sehr vervollkommnet haben dank der ausgezeichneten Vorbildung auf den technischen Hoch- schulen; mögen es einzelne zu einer ganz erstaunlichen Detail- kenntnis in diesem oder jenem historischen Stile gebracht haben: trotzdem wird sich niemals ein künstlerischer Kopf in einen histo- rischen Kopf verwandeln oder gar diese Wandlung beliebig von Tag zu Tag wiederholen hin und her. Dies sei genug, um verständlich zu machen, daß der alles durchsäuernde historische Geist des 19. Jahrhunderts, als er die Künstler ergriff und zu den Denkmälern hintrieb, doch auf sie ganz anders wirken mußte, als auf die Gelehrten, die ihn ge- rufen hatten. Es handelt sich um eine grundsätzliche, nie zu überbrückende Verschiedenheit in der Auffassung vom Wesen des Denkmals. Dem Künstler ist es immer Künstlerwerk, dem Historiker ein Produkt aus Kunst und Geschichte; und der Historiker fordert auch für diese umschaffenden Kräfte Achtung als für eine Wirklichkeit. Aus der Betrachtung des bisherigen Ganges der Dinge ziehe ich den Schluß: Das Gebot »konservieren, nicht restaurieren« aus- zuführen ist der Beruf nicht sowohl von Künstlern, als von künst-

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Zitationshilfe: Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914, S. 280. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dehio_aufsaetze_1914/342>, abgerufen am 24.11.2024.