Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Consentius, Ernst: Meister Johann Dietz erzählt sein Leben. Nach der alten Handschrift in der Königlichen Bibliothek zu Berlin. Ebenhausen, 1915.

Bild:
<< vorherige Seite

So wohl artig anzusehen gewesen! Denn sie hatte wegen des Podagra große Filzschuhe an. Da gab es Schelten und Schmähen, auch wenn ich vorüberging. So ich all mit Stillschweigen leiden mußte.

Meine Frau wurde kurz drauf wieder schwanger mit einer Tochter, welche drei Jahr alt wurde; und starb an einem auszehrenden Fieber. Es war ein liebes Kind, sehr klug, aber dabei auch eigenwillig. Wenn es was haben wollte, so bekam es nichts, und wurde mit der Rute geschlagen; wann es sich am größten erzürnet, gab man ihr zu trinken. Davon die Krankheit kam.

Und mag ich wohl sagen, daß es nicht groß von ihr in acht genommen wurde. Denn sie war oder bliebe nicht viel zu Hause. Ich mochte eifern, wie ich wollte. Einsmals fiel das Kind in ein Kellerloch und stak bis unter die Arm drin, daß ich es rauszog, und wohl lang dort gestecket hatte. Einsmals war es einen ganzen Tag verloren, bis es meine Eltern aufgerappet. Denn sie hatten es sehr lieb. Doch ihre Liebe schadete dem Kind mehr, weil sie ihm Wein, Branntwein und alles gaben. Insonderheit aß es gerne Bücklinge.

Ich brauchte ihr hernach zwei Doctores, als Herren Geheimbten Rath Hoffmann und Stahlen. Aber Menschenhülf ist kein Nutze. Sie starb. Und als ich mit zur Leiche ging, war's nicht anders, als wenn mir ein Stück vom Herzen gerissen. Denn ferner alle Hoffnung zu Kindern verloren. War auch nicht zu wünschen. Denn sie auch dies seelige Kind nicht stillen konnte, weil da keine Milch mehr war.

So wohl artig anzusehen gewesen! Denn sie hatte wegen des Podagra große Filzschuhe an. Da gab es Schelten und Schmähen, auch wenn ich vorüberging. So ich all mit Stillschweigen leiden mußte.

Meine Frau wurde kurz drauf wieder schwanger mit einer Tochter, welche drei Jahr alt wurde; und starb an einem auszehrenden Fieber. Es war ein liebes Kind, sehr klug, aber dabei auch eigenwillig. Wenn es was haben wollte, so bekam es nichts, und wurde mit der Rute geschlagen; wann es sich am größten erzürnet, gab man ihr zu trinken. Davon die Krankheit kam.

Und mag ich wohl sagen, daß es nicht groß von ihr in acht genommen wurde. Denn sie war oder bliebe nicht viel zu Hause. Ich mochte eifern, wie ich wollte. Einsmals fiel das Kind in ein Kellerloch und stak bis unter die Arm drin, daß ich es rauszog, und wohl lang dort gestecket hatte. Einsmals war es einen ganzen Tag verloren, bis es meine Eltern aufgerappet. Denn sie hatten es sehr lieb. Doch ihre Liebe schadete dem Kind mehr, weil sie ihm Wein, Branntwein und alles gaben. Insonderheit aß es gerne Bücklinge.

Ich brauchte ihr hernach zwei Doctores, als Herren Geheimbten Rath Hoffmann und Stahlen. Aber Menschenhülf ist kein Nutze. Sie starb. Und als ich mit zur Leiche ging, war’s nicht anders, als wenn mir ein Stück vom Herzen gerissen. Denn ferner alle Hoffnung zu Kindern verloren. War auch nicht zu wünschen. Denn sie auch dies seelige Kind nicht stillen konnte, weil da keine Milch mehr war.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="1">
          <p><pb facs="#f0240"/>
So wohl artig anzusehen gewesen! Denn sie hatte wegen des Podagra große Filzschuhe an. Da gab es Schelten und Schmähen, auch wenn ich vorüberging. So ich all mit Stillschweigen leiden mußte.</p>
          <p><hi rendition="#in">M</hi>eine Frau wurde kurz drauf wieder schwanger mit einer Tochter, welche drei Jahr alt wurde; und starb an einem auszehrenden Fieber. Es war ein liebes Kind, sehr klug, aber dabei auch eigenwillig. Wenn es was haben wollte, so bekam es nichts, und wurde mit der Rute geschlagen; wann es sich am größten erzürnet, gab man ihr zu trinken. Davon die Krankheit kam.</p>
          <p>Und mag ich wohl sagen, daß es nicht groß von ihr in acht genommen wurde. Denn sie war oder bliebe nicht viel zu Hause. Ich mochte eifern, wie ich wollte. Einsmals fiel das Kind in ein Kellerloch und stak bis unter die Arm drin, daß ich es rauszog, und wohl lang dort gestecket hatte. Einsmals war es einen ganzen Tag verloren, bis es meine Eltern aufgerappet. Denn sie hatten es sehr lieb. Doch ihre Liebe schadete dem Kind mehr, weil sie ihm Wein, Branntwein und alles gaben. Insonderheit aß es gerne Bücklinge.</p>
          <p>Ich brauchte ihr hernach zwei <hi rendition="#aq">Doctores</hi>, als Herren Geheimbten Rath Hoffmann und Stahlen. Aber Menschenhülf ist kein Nutze. Sie starb. Und als ich mit zur Leiche ging, war&#x2019;s nicht anders, als wenn mir ein Stück vom Herzen gerissen. Denn ferner alle Hoffnung zu Kindern verloren. War auch nicht zu wünschen. Denn sie auch dies seelige Kind nicht stillen konnte, weil da keine Milch mehr war.</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0240] So wohl artig anzusehen gewesen! Denn sie hatte wegen des Podagra große Filzschuhe an. Da gab es Schelten und Schmähen, auch wenn ich vorüberging. So ich all mit Stillschweigen leiden mußte. Meine Frau wurde kurz drauf wieder schwanger mit einer Tochter, welche drei Jahr alt wurde; und starb an einem auszehrenden Fieber. Es war ein liebes Kind, sehr klug, aber dabei auch eigenwillig. Wenn es was haben wollte, so bekam es nichts, und wurde mit der Rute geschlagen; wann es sich am größten erzürnet, gab man ihr zu trinken. Davon die Krankheit kam. Und mag ich wohl sagen, daß es nicht groß von ihr in acht genommen wurde. Denn sie war oder bliebe nicht viel zu Hause. Ich mochte eifern, wie ich wollte. Einsmals fiel das Kind in ein Kellerloch und stak bis unter die Arm drin, daß ich es rauszog, und wohl lang dort gestecket hatte. Einsmals war es einen ganzen Tag verloren, bis es meine Eltern aufgerappet. Denn sie hatten es sehr lieb. Doch ihre Liebe schadete dem Kind mehr, weil sie ihm Wein, Branntwein und alles gaben. Insonderheit aß es gerne Bücklinge. Ich brauchte ihr hernach zwei Doctores, als Herren Geheimbten Rath Hoffmann und Stahlen. Aber Menschenhülf ist kein Nutze. Sie starb. Und als ich mit zur Leiche ging, war’s nicht anders, als wenn mir ein Stück vom Herzen gerissen. Denn ferner alle Hoffnung zu Kindern verloren. War auch nicht zu wünschen. Denn sie auch dies seelige Kind nicht stillen konnte, weil da keine Milch mehr war.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Projekt Gutenberg-DE: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-06-28T07:11:29Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Frank Wiegand: Bearbeitung der digitalen Edition (2012-09-04T07:11:29Z)
Frederike Neuber: Überarbeitung der digitalen Edition (2014-01-10T14:11:29Z)
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-06-28T07:11:29Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert
  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Rundes r (ꝛ) wird als normales r (r) wiedergegeben bzw. in der Kombination ꝛc. als et (etc.) aufgelöst.
  • Silbentrennung: aufgelöst
  • Zeilenumbrüche markiert: nein



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/dietz_leben_1915
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/dietz_leben_1915/240
Zitationshilfe: Consentius, Ernst: Meister Johann Dietz erzählt sein Leben. Nach der alten Handschrift in der Königlichen Bibliothek zu Berlin. Ebenhausen, 1915, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dietz_leben_1915/240>, abgerufen am 04.12.2024.