Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Consentius, Ernst: Meister Johann Dietz erzählt sein Leben. Nach der alten Handschrift in der Königlichen Bibliothek zu Berlin. Ebenhausen, 1915.

Bild:
<< vorherige Seite

Und glaube ich wahrhaftig, wann ich ein lustiger Bruder gewesen und alles verfressen und versoffen, nichts zu Rat gehalten, hätte ich bei meiner Frau und anderen Leuten, und noch die Stunde, nicht so viel leiden und ausstehen dürfen. Denn meine Frau, da sie den Segen GOttes bei mir gewahr wurde, wollte durchaus haben: ich sollte ihr alles aufn Todesfall vermachen, weil ich keine Kinder hatte. - Denn sie meinete ganz gewiß, ich müßte ehe sterben.

Zu welchem Ende sie denn einmal zusammen zu einem klugen Mann gefahren (als ich krank lag) etliche Meiln, und lassen mir Nativität stellen. Der Mann gehet von sie weg in eine Kammer, allein. Als er aber wieder herauskombt saget er: "Junge Frau, ich kann euch keinen guten Trost geben. Ihr müßt eher fort, und euer Mann überlebet euch." - Das war wie ein Donnerschlag ins Herz gewesen; maßen sie alle, und ihre Tochter, drüber erschrocken. Sie wurde auch von Stund an kränklich, hustete und kriegete einen starken Vorfall und Blutstürzung, daß ich in der Nacht Herrn Hofrath Stahlen holen müßen, der ihr das pulverem sympatheticum und einen weißen Kieselstein, vor die Stirn, gebraucht und geholfen.

Ich hatte die Stieftochter, dem Vergleich gemäß, bisher zu allem Guten erzogen; sie von Ungeziefer und bösem Grind geheilet; schreiben und lesen gelernet; darüber ich manchen Krieg und wenig Dank bekommen. Sie war dreizehen und ein halbes Jahr alt; aber stark und männlich; begunnte mit den Gesellen und Jungen zu scherzen. Ich gedachte an Sirachs Lehre: "Berate deine Tochter, wann sie mannbar ist ec."

Es mußte sich aber wunderlich zutragen, daß Herr Kamla, ein junger Barbier, mit mir in der Heide, Kräuter zu sammlen, mit sein und meinen Jungen ging.

Und glaube ich wahrhaftig, wann ich ein lustiger Bruder gewesen und alles verfressen und versoffen, nichts zu Rat gehalten, hätte ich bei meiner Frau und anderen Leuten, und noch die Stunde, nicht so viel leiden und ausstehen dürfen. Denn meine Frau, da sie den Segen GOttes bei mir gewahr wurde, wollte durchaus haben: ich sollte ihr alles aufn Todesfall vermachen, weil ich keine Kinder hatte. – Denn sie meinete ganz gewiß, ich müßte ehe sterben.

Zu welchem Ende sie denn einmal zusammen zu einem klugen Mann gefahren (als ich krank lag) etliche Meiln, und lassen mir Nativität stellen. Der Mann gehet von sie weg in eine Kammer, allein. Als er aber wieder herauskombt saget er: „Junge Frau, ich kann euch keinen guten Trost geben. Ihr müßt eher fort, und euer Mann überlebet euch.“ – Das war wie ein Donnerschlag ins Herz gewesen; maßen sie alle, und ihre Tochter, drüber erschrocken. Sie wurde auch von Stund an kränklich, hustete und kriegete einen starken Vorfall und Blutstürzung, daß ich in der Nacht Herrn Hofrath Stahlen holen müßen, der ihr das pulverem sympatheticum und einen weißen Kieselstein, vor die Stirn, gebraucht und geholfen.

Ich hatte die Stieftochter, dem Vergleich gemäß, bisher zu allem Guten erzogen; sie von Ungeziefer und bösem Grind geheilet; schreiben und lesen gelernet; darüber ich manchen Krieg und wenig Dank bekommen. Sie war dreizehen und ein halbes Jahr alt; aber stark und männlich; begunnte mit den Gesellen und Jungen zu scherzen. Ich gedachte an Sirachs Lehre: „Berate deine Tochter, wann sie mannbar ist ec.“

Es mußte sich aber wunderlich zutragen, daß Herr Kamla, ein junger Barbier, mit mir in der Heide, Kräuter zu sammlen, mit sein und meinen Jungen ging.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="1">
          <pb facs="#f0264"/>
          <p>Und glaube ich wahrhaftig, wann ich ein lustiger Bruder gewesen und alles verfressen und versoffen, nichts zu Rat gehalten, hätte ich bei meiner Frau und anderen Leuten, und noch die Stunde, nicht so viel leiden und ausstehen dürfen. Denn meine Frau, da sie den Segen GOttes bei mir gewahr wurde, wollte durchaus haben: ich sollte ihr alles aufn Todesfall vermachen, weil ich keine Kinder hatte. &#x2013; Denn sie meinete ganz gewiß, ich müßte ehe sterben.</p>
          <p>Zu welchem Ende sie denn einmal zusammen zu einem klugen Mann gefahren (als ich krank lag) etliche Meiln, und lassen mir Nativität stellen. Der Mann gehet von sie weg in eine Kammer, allein. Als er aber wieder herauskombt saget er: &#x201E;Junge Frau, ich kann euch keinen guten Trost geben. Ihr müßt eher fort, und euer Mann überlebet euch.&#x201C; &#x2013; Das war wie ein Donnerschlag ins Herz gewesen; maßen sie alle, und ihre Tochter, drüber erschrocken. Sie wurde auch von Stund an kränklich, hustete und kriegete einen starken Vorfall und Blutstürzung, daß ich in der Nacht Herrn Hofrath Stahlen holen müßen, der ihr das <hi rendition="#aq">pulverem sympatheticum</hi> und einen weißen Kieselstein, vor die Stirn, gebraucht und geholfen.</p>
          <p><hi rendition="#in">I</hi>ch hatte die Stieftochter, dem Vergleich gemäß, bisher zu allem Guten erzogen; sie von Ungeziefer und bösem Grind geheilet; schreiben und lesen gelernet; darüber ich manchen Krieg und wenig Dank bekommen. Sie war dreizehen und ein halbes Jahr alt; aber stark und männlich; begunnte mit den Gesellen und Jungen zu scherzen. Ich gedachte an Sirachs Lehre: &#x201E;Berate deine Tochter, wann sie mannbar ist ec.&#x201C;</p>
          <p>Es mußte sich aber wunderlich zutragen, daß Herr Kamla, ein junger Barbier, mit mir in der Heide, Kräuter zu sammlen, mit sein und meinen Jungen ging.</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0264] Und glaube ich wahrhaftig, wann ich ein lustiger Bruder gewesen und alles verfressen und versoffen, nichts zu Rat gehalten, hätte ich bei meiner Frau und anderen Leuten, und noch die Stunde, nicht so viel leiden und ausstehen dürfen. Denn meine Frau, da sie den Segen GOttes bei mir gewahr wurde, wollte durchaus haben: ich sollte ihr alles aufn Todesfall vermachen, weil ich keine Kinder hatte. – Denn sie meinete ganz gewiß, ich müßte ehe sterben. Zu welchem Ende sie denn einmal zusammen zu einem klugen Mann gefahren (als ich krank lag) etliche Meiln, und lassen mir Nativität stellen. Der Mann gehet von sie weg in eine Kammer, allein. Als er aber wieder herauskombt saget er: „Junge Frau, ich kann euch keinen guten Trost geben. Ihr müßt eher fort, und euer Mann überlebet euch.“ – Das war wie ein Donnerschlag ins Herz gewesen; maßen sie alle, und ihre Tochter, drüber erschrocken. Sie wurde auch von Stund an kränklich, hustete und kriegete einen starken Vorfall und Blutstürzung, daß ich in der Nacht Herrn Hofrath Stahlen holen müßen, der ihr das pulverem sympatheticum und einen weißen Kieselstein, vor die Stirn, gebraucht und geholfen. Ich hatte die Stieftochter, dem Vergleich gemäß, bisher zu allem Guten erzogen; sie von Ungeziefer und bösem Grind geheilet; schreiben und lesen gelernet; darüber ich manchen Krieg und wenig Dank bekommen. Sie war dreizehen und ein halbes Jahr alt; aber stark und männlich; begunnte mit den Gesellen und Jungen zu scherzen. Ich gedachte an Sirachs Lehre: „Berate deine Tochter, wann sie mannbar ist ec.“ Es mußte sich aber wunderlich zutragen, daß Herr Kamla, ein junger Barbier, mit mir in der Heide, Kräuter zu sammlen, mit sein und meinen Jungen ging.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Projekt Gutenberg-DE: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-06-28T07:11:29Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Frank Wiegand: Bearbeitung der digitalen Edition (2012-09-04T07:11:29Z)
Frederike Neuber: Überarbeitung der digitalen Edition (2014-01-10T14:11:29Z)
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-06-28T07:11:29Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert
  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Rundes r (ꝛ) wird als normales r (r) wiedergegeben bzw. in der Kombination ꝛc. als et (etc.) aufgelöst.
  • Silbentrennung: aufgelöst
  • Zeilenumbrüche markiert: nein



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/dietz_leben_1915
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/dietz_leben_1915/264
Zitationshilfe: Consentius, Ernst: Meister Johann Dietz erzählt sein Leben. Nach der alten Handschrift in der Königlichen Bibliothek zu Berlin. Ebenhausen, 1915, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dietz_leben_1915/264>, abgerufen am 21.11.2024.