Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Dickens, Charles: Der Weihnachtsabend (Übers. Edward Aubrey Moriarty). Leipzig, 1844.

Bild:
<< vorherige Seite

Während er so beschäftigt war, warf die zuerst eingetretene Frau ihr Bündel auf den Boden und setzte sich mit coquettirender Frechheit auf einen Stuhl; dann legte sie die Hände auf die Kniee und sah die beiden Andern mit kühnem Trotz an.

"Nun, was ist da für ein Unterschied, Mrs. Dilber? Jeder hat das Recht, für sich zu sorgen. Er that es immer."

"Das ist wahr," sagte die Wärterin. "Keiner that es mehr."

"Nun, warum guckt Ihr Euch da einander an, als fürchtet Ihr Euch? wer ist der Klügere? wir wollen doch nicht einander die Augen aushacken, denk ich!"

"Nein, gewiß nicht," sagte Mrs. Dilber und der Mann zusammen. "Wir wollen es nicht hoffen."

"Nun gut denn," rief die Frau, "das ist genug. Wem schadet's, wenn wir so ein Paar Sachen mitnehmen, wie die hier? Einer Leiche gewiß nicht!"

"Nein, gewiß nicht," sagte Mrs. Dilber lachend.

"Wenn er sie, wie ein alter Geizhals, noch nach dem Tode behalten wollte," fuhr die Frau fort, "warum war er während seines Lebens nicht besser? Wenn er's gewesen wäre, würde Jemand um ihn gewesen sein, als er starb, statt daß er allein seinen letzten Athem fahren lassen mußte."

"Es ist das wahrste Wort, was je gesprochen worden," sagte Mrs. Dilber.

"Es ist ein Gottesgericht."

"Ich wollte, es wäre ein Bischen schwerer ausgefallen,"

Während er so beschäftigt war, warf die zuerst eingetretene Frau ihr Bündel auf den Boden und setzte sich mit coquettirender Frechheit auf einen Stuhl; dann legte sie die Hände auf die Kniee und sah die beiden Andern mit kühnem Trotz an.

„Nun, was ist da für ein Unterschied, Mrs. Dilber? Jeder hat das Recht, für sich zu sorgen. Er that es immer.“

„Das ist wahr,“ sagte die Wärterin. „Keiner that es mehr.“

„Nun, warum guckt Ihr Euch da einander an, als fürchtet Ihr Euch? wer ist der Klügere? wir wollen doch nicht einander die Augen aushacken, denk ich!“

„Nein, gewiß nicht,“ sagte Mrs. Dilber und der Mann zusammen. „Wir wollen es nicht hoffen.“

„Nun gut denn,“ rief die Frau, „das ist genug. Wem schadet’s, wenn wir so ein Paar Sachen mitnehmen, wie die hier? Einer Leiche gewiß nicht!“

„Nein, gewiß nicht,“ sagte Mrs. Dilber lachend.

„Wenn er sie, wie ein alter Geizhals, noch nach dem Tode behalten wollte,“ fuhr die Frau fort, „warum war er während seines Lebens nicht besser? Wenn er’s gewesen wäre, würde Jemand um ihn gewesen sein, als er starb, statt daß er allein seinen letzten Athem fahren lassen mußte.“

„Es ist das wahrste Wort, was je gesprochen worden,“ sagte Mrs. Dilber.

„Es ist ein Gottesgericht.“

„Ich wollte, es wäre ein Bischen schwerer ausgefallen,“

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0108" n="108"/>
        <p>Während er so beschäftigt war, warf die zuerst eingetretene Frau ihr Bündel auf den Boden und setzte sich mit coquettirender Frechheit auf einen Stuhl; dann legte sie die Hände auf die Kniee und sah die beiden Andern mit kühnem Trotz an.</p>
        <p>&#x201E;Nun, was ist da für ein Unterschied, Mrs. Dilber? Jeder hat das Recht, für sich zu sorgen. Er that es immer.&#x201C;</p>
        <p>&#x201E;Das ist wahr,&#x201C; sagte die Wärterin. &#x201E;Keiner that es mehr.&#x201C;</p>
        <p>&#x201E;Nun, warum guckt Ihr Euch da einander an, als fürchtet Ihr Euch? wer ist der Klügere? wir wollen doch nicht einander die Augen aushacken, denk ich!&#x201C;</p>
        <p>&#x201E;Nein, gewiß nicht,&#x201C; sagte Mrs. Dilber und der Mann zusammen. &#x201E;Wir wollen es nicht hoffen.&#x201C;</p>
        <p>&#x201E;Nun gut denn,&#x201C; rief die Frau, &#x201E;das ist genug. Wem schadet&#x2019;s, wenn wir so ein Paar Sachen mitnehmen, wie die hier? Einer Leiche gewiß nicht!&#x201C;</p>
        <p>&#x201E;Nein, gewiß nicht,&#x201C; sagte Mrs. Dilber lachend.</p>
        <p>&#x201E;Wenn er sie, wie ein alter Geizhals, noch nach dem Tode behalten wollte,&#x201C; fuhr die Frau fort, &#x201E;warum war er während seines Lebens nicht besser? Wenn er&#x2019;s gewesen wäre, würde Jemand um ihn gewesen sein, als er starb, statt daß er allein seinen letzten Athem fahren lassen mußte.&#x201C;</p>
        <p>&#x201E;Es ist das wahrste Wort, was je gesprochen worden,&#x201C; sagte Mrs. Dilber.</p>
        <p>&#x201E;Es ist ein Gottesgericht.&#x201C;</p>
        <p>&#x201E;Ich wollte, es wäre ein Bischen schwerer ausgefallen,&#x201C;
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[108/0108] Während er so beschäftigt war, warf die zuerst eingetretene Frau ihr Bündel auf den Boden und setzte sich mit coquettirender Frechheit auf einen Stuhl; dann legte sie die Hände auf die Kniee und sah die beiden Andern mit kühnem Trotz an. „Nun, was ist da für ein Unterschied, Mrs. Dilber? Jeder hat das Recht, für sich zu sorgen. Er that es immer.“ „Das ist wahr,“ sagte die Wärterin. „Keiner that es mehr.“ „Nun, warum guckt Ihr Euch da einander an, als fürchtet Ihr Euch? wer ist der Klügere? wir wollen doch nicht einander die Augen aushacken, denk ich!“ „Nein, gewiß nicht,“ sagte Mrs. Dilber und der Mann zusammen. „Wir wollen es nicht hoffen.“ „Nun gut denn,“ rief die Frau, „das ist genug. Wem schadet’s, wenn wir so ein Paar Sachen mitnehmen, wie die hier? Einer Leiche gewiß nicht!“ „Nein, gewiß nicht,“ sagte Mrs. Dilber lachend. „Wenn er sie, wie ein alter Geizhals, noch nach dem Tode behalten wollte,“ fuhr die Frau fort, „warum war er während seines Lebens nicht besser? Wenn er’s gewesen wäre, würde Jemand um ihn gewesen sein, als er starb, statt daß er allein seinen letzten Athem fahren lassen mußte.“ „Es ist das wahrste Wort, was je gesprochen worden,“ sagte Mrs. Dilber. „Es ist ein Gottesgericht.“ „Ich wollte, es wäre ein Bischen schwerer ausgefallen,“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-11-27T08:24:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-11-27T08:24:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat (2012-11-27T08:24:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/dickens_weihnachtsabend_1844
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/dickens_weihnachtsabend_1844/108
Zitationshilfe: Dickens, Charles: Der Weihnachtsabend (Übers. Edward Aubrey Moriarty). Leipzig, 1844, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dickens_weihnachtsabend_1844/108>, abgerufen am 23.11.2024.