Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883.Vorrede. den Hauptgedanken und die Hauptsätze dieser erkenntnißtheoretischenGrundlegung der Geisteswissenschaften mit den verschiedenen Seiten des wissenschaftlichen Denkens der Gegenwart in Beziehung zu setzen und dadurch mehrfach zu begründen. So geht dieser Versuch zuerst von der Uebersicht über die Einzelwissenschaften des Geistes aus, da in ihnen der breite Stoff und das Motiv dieser ganzen Arbeit liegt, und er schließt von ihnen rückwärts (erstes Buch). Dann führt der vorliegende Band die Geschichte des philosophischen Denkens, das nach festen Grundlagen des Wissens sucht, durch den Zeitraum hindurch, in welchem sich das Schicksal der meta- physischen Grundlegung entschied (zweites Buch). Der Beweis wird versucht, daß eine allgemein anerkannte Metaphysik durch eine Lage der Wissenschaften bedingt war, die wir hinter uns gelassen haben, und sonach die Zeit der metaphysischen Begründung der Geistes- wissenschaften ganz vorüber ist. Der zweite Band wird zunächst dem geschichtlichen Verlauf in das Stadium der Einzelwissen- schaften und der Erkenntnißtheorie nachgehen und die erkenntniß- theoretischen Arbeiten bis zur Gegenwart darstellen und beurtheilen (drittes Buch). Er wird dann eine eigene erkenntnißtheoretische Grundlegung der Geisteswissenschaften versuchen (viertes und fünftes Buch). Die Ausführlichkeit des historischen Theils ist nicht nur aus dem praktischen Bedürfniß einer Einleitung, sondern auch aus meiner Ueberzeugung von dem Werth der geschichtlichen Selbstbe- sinnung neben der erkenntnißtheoretischen hervorgegangen. Dieselbe Ueberzeugung spricht sich aus in der seit mehreren Generationen anhaltenden Vorliebe für die Geschichte der Philosophie sowie in Hegel's, des späteren Schelling und Comte's Versuchen, ihr System historisch zu begründen. Die Berechtigung dieser Ueberzeugung wird auf dem entwicklungsgeschichtlichen Standpunkt noch augen- scheinlicher. Denn die Geschichte der intellektuellen Entwicklung zeigt das Wachsthum desselben Baumes im hellen Lichte der Sonne, dessen Wurzeln unter der Erde die erkenntnißtheoretische Grund- legung aufzusuchen hat. Vorrede. den Hauptgedanken und die Hauptſätze dieſer erkenntnißtheoretiſchenGrundlegung der Geiſteswiſſenſchaften mit den verſchiedenen Seiten des wiſſenſchaftlichen Denkens der Gegenwart in Beziehung zu ſetzen und dadurch mehrfach zu begründen. So geht dieſer Verſuch zuerſt von der Ueberſicht über die Einzelwiſſenſchaften des Geiſtes aus, da in ihnen der breite Stoff und das Motiv dieſer ganzen Arbeit liegt, und er ſchließt von ihnen rückwärts (erſtes Buch). Dann führt der vorliegende Band die Geſchichte des philoſophiſchen Denkens, das nach feſten Grundlagen des Wiſſens ſucht, durch den Zeitraum hindurch, in welchem ſich das Schickſal der meta- phyſiſchen Grundlegung entſchied (zweites Buch). Der Beweis wird verſucht, daß eine allgemein anerkannte Metaphyſik durch eine Lage der Wiſſenſchaften bedingt war, die wir hinter uns gelaſſen haben, und ſonach die Zeit der metaphyſiſchen Begründung der Geiſtes- wiſſenſchaften ganz vorüber iſt. Der zweite Band wird zunächſt dem geſchichtlichen Verlauf in das Stadium der Einzelwiſſen- ſchaften und der Erkenntnißtheorie nachgehen und die erkenntniß- theoretiſchen Arbeiten bis zur Gegenwart darſtellen und beurtheilen (drittes Buch). Er wird dann eine eigene erkenntnißtheoretiſche Grundlegung der Geiſteswiſſenſchaften verſuchen (viertes und fünftes Buch). Die Ausführlichkeit des hiſtoriſchen Theils iſt nicht nur aus dem praktiſchen Bedürfniß einer Einleitung, ſondern auch aus meiner Ueberzeugung von dem Werth der geſchichtlichen Selbſtbe- ſinnung neben der erkenntnißtheoretiſchen hervorgegangen. Dieſelbe Ueberzeugung ſpricht ſich aus in der ſeit mehreren Generationen anhaltenden Vorliebe für die Geſchichte der Philoſophie ſowie in Hegel’s, des ſpäteren Schelling und Comte’s Verſuchen, ihr Syſtem hiſtoriſch zu begründen. Die Berechtigung dieſer Ueberzeugung wird auf dem entwicklungsgeſchichtlichen Standpunkt noch augen- ſcheinlicher. Denn die Geſchichte der intellektuellen Entwicklung zeigt das Wachsthum deſſelben Baumes im hellen Lichte der Sonne, deſſen Wurzeln unter der Erde die erkenntnißtheoretiſche Grund- legung aufzuſuchen hat. <TEI> <text> <front> <div n="1"> <p><pb facs="#f0022" n="XIX"/><fw place="top" type="header">Vorrede.</fw><lb/> den Hauptgedanken und die Hauptſätze dieſer erkenntnißtheoretiſchen<lb/> Grundlegung der Geiſteswiſſenſchaften mit den verſchiedenen Seiten<lb/> des wiſſenſchaftlichen Denkens der Gegenwart in Beziehung zu<lb/> ſetzen und dadurch mehrfach zu begründen. 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Vorrede.
den Hauptgedanken und die Hauptſätze dieſer erkenntnißtheoretiſchen
Grundlegung der Geiſteswiſſenſchaften mit den verſchiedenen Seiten
des wiſſenſchaftlichen Denkens der Gegenwart in Beziehung zu
ſetzen und dadurch mehrfach zu begründen. So geht dieſer Verſuch
zuerſt von der Ueberſicht über die Einzelwiſſenſchaften des Geiſtes
aus, da in ihnen der breite Stoff und das Motiv dieſer ganzen
Arbeit liegt, und er ſchließt von ihnen rückwärts (erſtes Buch).
Dann führt der vorliegende Band die Geſchichte des philoſophiſchen
Denkens, das nach feſten Grundlagen des Wiſſens ſucht, durch
den Zeitraum hindurch, in welchem ſich das Schickſal der meta-
phyſiſchen Grundlegung entſchied (zweites Buch). Der Beweis wird
verſucht, daß eine allgemein anerkannte Metaphyſik durch eine Lage
der Wiſſenſchaften bedingt war, die wir hinter uns gelaſſen haben,
und ſonach die Zeit der metaphyſiſchen Begründung der Geiſtes-
wiſſenſchaften ganz vorüber iſt. Der zweite Band wird zunächſt
dem geſchichtlichen Verlauf in das Stadium der Einzelwiſſen-
ſchaften und der Erkenntnißtheorie nachgehen und die erkenntniß-
theoretiſchen Arbeiten bis zur Gegenwart darſtellen und beurtheilen
(drittes Buch). Er wird dann eine eigene erkenntnißtheoretiſche
Grundlegung der Geiſteswiſſenſchaften verſuchen (viertes und fünftes
Buch). Die Ausführlichkeit des hiſtoriſchen Theils iſt nicht nur
aus dem praktiſchen Bedürfniß einer Einleitung, ſondern auch aus
meiner Ueberzeugung von dem Werth der geſchichtlichen Selbſtbe-
ſinnung neben der erkenntnißtheoretiſchen hervorgegangen. Dieſelbe
Ueberzeugung ſpricht ſich aus in der ſeit mehreren Generationen
anhaltenden Vorliebe für die Geſchichte der Philoſophie ſowie in
Hegel’s, des ſpäteren Schelling und Comte’s Verſuchen, ihr Syſtem
hiſtoriſch zu begründen. Die Berechtigung dieſer Ueberzeugung
wird auf dem entwicklungsgeſchichtlichen Standpunkt noch augen-
ſcheinlicher. Denn die Geſchichte der intellektuellen Entwicklung
zeigt das Wachsthum deſſelben Baumes im hellen Lichte der Sonne,
deſſen Wurzeln unter der Erde die erkenntnißtheoretiſche Grund-
legung aufzuſuchen hat.
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