lichkeit in mathematischem Verstande sei, kann definirt werden; hier wird aber eine Aehnlichkeit behauptet, die ganz unbestimmt ist. Ja man kann sagen, beständen nicht die Phänomene von Abspiegelung in der Natur sowie von Nachbildung in der Kunst des Menschen: eine solche Vorstellung hätte kaum entstehen können.
Der nähere Zusammenhang des logischen Denkens, wie ihn die Lehre des Aristoteles von Schluß und Beweis entwickelt, ist ein Gegenbild des von ihm angenommenen metaphysischen Zu- sammenhangs. Dies ergiebt sich aus der angegebenen Vorstellung von Entsprechen. Sigwart sagt zutreffend: "Indem Aristoteles ein objektives Begriffssystem voraussetzt, das sich in der realen Welt verwirklicht, so daß der Begriff überall als das das Wesen der Dinge Konstituirende und als die Ursache ihrer einzelnen Be- stimmungen erscheint, stellen sich ihm alle Urtheile, die ein wahres Wissen enthalten, als Ausdruck der nothwendigen Begriffsverhält- nisse dar, und der Syllogismus ist dazu da, die ganze Macht und Tragweite jedes einzelnen Begriffs der Erkenntniß zu offenbaren, in- dem er die einzelnen Urtheile verknüpft und durch die begriffliche Einheit von einander abhängig macht; und der sprachliche Ausdruck dieser Begriffsverhältnisse ergiebt sich daraus, daß sie immer zu- gleich als das Wesen des einzelnen Seienden erscheinen, dieses also in seiner begrifflichen Bestimmtheit das eigentliche Subjekt des Urtheilens ist, das Verhältniß der Begriffe also in dem allgemeinen oder partikularen, bejahenden oder verneinenden Urtheil zu Tage tritt 1)." Hieraus ergeben sich die Stellung des kategorischen Urtheils, die Bedeutung der ersten Figur und die Zurückführung der anderen Figuren auf dieselbe, die Stellung des Mittelbegriffs, welcher der Ursache entsprechen soll: kurz die Haupteigenthümlichkeiten der aristotelischen Analytik.
Sonach stand die Syllogistik des Aristoteles so lange fest, als die Voraussetzung eines objektiven, im Kosmos realisirten Begriffssystems festgehalten wurde. Seitdem die Logik diese Vor- aussetzung aufgab, bedurfte sie einer neuen Grundlegung. Und
1) Sigwart, Logik I, 394.
Zweites Buch. Zweiter Abſchnitt.
lichkeit in mathematiſchem Verſtande ſei, kann definirt werden; hier wird aber eine Aehnlichkeit behauptet, die ganz unbeſtimmt iſt. Ja man kann ſagen, beſtänden nicht die Phänomene von Abſpiegelung in der Natur ſowie von Nachbildung in der Kunſt des Menſchen: eine ſolche Vorſtellung hätte kaum entſtehen können.
Der nähere Zuſammenhang des logiſchen Denkens, wie ihn die Lehre des Ariſtoteles von Schluß und Beweis entwickelt, iſt ein Gegenbild des von ihm angenommenen metaphyſiſchen Zu- ſammenhangs. Dies ergiebt ſich aus der angegebenen Vorſtellung von Entſprechen. Sigwart ſagt zutreffend: „Indem Ariſtoteles ein objektives Begriffsſyſtem vorausſetzt, das ſich in der realen Welt verwirklicht, ſo daß der Begriff überall als das das Weſen der Dinge Konſtituirende und als die Urſache ihrer einzelnen Be- ſtimmungen erſcheint, ſtellen ſich ihm alle Urtheile, die ein wahres Wiſſen enthalten, als Ausdruck der nothwendigen Begriffsverhält- niſſe dar, und der Syllogismus iſt dazu da, die ganze Macht und Tragweite jedes einzelnen Begriffs der Erkenntniß zu offenbaren, in- dem er die einzelnen Urtheile verknüpft und durch die begriffliche Einheit von einander abhängig macht; und der ſprachliche Ausdruck dieſer Begriffsverhältniſſe ergiebt ſich daraus, daß ſie immer zu- gleich als das Weſen des einzelnen Seienden erſcheinen, dieſes alſo in ſeiner begrifflichen Beſtimmtheit das eigentliche Subjekt des Urtheilens iſt, das Verhältniß der Begriffe alſo in dem allgemeinen oder partikularen, bejahenden oder verneinenden Urtheil zu Tage tritt 1).“ Hieraus ergeben ſich die Stellung des kategoriſchen Urtheils, die Bedeutung der erſten Figur und die Zurückführung der anderen Figuren auf dieſelbe, die Stellung des Mittelbegriffs, welcher der Urſache entſprechen ſoll: kurz die Haupteigenthümlichkeiten der ariſtoteliſchen Analytik.
Sonach ſtand die Syllogiſtik des Ariſtoteles ſo lange feſt, als die Vorausſetzung eines objektiven, im Kosmos realiſirten Begriffsſyſtems feſtgehalten wurde. Seitdem die Logik dieſe Vor- ausſetzung aufgab, bedurfte ſie einer neuen Grundlegung. Und
1) Sigwart, Logik I, 394.
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Zweites Buch. Zweiter Abſchnitt.
lichkeit in mathematiſchem Verſtande ſei, kann definirt werden;
hier wird aber eine Aehnlichkeit behauptet, die ganz unbeſtimmt
iſt. Ja man kann ſagen, beſtänden nicht die Phänomene von
Abſpiegelung in der Natur ſowie von Nachbildung in der Kunſt
des Menſchen: eine ſolche Vorſtellung hätte kaum entſtehen können.
Der nähere Zuſammenhang des logiſchen Denkens, wie ihn
die Lehre des Ariſtoteles von Schluß und Beweis entwickelt, iſt
ein Gegenbild des von ihm angenommenen metaphyſiſchen Zu-
ſammenhangs. Dies ergiebt ſich aus der angegebenen Vorſtellung
von Entſprechen. Sigwart ſagt zutreffend: „Indem Ariſtoteles
ein objektives Begriffsſyſtem vorausſetzt, das ſich in der realen
Welt verwirklicht, ſo daß der Begriff überall als das das Weſen
der Dinge Konſtituirende und als die Urſache ihrer einzelnen Be-
ſtimmungen erſcheint, ſtellen ſich ihm alle Urtheile, die ein wahres
Wiſſen enthalten, als Ausdruck der nothwendigen Begriffsverhält-
niſſe dar, und der Syllogismus iſt dazu da, die ganze Macht und
Tragweite jedes einzelnen Begriffs der Erkenntniß zu offenbaren, in-
dem er die einzelnen Urtheile verknüpft und durch die begriffliche
Einheit von einander abhängig macht; und der ſprachliche Ausdruck
dieſer Begriffsverhältniſſe ergiebt ſich daraus, daß ſie immer zu-
gleich als das Weſen des einzelnen Seienden erſcheinen, dieſes alſo in
ſeiner begrifflichen Beſtimmtheit das eigentliche Subjekt des Urtheilens
iſt, das Verhältniß der Begriffe alſo in dem allgemeinen oder
partikularen, bejahenden oder verneinenden Urtheil zu Tage tritt 1).“
Hieraus ergeben ſich die Stellung des kategoriſchen Urtheils, die
Bedeutung der erſten Figur und die Zurückführung der anderen
Figuren auf dieſelbe, die Stellung des Mittelbegriffs, welcher der
Urſache entſprechen ſoll: kurz die Haupteigenthümlichkeiten der
ariſtoteliſchen Analytik.
Sonach ſtand die Syllogiſtik des Ariſtoteles ſo lange feſt,
als die Vorausſetzung eines objektiven, im Kosmos realiſirten
Begriffsſyſtems feſtgehalten wurde. Seitdem die Logik dieſe Vor-
ausſetzung aufgab, bedurfte ſie einer neuen Grundlegung. Und
1) Sigwart, Logik I, 394.
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Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883, S. 250. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dilthey_geisteswissenschaften_1883/273>, abgerufen am 28.11.2024.
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