D. Existenz v. d. Ding. gesond. Ideen a. Thats. d. Wissens bewiesen.
schaute, als die Bedingungen des Gegebenen nachwies? vermittelst deren er ihre Bestimmungen ableitete und die Wissenschaft ihrer Beziehungen entwarf?
Es entsprach dem Zusammenhang der großen Bewegung, die er zum Stehen brachte, daß die Anforderung, die Möglichkeit des Wissens aufzuweisen, ihm im Vordergrund stand. Diese Möglichkeit sah er rings von den Sophisten bestritten; durch eine Erweiterung der philosophischen Besinnung war sie eben von Socrates vertheidigt worden; ihr war das intellektuelle Interesse zugewandt.
Die Beweisführung Platos aus dem Wissen ist indirekt. Sie schließt die Möglichkeit aus, daß das Wissen aus der äußeren Wahrnehmung entspringe und folgert so, daß dasselbe einem von der Wahrnehmung unterschiedenen, selbständigen Denkvermögen angehöre. Sie korrespondirt der anderen Beweisführung, daß das höchste Gut nicht in der Lust bestehe, die Gerechtigkeit nicht aus dem Kampf der Interessen sinnlicher Wesen entspringe, sonach das Handeln des Einzelnen wie des Staates in einem von unserem sinnlichen Wesen unabhängigen Beweggrund angelegt sein müsse. Beiden Beweisführungen liegt als Obersatz eine Disjunktion zu Grunde, deren Unvollständigkeit Platos Begründung unzureichend macht. Zusammen sondern sie ein höheres Vermögen der Ver- nunst von der Sinnlichkeit. Von diesem aus erschließt dann Plato die Existenz der Ideen als selbständiger Wesenheiten auf folgende Weise.
Unabhängig von der äußeren sinnlichen Erfahrung trägt nach Plato der Mensch die ideale Welt in sich. Die Selbstbesinnung des Socrates ist in Platos mächtiger Persönlichkeit erweitert, ge- steigert. In der künstlerischen Darstellung, welche Plato in seinen Schriften von Socrates giebt, der höchsten Schöpfung des dich- terischen Vermögens der Athener, ist diese Selbstbesinnung gleichsam Person geworden. Plato zeigt alsdann analytisch die Inhaltlichkeit der Menschennatur in dem Dichter, in dem religiösen Vorgang, in dem Enthusiasmus. Er entnimmt endlich einen strengen Be- weis für das Vorhandensein eines Wissensinhaltes
D. Exiſtenz v. d. Ding. geſond. Ideen a. Thatſ. d. Wiſſens bewieſen.
ſchaute, als die Bedingungen des Gegebenen nachwies? vermittelſt deren er ihre Beſtimmungen ableitete und die Wiſſenſchaft ihrer Beziehungen entwarf?
Es entſprach dem Zuſammenhang der großen Bewegung, die er zum Stehen brachte, daß die Anforderung, die Möglichkeit des Wiſſens aufzuweiſen, ihm im Vordergrund ſtand. Dieſe Möglichkeit ſah er rings von den Sophiſten beſtritten; durch eine Erweiterung der philoſophiſchen Beſinnung war ſie eben von Socrates vertheidigt worden; ihr war das intellektuelle Intereſſe zugewandt.
Die Beweisführung Platos aus dem Wiſſen iſt indirekt. Sie ſchließt die Möglichkeit aus, daß das Wiſſen aus der äußeren Wahrnehmung entſpringe und folgert ſo, daß daſſelbe einem von der Wahrnehmung unterſchiedenen, ſelbſtändigen Denkvermögen angehöre. Sie korreſpondirt der anderen Beweisführung, daß das höchſte Gut nicht in der Luſt beſtehe, die Gerechtigkeit nicht aus dem Kampf der Intereſſen ſinnlicher Weſen entſpringe, ſonach das Handeln des Einzelnen wie des Staates in einem von unſerem ſinnlichen Weſen unabhängigen Beweggrund angelegt ſein müſſe. Beiden Beweisführungen liegt als Oberſatz eine Disjunktion zu Grunde, deren Unvollſtändigkeit Platos Begründung unzureichend macht. Zuſammen ſondern ſie ein höheres Vermögen der Ver- nunſt von der Sinnlichkeit. Von dieſem aus erſchließt dann Plato die Exiſtenz der Ideen als ſelbſtändiger Weſenheiten auf folgende Weiſe.
Unabhängig von der äußeren ſinnlichen Erfahrung trägt nach Plato der Menſch die ideale Welt in ſich. Die Selbſtbeſinnung des Socrates iſt in Platos mächtiger Perſönlichkeit erweitert, ge- ſteigert. In der künſtleriſchen Darſtellung, welche Plato in ſeinen Schriften von Socrates giebt, der höchſten Schöpfung des dich- teriſchen Vermögens der Athener, iſt dieſe Selbſtbeſinnung gleichſam Perſon geworden. Plato zeigt alsdann analytiſch die Inhaltlichkeit der Menſchennatur in dem Dichter, in dem religiöſen Vorgang, in dem Enthuſiasmus. Er entnimmt endlich einen ſtrengen Be- weis für das Vorhandenſein eines Wiſſensinhaltes
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D. Exiſtenz v. d. Ding. geſond. Ideen a. Thatſ. d. Wiſſens bewieſen.
ſchaute, als die Bedingungen des Gegebenen nachwies? vermittelſt
deren er ihre Beſtimmungen ableitete und die Wiſſenſchaft ihrer
Beziehungen entwarf?
Es entſprach dem Zuſammenhang der großen Bewegung, die
er zum Stehen brachte, daß die Anforderung, die Möglichkeit
des Wiſſens aufzuweiſen, ihm im Vordergrund ſtand.
Dieſe Möglichkeit ſah er rings von den Sophiſten beſtritten;
durch eine Erweiterung der philoſophiſchen Beſinnung war ſie
eben von Socrates vertheidigt worden; ihr war das intellektuelle
Intereſſe zugewandt.
Die Beweisführung Platos aus dem Wiſſen iſt indirekt.
Sie ſchließt die Möglichkeit aus, daß das Wiſſen aus der
äußeren Wahrnehmung entſpringe und folgert ſo, daß daſſelbe einem
von der Wahrnehmung unterſchiedenen, ſelbſtändigen Denkvermögen
angehöre. Sie korreſpondirt der anderen Beweisführung, daß das
höchſte Gut nicht in der Luſt beſtehe, die Gerechtigkeit nicht aus
dem Kampf der Intereſſen ſinnlicher Weſen entſpringe, ſonach das
Handeln des Einzelnen wie des Staates in einem von unſerem
ſinnlichen Weſen unabhängigen Beweggrund angelegt ſein müſſe.
Beiden Beweisführungen liegt als Oberſatz eine Disjunktion zu
Grunde, deren Unvollſtändigkeit Platos Begründung unzureichend
macht. Zuſammen ſondern ſie ein höheres Vermögen der Ver-
nunſt von der Sinnlichkeit. Von dieſem aus erſchließt dann
Plato die Exiſtenz der Ideen als ſelbſtändiger Weſenheiten auf
folgende Weiſe.
Unabhängig von der äußeren ſinnlichen Erfahrung trägt nach
Plato der Menſch die ideale Welt in ſich. Die Selbſtbeſinnung
des Socrates iſt in Platos mächtiger Perſönlichkeit erweitert, ge-
ſteigert. In der künſtleriſchen Darſtellung, welche Plato in ſeinen
Schriften von Socrates giebt, der höchſten Schöpfung des dich-
teriſchen Vermögens der Athener, iſt dieſe Selbſtbeſinnung gleichſam
Perſon geworden. Plato zeigt alsdann analytiſch die Inhaltlichkeit
der Menſchennatur in dem Dichter, in dem religiöſen Vorgang,
in dem Enthuſiasmus. Er entnimmt endlich einen ſtrengen Be-
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Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883, S. 235. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dilthey_geisteswissenschaften_1883/258>, abgerufen am 23.11.2024.
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