Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883.Zweites Buch. Zweiter Abschnitt. Apparats geltend gemacht. Wie die national-griechische Entwicklungzu Ende gegangen ist, wie die Züge Alexander's den Osten er- schließen und alsdann später das römische Imperium seine welt- geschichtliche Mission einer Vereinigung aller kultivirten Nationen unter Einem Rechte und Einem Haupte zu vollbringen sich anschickt: verändert sich allmälig das Lebensgefühl des Menschen, der den Griechen und Italiker mit dem dunkel gefärbten Bewohner der östlichen Länder tagtäglich vergleicht und das gemeinsam Menschliche fühlt; das Band, das den Orientalen, der in Griechenland lebt und lehrt, den Nationalgriechen, der unter einem macedonischen Fürsten oder später unter römischen Optimaten steht, mit dem Staate verbindet, ist von gänzlich anderer Art als das, welches einen Socrates mit dem Rechte seiner Heimathstadt verbunden hatte. So entsteht eine gänzlich veränderte politische Philosophie. Die Literatur über den Staat ist in beständigem Wachsthum Zweites Buch. Zweiter Abſchnitt. Apparats geltend gemacht. Wie die national-griechiſche Entwicklungzu Ende gegangen iſt, wie die Züge Alexander’s den Oſten er- ſchließen und alsdann ſpäter das römiſche Imperium ſeine welt- geſchichtliche Miſſion einer Vereinigung aller kultivirten Nationen unter Einem Rechte und Einem Haupte zu vollbringen ſich anſchickt: verändert ſich allmälig das Lebensgefühl des Menſchen, der den Griechen und Italiker mit dem dunkel gefärbten Bewohner der öſtlichen Länder tagtäglich vergleicht und das gemeinſam Menſchliche fühlt; das Band, das den Orientalen, der in Griechenland lebt und lehrt, den Nationalgriechen, der unter einem macedoniſchen Fürſten oder ſpäter unter römiſchen Optimaten ſteht, mit dem Staate verbindet, iſt von gänzlich anderer Art als das, welches einen Socrates mit dem Rechte ſeiner Heimathſtadt verbunden hatte. So entſteht eine gänzlich veränderte politiſche Philoſophie. Die Literatur über den Staat iſt in beſtändigem Wachsthum <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0331" n="308"/><fw place="top" type="header">Zweites Buch. Zweiter Abſchnitt.</fw><lb/> Apparats geltend gemacht. Wie die national-griechiſche Entwicklung<lb/> zu Ende gegangen iſt, wie die Züge Alexander’s den Oſten er-<lb/> ſchließen und alsdann ſpäter das römiſche Imperium ſeine welt-<lb/> geſchichtliche Miſſion einer Vereinigung aller kultivirten Nationen<lb/> unter Einem Rechte und Einem Haupte zu vollbringen ſich anſchickt:<lb/> verändert ſich allmälig das Lebensgefühl des Menſchen, der den<lb/> Griechen und Italiker mit dem dunkel gefärbten Bewohner der<lb/> öſtlichen Länder tagtäglich vergleicht und das gemeinſam Menſchliche<lb/> fühlt; das Band, das den Orientalen, der in Griechenland lebt<lb/> und lehrt, den Nationalgriechen, der unter einem macedoniſchen<lb/> Fürſten oder ſpäter unter römiſchen Optimaten ſteht, mit dem Staate<lb/> verbindet, iſt von gänzlich anderer Art als das, welches einen<lb/> Socrates mit dem Rechte ſeiner Heimathſtadt verbunden hatte. So<lb/> entſteht eine gänzlich veränderte politiſche Philoſophie.</p><lb/> <p>Die <hi rendition="#g">Literatur</hi> über den <hi rendition="#g">Staat</hi> iſt in beſtändigem Wachsthum<lb/> begriffen. Cicero ſpricht mit Bewunderung von der großen Zahl<lb/> und der geiſtigen Bedeutung der politiſchen Werke aus der Schule<lb/> von Plato und Ariſtoteles; wir kennen die Titel der politiſchen<lb/> Schriften von Speuſipp aus Athen, von Xenocrates aus Chal-<lb/> cedo, von Heraclides aus dem pontiſchen Heraclea, dann die von<lb/> Theophraſt aus Ereſus (eine große Zahl), von Demetrius aus<lb/> Phalerum, von Dikäarch aus Meſſana. Neben die augenſcheinlich<lb/> geringe Zahl von politiſchen oder vielmehr gegen das politiſche<lb/> Leben gerichteten Schriften der Epikureer tritt eine reiche ſtoiſche<lb/> politiſche Literatur, Schriften des Zeno aus Citium, des Cleanthes<lb/> aus Aſſus, des Herill aus Karthago, Perſäus aus Citium, Chry-<lb/> ſipp aus Soli, Sphärus vom Bosporus, Diogenes aus Seleucia,<lb/> Panätius aus Rhodus. Man bemerkt, daß in der ſtoiſchen<lb/> Schule die Herkunft aus Barbarenländern bedeutend überwiegt.<lb/> Zeno wird als ein Phönicier bezeichnet; Perſäus ſoll zunächſt<lb/> Sklave Zenos geweſen ſein. Indem die Stoa die Barbarenvölker<lb/> zu ſich heranzieht, indem alsdann die Uebertragung der griechiſchen<lb/> Spekulationen über Staat und Recht auf die Römer ſtattfindet,<lb/> vollzieht ſich eine Verbindung der politiſchen Wiſſenſchaft, ins-<lb/> beſondere der ſtoiſchen, mit den Monarchien, die auf Alexander<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [308/0331]
Zweites Buch. Zweiter Abſchnitt.
Apparats geltend gemacht. Wie die national-griechiſche Entwicklung
zu Ende gegangen iſt, wie die Züge Alexander’s den Oſten er-
ſchließen und alsdann ſpäter das römiſche Imperium ſeine welt-
geſchichtliche Miſſion einer Vereinigung aller kultivirten Nationen
unter Einem Rechte und Einem Haupte zu vollbringen ſich anſchickt:
verändert ſich allmälig das Lebensgefühl des Menſchen, der den
Griechen und Italiker mit dem dunkel gefärbten Bewohner der
öſtlichen Länder tagtäglich vergleicht und das gemeinſam Menſchliche
fühlt; das Band, das den Orientalen, der in Griechenland lebt
und lehrt, den Nationalgriechen, der unter einem macedoniſchen
Fürſten oder ſpäter unter römiſchen Optimaten ſteht, mit dem Staate
verbindet, iſt von gänzlich anderer Art als das, welches einen
Socrates mit dem Rechte ſeiner Heimathſtadt verbunden hatte. So
entſteht eine gänzlich veränderte politiſche Philoſophie.
Die Literatur über den Staat iſt in beſtändigem Wachsthum
begriffen. Cicero ſpricht mit Bewunderung von der großen Zahl
und der geiſtigen Bedeutung der politiſchen Werke aus der Schule
von Plato und Ariſtoteles; wir kennen die Titel der politiſchen
Schriften von Speuſipp aus Athen, von Xenocrates aus Chal-
cedo, von Heraclides aus dem pontiſchen Heraclea, dann die von
Theophraſt aus Ereſus (eine große Zahl), von Demetrius aus
Phalerum, von Dikäarch aus Meſſana. Neben die augenſcheinlich
geringe Zahl von politiſchen oder vielmehr gegen das politiſche
Leben gerichteten Schriften der Epikureer tritt eine reiche ſtoiſche
politiſche Literatur, Schriften des Zeno aus Citium, des Cleanthes
aus Aſſus, des Herill aus Karthago, Perſäus aus Citium, Chry-
ſipp aus Soli, Sphärus vom Bosporus, Diogenes aus Seleucia,
Panätius aus Rhodus. Man bemerkt, daß in der ſtoiſchen
Schule die Herkunft aus Barbarenländern bedeutend überwiegt.
Zeno wird als ein Phönicier bezeichnet; Perſäus ſoll zunächſt
Sklave Zenos geweſen ſein. Indem die Stoa die Barbarenvölker
zu ſich heranzieht, indem alsdann die Uebertragung der griechiſchen
Spekulationen über Staat und Recht auf die Römer ſtattfindet,
vollzieht ſich eine Verbindung der politiſchen Wiſſenſchaft, ins-
beſondere der ſtoiſchen, mit den Monarchien, die auf Alexander
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