Dickens, Charles: Der Weihnachtsabend (Übers. Edward Aubrey Moriarty). Leipzig, 1844.Während er so beschäftigt war, warf die zuerst eingetretene Frau ihr Bündel auf den Boden und setzte sich mit coquettirender Frechheit auf einen Stuhl; dann legte sie die Hände auf die Kniee und sah die beiden Andern mit kühnem Trotz an. "Nun, was ist da für ein Unterschied, Mrs. Dilber? Jeder hat das Recht, für sich zu sorgen. Er that es immer." "Das ist wahr," sagte die Wärterin. "Keiner that es mehr." "Nun, warum guckt Ihr Euch da einander an, als fürchtet Ihr Euch? wer ist der Klügere? wir wollen doch nicht einander die Augen aushacken, denk ich!" "Nein, gewiß nicht," sagte Mrs. Dilber und der Mann zusammen. "Wir wollen es nicht hoffen." "Nun gut denn," rief die Frau, "das ist genug. Wem schadet's, wenn wir so ein Paar Sachen mitnehmen, wie die hier? Einer Leiche gewiß nicht!" "Nein, gewiß nicht," sagte Mrs. Dilber lachend. "Wenn er sie, wie ein alter Geizhals, noch nach dem Tode behalten wollte," fuhr die Frau fort, "warum war er während seines Lebens nicht besser? Wenn er's gewesen wäre, würde Jemand um ihn gewesen sein, als er starb, statt daß er allein seinen letzten Athem fahren lassen mußte." "Es ist das wahrste Wort, was je gesprochen worden," sagte Mrs. Dilber. "Es ist ein Gottesgericht." "Ich wollte, es wäre ein Bischen schwerer ausgefallen," Während er so beschäftigt war, warf die zuerst eingetretene Frau ihr Bündel auf den Boden und setzte sich mit coquettirender Frechheit auf einen Stuhl; dann legte sie die Hände auf die Kniee und sah die beiden Andern mit kühnem Trotz an. „Nun, was ist da für ein Unterschied, Mrs. Dilber? Jeder hat das Recht, für sich zu sorgen. Er that es immer.“ „Das ist wahr,“ sagte die Wärterin. „Keiner that es mehr.“ „Nun, warum guckt Ihr Euch da einander an, als fürchtet Ihr Euch? wer ist der Klügere? wir wollen doch nicht einander die Augen aushacken, denk ich!“ „Nein, gewiß nicht,“ sagte Mrs. Dilber und der Mann zusammen. „Wir wollen es nicht hoffen.“ „Nun gut denn,“ rief die Frau, „das ist genug. Wem schadet’s, wenn wir so ein Paar Sachen mitnehmen, wie die hier? Einer Leiche gewiß nicht!“ „Nein, gewiß nicht,“ sagte Mrs. Dilber lachend. „Wenn er sie, wie ein alter Geizhals, noch nach dem Tode behalten wollte,“ fuhr die Frau fort, „warum war er während seines Lebens nicht besser? Wenn er’s gewesen wäre, würde Jemand um ihn gewesen sein, als er starb, statt daß er allein seinen letzten Athem fahren lassen mußte.“ „Es ist das wahrste Wort, was je gesprochen worden,“ sagte Mrs. Dilber. „Es ist ein Gottesgericht.“ „Ich wollte, es wäre ein Bischen schwerer ausgefallen,“ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0108" n="108"/> <p>Während er so beschäftigt war, warf die zuerst eingetretene Frau ihr Bündel auf den Boden und setzte sich mit coquettirender Frechheit auf einen Stuhl; dann legte sie die Hände auf die Kniee und sah die beiden Andern mit kühnem Trotz an.</p> <p>„Nun, was ist da für ein Unterschied, Mrs. Dilber? Jeder hat das Recht, für sich zu sorgen. Er that es immer.“</p> <p>„Das ist wahr,“ sagte die Wärterin. „Keiner that es mehr.“</p> <p>„Nun, warum guckt Ihr Euch da einander an, als fürchtet Ihr Euch? wer ist der Klügere? wir wollen doch nicht einander die Augen aushacken, denk ich!“</p> <p>„Nein, gewiß nicht,“ sagte Mrs. Dilber und der Mann zusammen. „Wir wollen es nicht hoffen.“</p> <p>„Nun gut denn,“ rief die Frau, „das ist genug. Wem schadet’s, wenn wir so ein Paar Sachen mitnehmen, wie die hier? Einer Leiche gewiß nicht!“</p> <p>„Nein, gewiß nicht,“ sagte Mrs. Dilber lachend.</p> <p>„Wenn er sie, wie ein alter Geizhals, noch nach dem Tode behalten wollte,“ fuhr die Frau fort, „warum war er während seines Lebens nicht besser? Wenn er’s gewesen wäre, würde Jemand um ihn gewesen sein, als er starb, statt daß er allein seinen letzten Athem fahren lassen mußte.“</p> <p>„Es ist das wahrste Wort, was je gesprochen worden,“ sagte Mrs. Dilber.</p> <p>„Es ist ein Gottesgericht.“</p> <p>„Ich wollte, es wäre ein Bischen schwerer ausgefallen,“ </p> </div> </body> </text> </TEI> [108/0108]
Während er so beschäftigt war, warf die zuerst eingetretene Frau ihr Bündel auf den Boden und setzte sich mit coquettirender Frechheit auf einen Stuhl; dann legte sie die Hände auf die Kniee und sah die beiden Andern mit kühnem Trotz an.
„Nun, was ist da für ein Unterschied, Mrs. Dilber? Jeder hat das Recht, für sich zu sorgen. Er that es immer.“
„Das ist wahr,“ sagte die Wärterin. „Keiner that es mehr.“
„Nun, warum guckt Ihr Euch da einander an, als fürchtet Ihr Euch? wer ist der Klügere? wir wollen doch nicht einander die Augen aushacken, denk ich!“
„Nein, gewiß nicht,“ sagte Mrs. Dilber und der Mann zusammen. „Wir wollen es nicht hoffen.“
„Nun gut denn,“ rief die Frau, „das ist genug. Wem schadet’s, wenn wir so ein Paar Sachen mitnehmen, wie die hier? Einer Leiche gewiß nicht!“
„Nein, gewiß nicht,“ sagte Mrs. Dilber lachend.
„Wenn er sie, wie ein alter Geizhals, noch nach dem Tode behalten wollte,“ fuhr die Frau fort, „warum war er während seines Lebens nicht besser? Wenn er’s gewesen wäre, würde Jemand um ihn gewesen sein, als er starb, statt daß er allein seinen letzten Athem fahren lassen mußte.“
„Es ist das wahrste Wort, was je gesprochen worden,“ sagte Mrs. Dilber.
„Es ist ein Gottesgericht.“
„Ich wollte, es wäre ein Bischen schwerer ausgefallen,“
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