selben bedingten Geltung von dem sondert, was in der Wahr- nehmung als Wirklichkeit gegeben ist, das Verhältniß des Dinges zur Idee richtig auszudrücken vermocht. Daher sehen wir jede metaphysische Theorie dieses Verhältnisses an ihren Widersprüchen zu Grunde gehen; jede scheiterte an der Unmöglichkeit, das Ver- hältniß der Ideen zu den Dingen inhaltlich in Begriffen auszu- drücken. Andrerseits hat erst die positive Wissenschaft, welche das Allgemeine in dem Gesetz des Veränderlichen aufsuchte, die wahr- haft wissenschaftliche Grundlage geschaffen, durch welche für diese Typen der Wirklichkeit die Grenzen ihrer Geltung und die Unter- lage ihres Bestandes festgestellt wurden.
Dies war im Allgemeinen die geschichtliche Stellung der Metaphysik der substantialen Formen, deren Schöpfer Plato ge- wesen ist, innerhalb des Zusammenhangs der intellektuellen Ent- wicklung.
Innerhalb dieser Metaphysik der substantialen Formen ent- wickelte nun aber Plato nur eine der Möglichkeiten, das Verhältniß dieser Ideen zu der Wirklichkeit und den Einzel- dingen auszudrücken, also ein reales Sein der Ideen mit dem realen Sein der Einzeldinge in einen inneren objektiven Zu- sammenhang zu bringen. Platos Idee ist der Gegenstand des begrifflichen Denkens; wie dieses an den Dingen die Idee heraus- hebt als urbildlich, nur in dem Gedanken auffaßbar, vollkommen, so besteht dieselbe, abgesondert von den Einzeldingen, welche zwar Theil an ihr haben, aber hinter ihr zurückbleiben: eine selb- ständige Wesenheit. Das Reich dieser ungewordenen, unvergäng- lichen, unsichtbaren Ideen erscheint wie durch goldene Fäden mit dem mythischen Glauben im griechischen Geiste verbunden. Wir bereiten die Darlegung der Beweisführung für die Ideenlehre vor, indem wir einige einfache Bestandtheile ihres Zusammenhangs herausheben, auf welche die offen daliegenden Schriften überall zurückführen.
Die Kritik der sinnlichen Wahrnehmung sowie der in ihr gegebenen Wirklichkeit hatte zu unwiderleglichen Ergebnissen ge- führt; so fand sich Plato auf das Denken und eine in diesem
Zweites Buch. Zweiter Abſchnitt.
ſelben bedingten Geltung von dem ſondert, was in der Wahr- nehmung als Wirklichkeit gegeben iſt, das Verhältniß des Dinges zur Idee richtig auszudrücken vermocht. Daher ſehen wir jede metaphyſiſche Theorie dieſes Verhältniſſes an ihren Widerſprüchen zu Grunde gehen; jede ſcheiterte an der Unmöglichkeit, das Ver- hältniß der Ideen zu den Dingen inhaltlich in Begriffen auszu- drücken. Andrerſeits hat erſt die poſitive Wiſſenſchaft, welche das Allgemeine in dem Geſetz des Veränderlichen aufſuchte, die wahr- haft wiſſenſchaftliche Grundlage geſchaffen, durch welche für dieſe Typen der Wirklichkeit die Grenzen ihrer Geltung und die Unter- lage ihres Beſtandes feſtgeſtellt wurden.
Dies war im Allgemeinen die geſchichtliche Stellung der Metaphyſik der ſubſtantialen Formen, deren Schöpfer Plato ge- weſen iſt, innerhalb des Zuſammenhangs der intellektuellen Ent- wicklung.
Innerhalb dieſer Metaphyſik der ſubſtantialen Formen ent- wickelte nun aber Plato nur eine der Möglichkeiten, das Verhältniß dieſer Ideen zu der Wirklichkeit und den Einzel- dingen auszudrücken, alſo ein reales Sein der Ideen mit dem realen Sein der Einzeldinge in einen inneren objektiven Zu- ſammenhang zu bringen. Platos Idee iſt der Gegenſtand des begrifflichen Denkens; wie dieſes an den Dingen die Idee heraus- hebt als urbildlich, nur in dem Gedanken auffaßbar, vollkommen, ſo beſteht dieſelbe, abgeſondert von den Einzeldingen, welche zwar Theil an ihr haben, aber hinter ihr zurückbleiben: eine ſelb- ſtändige Weſenheit. Das Reich dieſer ungewordenen, unvergäng- lichen, unſichtbaren Ideen erſcheint wie durch goldene Fäden mit dem mythiſchen Glauben im griechiſchen Geiſte verbunden. Wir bereiten die Darlegung der Beweisführung für die Ideenlehre vor, indem wir einige einfache Beſtandtheile ihres Zuſammenhangs herausheben, auf welche die offen daliegenden Schriften überall zurückführen.
Die Kritik der ſinnlichen Wahrnehmung ſowie der in ihr gegebenen Wirklichkeit hatte zu unwiderleglichen Ergebniſſen ge- führt; ſo fand ſich Plato auf das Denken und eine in dieſem
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Zweites Buch. Zweiter Abſchnitt.
ſelben bedingten Geltung von dem ſondert, was in der Wahr-
nehmung als Wirklichkeit gegeben iſt, das Verhältniß des Dinges
zur Idee richtig auszudrücken vermocht. Daher ſehen wir jede
metaphyſiſche Theorie dieſes Verhältniſſes an ihren Widerſprüchen
zu Grunde gehen; jede ſcheiterte an der Unmöglichkeit, das Ver-
hältniß der Ideen zu den Dingen inhaltlich in Begriffen auszu-
drücken. Andrerſeits hat erſt die poſitive Wiſſenſchaft, welche das
Allgemeine in dem Geſetz des Veränderlichen aufſuchte, die wahr-
haft wiſſenſchaftliche Grundlage geſchaffen, durch welche für dieſe
Typen der Wirklichkeit die Grenzen ihrer Geltung und die Unter-
lage ihres Beſtandes feſtgeſtellt wurden.
Dies war im Allgemeinen die geſchichtliche Stellung der
Metaphyſik der ſubſtantialen Formen, deren Schöpfer Plato ge-
weſen iſt, innerhalb des Zuſammenhangs der intellektuellen Ent-
wicklung.
Innerhalb dieſer Metaphyſik der ſubſtantialen Formen ent-
wickelte nun aber Plato nur eine der Möglichkeiten, das
Verhältniß dieſer Ideen zu der Wirklichkeit und den Einzel-
dingen auszudrücken, alſo ein reales Sein der Ideen mit dem
realen Sein der Einzeldinge in einen inneren objektiven Zu-
ſammenhang zu bringen. Platos Idee iſt der Gegenſtand des
begrifflichen Denkens; wie dieſes an den Dingen die Idee heraus-
hebt als urbildlich, nur in dem Gedanken auffaßbar, vollkommen,
ſo beſteht dieſelbe, abgeſondert von den Einzeldingen, welche zwar
Theil an ihr haben, aber hinter ihr zurückbleiben: eine ſelb-
ſtändige Weſenheit. Das Reich dieſer ungewordenen, unvergäng-
lichen, unſichtbaren Ideen erſcheint wie durch goldene Fäden mit
dem mythiſchen Glauben im griechiſchen Geiſte verbunden. Wir
bereiten die Darlegung der Beweisführung für die Ideenlehre vor,
indem wir einige einfache Beſtandtheile ihres Zuſammenhangs
herausheben, auf welche die offen daliegenden Schriften überall
zurückführen.
Die Kritik der ſinnlichen Wahrnehmung ſowie der in ihr
gegebenen Wirklichkeit hatte zu unwiderleglichen Ergebniſſen ge-
führt; ſo fand ſich Plato auf das Denken und eine in dieſem
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Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883, S. 232. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dilthey_geisteswissenschaften_1883/255>, abgerufen am 21.06.2024.
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