Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Diesterweg, Adolph: Über das Verderben auf den deutschen Universitäten. Essen, 1836.

Bild:
<< vorherige Seite

ist das Höchste, was Ihr anstrebet, eine pure Negation, ein
reiner Nihilismus. Ob die Jünglinge in Faulheit, Passivität
und geistigen Tod verfallen, ob sie in der Kneiperei und im
Schuldenmachen untergehen, ob sie ihr Mark in den geheimen
Winkeln vergeuden und sich entnerven, entmarken, entman-
nen, dagegen habt Ihr keine durchgreifende Mittel. Es ist
entsetzlich, aber es ist wahr
.

Als ich studirte, 1808 u. s. w., es gab auch Kneipier's,
Renommisten, Schläger und solche, die in Kloaken sich her-
umtrieben. Aber sie waren gekannt und -- verachtet. Fra-
get jetzt nach, ob Solches in .... der Fall ist! Wenn vor
25 Jahren Einer an einer schändlichen Krankheit laborirte,
man zeigte heimlich mit Fingern auf ihn und Jeder mied ihn.
Fraget jetzt darnach! Damals war diese Krankheit, die auf
Handlungen hindeutet, die Leib und Seele vergiften, unter den
Studenten, wenigstens Süddeutschlands, eine Seltenheit. Und
jetzt? Ist es eine Lüge, eine Verleumdung, wenn ich be-
haupte, daß Jünglinge aus den besten Familien in einer Uni-
versitätsstadt, deren Namen ich hier verschweige, an geheimem
Gift laboriren? Für sie ist die Nähe einer andern größern
Stadt *) eine Mördergrube. Auch dort giebt es liederliche
Dirnen; aber hier werden sie geduldet, sie sind privilegirt.
Dieses ist das Schreckliche. In wenigen Stunden ist der

*) "In großen Städten verschwinden die Studenten, Alles geht
vortrefflich, ruhig her, Niemand weiß von einem Skandal", so
sprecht Ihr lobpreisend, aber was in den Bier- und Schnapps-
kellern, in den Winkeln und Häusern, in welche Sirenen den
jungen Mann locken, was auf den Stuben geschieht, da es
Dirnen giebt, welche die Studenten besuchen, ja die -- ich muß
es heraussagen -- sie zum Abonnement reizen, das wißt Ihr
nicht, und wer es weiß, sagt es nicht gern. Aber es ist!
6

iſt das Hoͤchſte, was Ihr anſtrebet, eine pure Negation, ein
reiner Nihilismus. Ob die Juͤnglinge in Faulheit, Paſſivitaͤt
und geiſtigen Tod verfallen, ob ſie in der Kneiperei und im
Schuldenmachen untergehen, ob ſie ihr Mark in den geheimen
Winkeln vergeuden und ſich entnerven, entmarken, entman-
nen, dagegen habt Ihr keine durchgreifende Mittel. Es iſt
entſetzlich, aber es iſt wahr
.

Als ich ſtudirte, 1808 u. ſ. w., es gab auch Kneipier’s,
Renommiſten, Schlaͤger und ſolche, die in Kloaken ſich her-
umtrieben. Aber ſie waren gekannt und — verachtet. Fra-
get jetzt nach, ob Solches in .... der Fall iſt! Wenn vor
25 Jahren Einer an einer ſchaͤndlichen Krankheit laborirte,
man zeigte heimlich mit Fingern auf ihn und Jeder mied ihn.
Fraget jetzt darnach! Damals war dieſe Krankheit, die auf
Handlungen hindeutet, die Leib und Seele vergiften, unter den
Studenten, wenigſtens Suͤddeutſchlands, eine Seltenheit. Und
jetzt? Iſt es eine Luͤge, eine Verleumdung, wenn ich be-
haupte, daß Juͤnglinge aus den beſten Familien in einer Uni-
verſitaͤtsſtadt, deren Namen ich hier verſchweige, an geheimem
Gift laboriren? Fuͤr ſie iſt die Naͤhe einer andern groͤßern
Stadt *) eine Moͤrdergrube. Auch dort giebt es liederliche
Dirnen; aber hier werden ſie geduldet, ſie ſind privilegirt.
Dieſes iſt das Schreckliche. In wenigen Stunden iſt der

*) „In großen Städten verſchwinden die Studenten, Alles geht
vortrefflich, ruhig her, Niemand weiß von einem Skandal“, ſo
ſprecht Ihr lobpreiſend, aber was in den Bier- und Schnapps-
kellern, in den Winkeln und Häuſern, in welche Sirenen den
jungen Mann locken, was auf den Stuben geſchieht, da es
Dirnen giebt, welche die Studenten beſuchen, ja die — ich muß
es herausſagen — ſie zum Abonnement reizen, das wißt Ihr
nicht, und wer es weiß, ſagt es nicht gern. Aber es iſt!
6
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0087" n="69"/>
i&#x017F;t das Ho&#x0364;ch&#x017F;te, was Ihr an&#x017F;trebet, eine pure Negation, ein<lb/>
reiner Nihilismus. Ob die Ju&#x0364;nglinge in Faulheit, Pa&#x017F;&#x017F;ivita&#x0364;t<lb/>
und gei&#x017F;tigen Tod verfallen, ob &#x017F;ie in der Kneiperei und im<lb/>
Schuldenmachen untergehen, ob &#x017F;ie ihr Mark in den geheimen<lb/>
Winkeln vergeuden und &#x017F;ich entnerven, entmarken, entman-<lb/>
nen, dagegen habt Ihr keine durchgreifende Mittel. <hi rendition="#g">Es i&#x017F;t<lb/>
ent&#x017F;etzlich, aber es i&#x017F;t wahr</hi>.</p><lb/>
          <p>Als ich &#x017F;tudirte, 1808 u. &#x017F;. w., es gab auch Kneipier&#x2019;s,<lb/>
Renommi&#x017F;ten, Schla&#x0364;ger und &#x017F;olche, die in Kloaken &#x017F;ich her-<lb/>
umtrieben. Aber &#x017F;ie waren gekannt und &#x2014; <hi rendition="#g">verachtet</hi>. Fra-<lb/>
get jetzt nach, ob Solches in .... der Fall i&#x017F;t! Wenn vor<lb/>
25 Jahren Einer an einer &#x017F;cha&#x0364;ndlichen Krankheit laborirte,<lb/>
man zeigte heimlich mit Fingern auf ihn und Jeder mied ihn.<lb/>
Fraget jetzt darnach! Damals war die&#x017F;e Krankheit, die auf<lb/>
Handlungen hindeutet, die Leib und Seele vergiften, unter den<lb/>
Studenten, wenig&#x017F;tens Su&#x0364;ddeut&#x017F;chlands, eine Seltenheit. Und<lb/>
jetzt? I&#x017F;t es eine Lu&#x0364;ge, eine Verleumdung, wenn ich be-<lb/>
haupte, daß Ju&#x0364;nglinge aus den be&#x017F;ten Familien in einer Uni-<lb/>
ver&#x017F;ita&#x0364;ts&#x017F;tadt, deren Namen ich hier ver&#x017F;chweige, an geheimem<lb/>
Gift laboriren? Fu&#x0364;r &#x017F;ie i&#x017F;t die Na&#x0364;he einer andern gro&#x0364;ßern<lb/>
Stadt <note place="foot" n="*)">&#x201E;In großen Städten ver&#x017F;chwinden die Studenten, Alles geht<lb/>
vortrefflich, ruhig her, Niemand weiß von einem Skandal&#x201C;, &#x017F;o<lb/>
&#x017F;precht Ihr lobprei&#x017F;end, aber was in den Bier- und Schnapps-<lb/>
kellern, in den Winkeln und Häu&#x017F;ern, in welche Sirenen den<lb/>
jungen Mann locken, was auf den Stuben ge&#x017F;chieht, da es<lb/>
Dirnen giebt, welche die Studenten be&#x017F;uchen, ja die &#x2014; ich muß<lb/>
es heraus&#x017F;agen &#x2014; &#x017F;ie zum Abonnement reizen, das wißt Ihr<lb/>
nicht, und wer es weiß, &#x017F;agt es nicht gern. Aber es i&#x017F;t!</note> eine Mo&#x0364;rdergrube. Auch dort giebt es liederliche<lb/>
Dirnen; aber hier werden &#x017F;ie geduldet, &#x017F;ie &#x017F;ind privilegirt.<lb/>
Die&#x017F;es i&#x017F;t das Schreckliche. In wenigen Stunden i&#x017F;t der<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">6</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[69/0087] iſt das Hoͤchſte, was Ihr anſtrebet, eine pure Negation, ein reiner Nihilismus. Ob die Juͤnglinge in Faulheit, Paſſivitaͤt und geiſtigen Tod verfallen, ob ſie in der Kneiperei und im Schuldenmachen untergehen, ob ſie ihr Mark in den geheimen Winkeln vergeuden und ſich entnerven, entmarken, entman- nen, dagegen habt Ihr keine durchgreifende Mittel. Es iſt entſetzlich, aber es iſt wahr. Als ich ſtudirte, 1808 u. ſ. w., es gab auch Kneipier’s, Renommiſten, Schlaͤger und ſolche, die in Kloaken ſich her- umtrieben. Aber ſie waren gekannt und — verachtet. Fra- get jetzt nach, ob Solches in .... der Fall iſt! Wenn vor 25 Jahren Einer an einer ſchaͤndlichen Krankheit laborirte, man zeigte heimlich mit Fingern auf ihn und Jeder mied ihn. Fraget jetzt darnach! Damals war dieſe Krankheit, die auf Handlungen hindeutet, die Leib und Seele vergiften, unter den Studenten, wenigſtens Suͤddeutſchlands, eine Seltenheit. Und jetzt? Iſt es eine Luͤge, eine Verleumdung, wenn ich be- haupte, daß Juͤnglinge aus den beſten Familien in einer Uni- verſitaͤtsſtadt, deren Namen ich hier verſchweige, an geheimem Gift laboriren? Fuͤr ſie iſt die Naͤhe einer andern groͤßern Stadt *) eine Moͤrdergrube. Auch dort giebt es liederliche Dirnen; aber hier werden ſie geduldet, ſie ſind privilegirt. Dieſes iſt das Schreckliche. In wenigen Stunden iſt der *) „In großen Städten verſchwinden die Studenten, Alles geht vortrefflich, ruhig her, Niemand weiß von einem Skandal“, ſo ſprecht Ihr lobpreiſend, aber was in den Bier- und Schnapps- kellern, in den Winkeln und Häuſern, in welche Sirenen den jungen Mann locken, was auf den Stuben geſchieht, da es Dirnen giebt, welche die Studenten beſuchen, ja die — ich muß es herausſagen — ſie zum Abonnement reizen, das wißt Ihr nicht, und wer es weiß, ſagt es nicht gern. Aber es iſt! 6

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/diesterweg_universitaeten_1836
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/diesterweg_universitaeten_1836/87
Zitationshilfe: Diesterweg, Adolph: Über das Verderben auf den deutschen Universitäten. Essen, 1836, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/diesterweg_universitaeten_1836/87>, abgerufen am 15.05.2024.