Aber der monotheistische Grundgedanke nimmt in Aristoteles, wie in Plato, die Annahme von mehreren nicht aus Gott stammen- den Ursachen in sich auf.
Das astronomische Problem war viel komplizirter geworden, die Bahnen der Planeten bildeten die Hauptfrage. Es ward ver- sucht, die scheinbaren Bahnen auf Drehungen von Sphären, verschieden nach Zeitdauer, Richtung und Umkreis, zurückzuführen, und die Drehung solcher Sphären, an welchen die Gestirne befestigt sind, legte nun auch Aristoteles zu Grunde. Somit lagen die Voraussetzungen dieser astronomischen Theorie in dem In- einandergreifen dieser verschiedenen Drehungen. Weder Aristoteles noch ein anderer Denker des Jahrtausends, das auf ihn folgte, hat diese Voraussetzungen in den Zusammenhang einer mecha- nischen Vorstellung gebracht. Und so faßt denn Aristoteles das Verhältniß dieser Bewegungen zu einander mythisch als innere Beziehung von psychischen Kräften, von Gestirngeistern zu einander auf; jede dieser psychischen Kräfte verwirklicht gleich- sam eine bestimmte Idee von Kreisbewegung; fünf und fünfzig Sphären (diese Hypothese bevorzugt er als die wahrscheinlichere) 1) außer dem Fixsternhimmel greifen mit ihren Drehungen in einander. Ungeworden, unvergänglich stehen demnach neben der höchsten Vernunft diese fünf und fünfzig Gestirngeister, welche die Drehung der Sphären bewirken, alsdann die Formen der Wirklichkeit, endlich die mit den menschlichen Seelen verbundenen unsterblichen Geister, die ebenfalls als Vernunft bezeichnet werden. Und die Materie ist ebenso eine letzte, unabhängige Thatsache.
Die Gottheit steht nach Aristoteles zu diesen Prinzipien in einem psychischen Verhältniß; sie bilden einen in ihr den Abschluß findenden Zweckzusammenhang. So herrscht die Gottheit, wie der Feldherr im Heere d. h. durch die Kraft, vermöge deren eine Seele die andere bestimmt. Hieraus allein erklärt sich der ge- dankenmäßige Zusammenhang des Weltalls unter ihr als dem Haupte, während sie doch nicht die hervorbringende Ursache des-
1) a. a. O. p. 1073 b 16.
Zweites Buch. Zweiter Abſchnitt.
Aber der monotheiſtiſche Grundgedanke nimmt in Ariſtoteles, wie in Plato, die Annahme von mehreren nicht aus Gott ſtammen- den Urſachen in ſich auf.
Das aſtronomiſche Problem war viel komplizirter geworden, die Bahnen der Planeten bildeten die Hauptfrage. Es ward ver- ſucht, die ſcheinbaren Bahnen auf Drehungen von Sphären, verſchieden nach Zeitdauer, Richtung und Umkreis, zurückzuführen, und die Drehung ſolcher Sphären, an welchen die Geſtirne befeſtigt ſind, legte nun auch Ariſtoteles zu Grunde. Somit lagen die Vorausſetzungen dieſer aſtronomiſchen Theorie in dem In- einandergreifen dieſer verſchiedenen Drehungen. Weder Ariſtoteles noch ein anderer Denker des Jahrtauſends, das auf ihn folgte, hat dieſe Vorausſetzungen in den Zuſammenhang einer mecha- niſchen Vorſtellung gebracht. Und ſo faßt denn Ariſtoteles das Verhältniß dieſer Bewegungen zu einander mythiſch als innere Beziehung von pſychiſchen Kräften, von Geſtirngeiſtern zu einander auf; jede dieſer pſychiſchen Kräfte verwirklicht gleich- ſam eine beſtimmte Idee von Kreisbewegung; fünf und fünfzig Sphären (dieſe Hypotheſe bevorzugt er als die wahrſcheinlichere) 1) außer dem Fixſternhimmel greifen mit ihren Drehungen in einander. Ungeworden, unvergänglich ſtehen demnach neben der höchſten Vernunft dieſe fünf und fünfzig Geſtirngeiſter, welche die Drehung der Sphären bewirken, alsdann die Formen der Wirklichkeit, endlich die mit den menſchlichen Seelen verbundenen unſterblichen Geiſter, die ebenfalls als Vernunft bezeichnet werden. Und die Materie iſt ebenſo eine letzte, unabhängige Thatſache.
Die Gottheit ſteht nach Ariſtoteles zu dieſen Prinzipien in einem pſychiſchen Verhältniß; ſie bilden einen in ihr den Abſchluß findenden Zweckzuſammenhang. So herrſcht die Gottheit, wie der Feldherr im Heere d. h. durch die Kraft, vermöge deren eine Seele die andere beſtimmt. Hieraus allein erklärt ſich der ge- dankenmäßige Zuſammenhang des Weltalls unter ihr als dem Haupte, während ſie doch nicht die hervorbringende Urſache des-
1) a. a. O. p. 1073 b 16.
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Zweites Buch. Zweiter Abſchnitt.
Aber der monotheiſtiſche Grundgedanke nimmt in Ariſtoteles,
wie in Plato, die Annahme von mehreren nicht aus Gott ſtammen-
den Urſachen in ſich auf.
Das aſtronomiſche Problem war viel komplizirter geworden,
die Bahnen der Planeten bildeten die Hauptfrage. Es ward ver-
ſucht, die ſcheinbaren Bahnen auf Drehungen von Sphären,
verſchieden nach Zeitdauer, Richtung und Umkreis, zurückzuführen,
und die Drehung ſolcher Sphären, an welchen die Geſtirne
befeſtigt ſind, legte nun auch Ariſtoteles zu Grunde. Somit lagen
die Vorausſetzungen dieſer aſtronomiſchen Theorie in dem In-
einandergreifen dieſer verſchiedenen Drehungen. Weder Ariſtoteles
noch ein anderer Denker des Jahrtauſends, das auf ihn folgte,
hat dieſe Vorausſetzungen in den Zuſammenhang einer mecha-
niſchen Vorſtellung gebracht. Und ſo faßt denn Ariſtoteles
das Verhältniß dieſer Bewegungen zu einander mythiſch als innere
Beziehung von pſychiſchen Kräften, von Geſtirngeiſtern
zu einander auf; jede dieſer pſychiſchen Kräfte verwirklicht gleich-
ſam eine beſtimmte Idee von Kreisbewegung; fünf und fünfzig
Sphären (dieſe Hypotheſe bevorzugt er als die wahrſcheinlichere) 1)
außer dem Fixſternhimmel greifen mit ihren Drehungen in einander.
Ungeworden, unvergänglich ſtehen demnach neben der höchſten
Vernunft dieſe fünf und fünfzig Geſtirngeiſter, welche die Drehung
der Sphären bewirken, alsdann die Formen der Wirklichkeit,
endlich die mit den menſchlichen Seelen verbundenen unſterblichen
Geiſter, die ebenfalls als Vernunft bezeichnet werden. Und die
Materie iſt ebenſo eine letzte, unabhängige Thatſache.
Die Gottheit ſteht nach Ariſtoteles zu dieſen Prinzipien in
einem pſychiſchen Verhältniß; ſie bilden einen in ihr den Abſchluß
findenden Zweckzuſammenhang. So herrſcht die Gottheit, wie der
Feldherr im Heere d. h. durch die Kraft, vermöge deren eine
Seele die andere beſtimmt. Hieraus allein erklärt ſich der ge-
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Haupte, während ſie doch nicht die hervorbringende Urſache des-
1) a. a. O. p. 1073 b 16.
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Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883, S. 270. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dilthey_geisteswissenschaften_1883/293>, abgerufen am 23.11.2024.
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