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Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883.

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Sie substituirt nur d. Realitäten d. Theologie abstrakte Wesenheiten.
der Geschichte stehen: innerhalb dieses ungeheuren Gebäudes hat
seine positive Arbeit, wirkliche historische Forschung in philo-
sophischer Absicht, sich in der alten Völkergeschichte angesiedelt und
das Problem der Entwicklungsgeschichte der Völker, der allen
Völkern gemeinsamen Epochen dieser Entwicklungsgeschichte verfolgt.

Der Gedanke eines einheitlichen Planes in dem geschichtlichen
Weltlauf wandelt sich, indem er im 18. Jahrhundert von den
festen Prämissen des theologischen Systems losgelöst festgehalten
wird: aus seiner massiven Realität wird ein metaphysisches
Schattenspiel. Aus dem Dunkel eines unbekannten Anfangs treten
nunmehr die räthselhaft verwickelten Vorgänge des geschichtlichen
Weltlaufs hervor, um sich in dasselbe Dunkel nach vorwärts zu
verlieren. Wozu dies mühsame Emporklimmen der Menschheit?
Wozu das Weltelend? Wozu die Beschränkung des Fortschreitens
auf eine Minderzahl? Vom Standpunkt des Augustin Alles
wohl zu begreifen, auf dem Standpunkt des 18. Jahrhunderts
Räthsel, für deren Auflösung jeder klare Anhaltspunkt fehlt. Da-
her ist jeder Versuch des 18. Jahrhunderts, den Plan und Sinn
in der Menschengeschichte aufzuzeigen, nur Transformation des
alten Systems: Lessings Erziehung des Menschengeschlechtes, Hegels
Selbstentwicklung Gottes, Comte's Umwandlung der hierarchischen
Organisation sind nichts Anderes. Da der mystische Körper,
welcher im Mittelalter den Zusammenhang der Weltgeschichte in
sich schloß, sich in der Denkart des 18. Jahrhunderts in Indi-
viduen auflöst: muß ein Ersatz gefunden werden in einer Vor-
stellung, welche diese Einheit der Menschheit aufrecht erhält. Zwei
Wendungen
treten ein, welche beide zu diesem Zweck die Meta-
physik zu Hilfe rufen und beide jede wirklich wissenschaftliche
Behandlung des Problems ausschließen.

Die Eine derselben substituirt metaphysische Wesen-
heiten,
wie die allgemeine Vernunft, der Weltgeist solche
sind, und betrachtet die Geschichte als Entwicklung von diesen. Gewiß
macht sich auch hier wieder geltend, daß solche Formeln eine Wahr-
heit bergen. Die Verbindung des Individuums mit der Menschheit
ist Realität. Ist doch eben dies das tiefste psychologische Problem,

Sie ſubſtituirt nur d. Realitäten d. Theologie abſtrakte Weſenheiten.
der Geſchichte ſtehen: innerhalb dieſes ungeheuren Gebäudes hat
ſeine poſitive Arbeit, wirkliche hiſtoriſche Forſchung in philo-
ſophiſcher Abſicht, ſich in der alten Völkergeſchichte angeſiedelt und
das Problem der Entwicklungsgeſchichte der Völker, der allen
Völkern gemeinſamen Epochen dieſer Entwicklungsgeſchichte verfolgt.

Der Gedanke eines einheitlichen Planes in dem geſchichtlichen
Weltlauf wandelt ſich, indem er im 18. Jahrhundert von den
feſten Prämiſſen des theologiſchen Syſtems losgelöſt feſtgehalten
wird: aus ſeiner maſſiven Realität wird ein metaphyſiſches
Schattenſpiel. Aus dem Dunkel eines unbekannten Anfangs treten
nunmehr die räthſelhaft verwickelten Vorgänge des geſchichtlichen
Weltlaufs hervor, um ſich in daſſelbe Dunkel nach vorwärts zu
verlieren. Wozu dies mühſame Emporklimmen der Menſchheit?
Wozu das Weltelend? Wozu die Beſchränkung des Fortſchreitens
auf eine Minderzahl? Vom Standpunkt des Auguſtin Alles
wohl zu begreifen, auf dem Standpunkt des 18. Jahrhunderts
Räthſel, für deren Auflöſung jeder klare Anhaltspunkt fehlt. Da-
her iſt jeder Verſuch des 18. Jahrhunderts, den Plan und Sinn
in der Menſchengeſchichte aufzuzeigen, nur Transformation des
alten Syſtems: Leſſings Erziehung des Menſchengeſchlechtes, Hegels
Selbſtentwicklung Gottes, Comte’s Umwandlung der hierarchiſchen
Organiſation ſind nichts Anderes. Da der myſtiſche Körper,
welcher im Mittelalter den Zuſammenhang der Weltgeſchichte in
ſich ſchloß, ſich in der Denkart des 18. Jahrhunderts in Indi-
viduen auflöſt: muß ein Erſatz gefunden werden in einer Vor-
ſtellung, welche dieſe Einheit der Menſchheit aufrecht erhält. Zwei
Wendungen
treten ein, welche beide zu dieſem Zweck die Meta-
phyſik zu Hilfe rufen und beide jede wirklich wiſſenſchaftliche
Behandlung des Problems ausſchließen.

Die Eine derſelben ſubſtituirt metaphyſiſche Weſen-
heiten,
wie die allgemeine Vernunft, der Weltgeiſt ſolche
ſind, und betrachtet die Geſchichte als Entwicklung von dieſen. Gewiß
macht ſich auch hier wieder geltend, daß ſolche Formeln eine Wahr-
heit bergen. Die Verbindung des Individuums mit der Menſchheit
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[125/0148] Sie ſubſtituirt nur d. Realitäten d. Theologie abſtrakte Weſenheiten. der Geſchichte ſtehen: innerhalb dieſes ungeheuren Gebäudes hat ſeine poſitive Arbeit, wirkliche hiſtoriſche Forſchung in philo- ſophiſcher Abſicht, ſich in der alten Völkergeſchichte angeſiedelt und das Problem der Entwicklungsgeſchichte der Völker, der allen Völkern gemeinſamen Epochen dieſer Entwicklungsgeſchichte verfolgt. Der Gedanke eines einheitlichen Planes in dem geſchichtlichen Weltlauf wandelt ſich, indem er im 18. Jahrhundert von den feſten Prämiſſen des theologiſchen Syſtems losgelöſt feſtgehalten wird: aus ſeiner maſſiven Realität wird ein metaphyſiſches Schattenſpiel. Aus dem Dunkel eines unbekannten Anfangs treten nunmehr die räthſelhaft verwickelten Vorgänge des geſchichtlichen Weltlaufs hervor, um ſich in daſſelbe Dunkel nach vorwärts zu verlieren. Wozu dies mühſame Emporklimmen der Menſchheit? Wozu das Weltelend? Wozu die Beſchränkung des Fortſchreitens auf eine Minderzahl? Vom Standpunkt des Auguſtin Alles wohl zu begreifen, auf dem Standpunkt des 18. Jahrhunderts Räthſel, für deren Auflöſung jeder klare Anhaltspunkt fehlt. Da- her iſt jeder Verſuch des 18. Jahrhunderts, den Plan und Sinn in der Menſchengeſchichte aufzuzeigen, nur Transformation des alten Syſtems: Leſſings Erziehung des Menſchengeſchlechtes, Hegels Selbſtentwicklung Gottes, Comte’s Umwandlung der hierarchiſchen Organiſation ſind nichts Anderes. Da der myſtiſche Körper, welcher im Mittelalter den Zuſammenhang der Weltgeſchichte in ſich ſchloß, ſich in der Denkart des 18. Jahrhunderts in Indi- viduen auflöſt: muß ein Erſatz gefunden werden in einer Vor- ſtellung, welche dieſe Einheit der Menſchheit aufrecht erhält. Zwei Wendungen treten ein, welche beide zu dieſem Zweck die Meta- phyſik zu Hilfe rufen und beide jede wirklich wiſſenſchaftliche Behandlung des Problems ausſchließen. Die Eine derſelben ſubſtituirt metaphyſiſche Weſen- heiten, wie die allgemeine Vernunft, der Weltgeiſt ſolche ſind, und betrachtet die Geſchichte als Entwicklung von dieſen. Gewiß macht ſich auch hier wieder geltend, daß ſolche Formeln eine Wahr- heit bergen. Die Verbindung des Individuums mit der Menſchheit iſt Realität. Iſt doch eben dies das tiefſte pſychologiſche Problem,

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Zitationshilfe: Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dilthey_geisteswissenschaften_1883/148>, abgerufen am 22.11.2024.